Andersnacht: Genug vom Unsichtbar sein. Fazit zum Jahresende.

Was für ein seltsames Jahr war 2020 bitte? Mir kommt es vor wie mindestens zwei Jahre. Die zwei Monate vor Corona, dann der erste Lockdown, der seltsame Sommer der Unvernunft – und nun – die zweite Welle mit Lockdown zu Weihnachten. Adventszeit ohne Weihnachsmärkte und Feiern dafür mit Alkohol für die Hände, Tests to go und Quarantäne-„Gemütlichkeit“.

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Mittendrin – daneben. Sechs Jahre in der Anderswelt.

Wir gehören dazu. Doch zu wem? Es ist kaum begreifbar für uns, dass wir tatsächlich seit nun mehr sechs Jahren unseren bisherigen Orbit verlassen haben. Unglaublich, dass unser Liebling schon so alt ist. Und noch immer habe ich so viele widersprüchliche Gedanken und Gefühle zu ihm, zu mir und uns.

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Flashbacks – Leben auf dünnem Eis

Warum war es hier so still?

Es ist inzwischen bereits April und noch immer habe ich noch keinen Blogbeitrag über uns vier geschrieben. Aber viele andere Artikel, denn ich bekam die großartige Möglichkeit neben dem Momo-Magazin für die Fachzeitschrift für Intensivpflege „Beatmet Leben“ zu schreiben. Aus dem einen Beitrag hat sich hat jetzt eine zweite Kolumne entwickelt. Und obwohl ich – wie wohl die Mehrzahl aller freien Redakteur*innen – wohl kaum davon Leben könnte – bin ich stolz darauf. 

Gleichzeitig haben sie viele Erlebnisse überschlagen und es fällt mir doch immer wieder schwer mich abzugrenzen, gegenüber dem Leid anderer und auch meinen eigenen Dämonen.

Mein Blogbeitrag vom Frühjahr, den ich bereits geschrieben und doch nicht veröffentlicht habe, dreht sich um unsere erste Zeit nach den unendlich langen drei Monaten in mehreren Kliniken mit unserem damals noch neu geborenen Räubersohn. Auch darum wird es nun gehen: 

Wie geht es uns vier inzwischen? 

Mich katapultiert es immer wieder zurück in diese bange Zeit. Das kann ganz Verschiedenes sein was diese Flashbacks triggern: Allein die Jahreszeit oder wenn andere Paare von ihren Plänen für die Elternzeit berichten, die der MaPa und ich mit dem Eingewöhnen in die Heimdialyse und Erlernen von sterilen Verbandswechsel und Sonden legen verbracht haben.

Diesen Winter durfte ich auch einen kleinen Beitrag für die überarbeitete Neuauflage von Susanne Bürgers wunderbaren Begleitbuch für Eltern, deren Baby einen schweren Start ins Leben haben schreiben. Es heißt „Wenn das Leben intensiv beginnt„. Genau das haben wir erlebte, nur ist dieses Kapitel bei uns  nicht vorüber. Es bleibt intensiv und wir Leben eigentlich immer auf dünnem Eis. Nur, dass wir weitgehend gelernt haben damit umzugehen, um nicht hinter jedem kleinen Knirschen einen Einbruch zu erwarten. Doch noch vor Silvester kam einiges zusammen.. Erstmals waren die Werte unseres Lieblings wieder deutlich schlechter seit längerer Zeit. Dann die Bronchitis, die Obstruktion wurde und seine Sättigung abfallen ließ, so dass wir zur Sicherheit in die Klinik dem RTW fuhren und nur mit Kortison wieder heim durften. Und dann passierte das, wovor ich all die Jahre, in denen ich „meinmeine Mamas“ habe, große Angst hatte. Ein Kind unserer Gruppe ist plötzlich verstorben. Der Junge ist so alt wie unser Liebling und war schwer krank,  nichts desto trotz wurde und wird er geliebt und es war so plötzlich… Seine Familie leidet unglaublich unter seinem Verlust. Auch wenn Außenstehende gerne von Erlösung sprechen, wenn jemand, der schwer chronisch krank oder behindert ist, verstirbt – für seine Familie ist es ein Alptraum, gerade, wenn einem das Kind genommen wird. Die Liebe und Erinnerungen bleiben – aber der Schmerz auch … Ich habe sehr mit den Eltern mit gefühlt und wieder Angst bekommen davor, dass auch unser kleiner König womöglich nie groß wird, dass alle Sorgen über seine und unsere Zukunft, hinfällig sind.

Was macht die Pandemie mit uns? 

Und nun Corona, die Rede von Risikogruppen, zu denen er definitiv gehört. Wenn die Beatmungsgeräte knapp werden sollen gemäß Triage, vorrangig Menschen ohne schwere Erkrankungen, diese erhalten. Was für eine Horrorvorstellung! 

Und noch immer wollen viele nicht wahrhaben wie gefährlich Corvid-19 ist. Die neuen Lockerungen und Maskenpflicht in Baden-Württemberg suggerieren, dass der Normalzustand in Greifweite sei.

Die Quarantäne, die viele Familien, mit Homeschooling und Homeoffice, verständlicherweise Weise als große Belastung empfinden, führt bei uns auch zu ungewohnten Umständen: Unsere gefühlt dauernd rotierende „Dreheingangstür“ im Flur stand auf einmal still. Wir waren Wochen für uns. Und da wir das große Glück haben, dass ich ohnehin überwiegend im neuen Job im Homeoffice arbeiten kann und der MaPa als Berufsschullehrer nun auch komplett zu Hause ist und online unterrichtet, bekommen wir vier es eigentlich ganz gut gewuppt.

Natürlich fehlen alle unsere Helferlein, aber mir ist auch etwas Druck genommen fast keine Termine, auch die Therapien entfallen fast alle. Inzwischen kommen wieder wenige Pflegerinnen zur Unterstützung aber alle mit Mundschutz. 

Auch wir sind weitgehend sozial isoliert. Doch das sind wir auch sonst im Alltag leider ziemlich. Gehen Kinder mit Behinderungen in Sonderschulen oder Förderkigas fehlt oft der Bezug zu anderen Familien und Kindern, die man sonst im Kindergarten oder bei Vereinen wie dem Kinderturnen trifft – während wir eben zur Therapie gehen und selten von anderen Familien eingeladen werden. 

Nun sind auch sie isoliert, die „normalen“ Familien und Mitmenschen. „Willkommen in unserer Welt!“, möchte ich einigen von ihnen zurufen. Wäre schön, wenn sie durch diese Pandemie etwas Empathie entwickeln könnten, denn das vermissen wir oft noch. Auch bei Pädagogen, dieses eigentlich besser wissen müssten! 

Aber einige nehmen es sehr auf die lockere Schulter. Hoffen wir für sie und ihre Angehörigen, dass sie wirklich keine (evtl. unbekannten) Vorerkrankungen haben! Auch für Lungen- und andere Organschäden,  die Corona verursachen kann sind nicht ohne. Unglaublich, dass das geleugnet wird und krude Verschwörungstheorien statt dessen im Vormarsch sind.

Wir haben unseren Liebling wochenlang intubiert und beatmet auf Intensivstation begleitet. Diese Bilder werden wir nie aus dem Kopf bekommen, das Gepiepse und der Geruch auf der Intensiv. Das wollen wir niemals wieder erleben müssen! Und das wünschen wir wirklich keinem Menschen

Dazu habe ich auch ein Appell veröffentlicht zum 5. Mai dem Welttag der Menschen mit Behinderungen:https://www.facebook.com/ungehindert/videos/2452172581696020/?epa=SEARCH_BOX

Während die Piratenprinzessin ihre Kita-Freundinnen furchtbar vermisst, scheint der kleine König momentan geradezu zu erleichtert zu sein, nicht jeden Tag mit dem Bus weg zu müssen. Das hat uns auf eine kühne Idee gebracht… Lasst euch überraschen! 

Wenn pflegende Angehörige rebellieren.

Am Samstag 05.10.2019 fand unsere KREATIVE PROTESTAKTION mit Stellvertreter Demo in Heilbronn auf dem Kiliansplatz statt – hier für euch die Rede, die ich als erste Vorsitzende der „Hölder-Initiative für Kultur und Inklusion e. V. “ dort gehalten habe:
>>Unendliche Kämpfe, Fremdbestimmung und Pflege bis zum Umfallen:
Wir lassen es nicht mehr zu!
Willkommen – was Sie sehen all die Schuhe und Hilfsmittel – ist kein Flohmarkt, sondern Teil unserer kreativen Protestaktion pflegender Angehöriger und von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung.
Wir sind pflegende Angehörige aus Heilbronn und Umgebung und bekommen Unterstützung von den Vereinen „Hölder – Initiative für Kultur und Inklusion e.V.“ aus Lauffen am Neckar, „Solidaria e.V.“ und ihrem Projekt „Löwenkids für Geschwisterkinder“, sowie der neuen Selbsthilfegruppe „TEILHABE JETZT!“ Für pflegende Angehörige und Menschen mit chronischer Erkrankung und Behinderung. Angeregt wurde unsere Aktion von der Onlinebewegung „Die Pflegerebellen“ die mehr und mehr auch im realen Leben auf die Missstände in der Angehörigenpflege aufmerksam macht und auf derer Mitglieder zunehmend auf die Straße gehen.
Ich pflege seit 5 Jahren meinen schwerbehinderten und chronisch nierenkranken Sohn. Da auch meine Oma seit einigen Jahren pflegebedürftig ist, weiß ich was es bedeutet kranke Familienmitglieder aufopferungsvoll zu Hause zu versorgen. Diese Carearbeit ist ein Kraft zehrender Fulltimejob – nicht zuletzt wegen der nicht endenden Kämpfe um Rechte wie Teilhabe, Therapien und Selbstbestimmung. Selbst grundlegende Dinge wie Hilfsmittel und sogar Nahrung müssen oft erstritten werfen nicht selten sogar vor Gericht – unserem chronisch kranken Sohn wird bsw. vom Land BW nicht einmal seine Sondennahrung vollständig erstattet, die er über seine Magensonde erhält.
Wir pflegenden Mütter, Väter, Töchter und Söhne, Ehefrauen und -männer, Enkel, Lebensgefährt*innen und andere pflegende Angehörige und hauptberuflich Pflegenden- müssen endlich gehört werden.
Die im Sommer 2019 neu erlassenen Pflegegesetze müssten eigentlich PflegeSCHWÄCHUNGsgesetze heißen: Das RISG – das „Reha- und Intensivpflege-stärkungsgesetz“ -bedeutet eine Entmündigung der schwer kranken, pflegebedürftigen Menschen über 18 Jahren, die Beatmung benötigen und anderem Intensivpflegebedarf haben nun auf die Order des Gesundheitsministers in Heime abgeschoben werden sollen, um Kosten für ambulante Pflegedienste zu sparen. Dabei gibt es bereits jetzt zu wenig Heimplätze, die auf hohe Pflegegrade und ins Besondere junge Menschen ausgelegt sind. Ein absoluter „SPAHNsinn“, der jeglichen Realitätsbezug vermissen lässt und Achtung der Menschenwürde, sowie dem Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe entbehrt. Auch bei dem sogenannten „Angehörigenentslastungsgesetz„, geht um die Pflegebedürftigen, die in Seniorenheimen und anderen betreuten Einrichtungen leben. Es übergeht den größten Pflegedienst Deutschlands – das sind WIR! – Die pflegenden Angehörigen, die sich zu Hause um ihre Lieben kümmern!
Förderung der Berufspflege ist sehr wichtig – aber wir pflegenden Angehörigen tragen sehr viel Last – in den meisten Fällen die Hauptlast und immer viel Verantwortung.
Rund 400.000 Pflegebedürftige gibt es laut der Pflegestatistik 2017 des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg in Baden-Württemberg – rund 300.000 von ihnen werden zu Hause gepflegt! Nur knapp etwas mehr als die Hälfte bekommt dabei noch stundenweise Unterstützung eines Pflegedienstes – für uns passiert zu wenig. Auch im neuen Pflegestärkungsgesetzen ist der einzige Punkt, der sich auf uns pflegende Angehörige bezieht der, dass wir leichter eine Reha bekommen sollen. Die Grundbedingungen werden davon aber nicht berührt. Und das Recht, dass man seinen Pflegenden mit zur Reha nehmen kann, sehe ich als kontraproduktiv an. Das pausenlose Kümmern ist ja unsere „Arbeit“! Wie soll man sich da erholen und neue Kraft tanken, wenn man nebenbei weiter pflegt??
Wir! pflegenden Angehörigen und was wir brauchen bleiben fast immer außen vor. Wir leisten so viel und „Sonntags pflegen wir auch noch“ – deshalb rufen wir: „Wir lassen es nicht mehr zu!“ Wir haben uns online zusammen geschlossen zu „Die Pflegerebellen“ und wir fordern, dass es endlich ein Fürsorgegehalt, gibt ähnlich dem Elterngeld. Und ich verstehe auch nicht, warum unsere Arbeit als pflegende Angehörige so wenig wert ist. Für einen Pflegedienst stehen 1995€ im Monat zur Verfügung, wir erhalten beim höchsten Pflegegrad V gerade 901€!
Finden wir tatsächlich Unterstützung, sind die 125€ Entlastungsleistungen im Schnitt bereits nach 1,5h Stunden im Monat aufgebraucht. Dann wird das Pflegegeld gekürzt und die Rentenpunkte – was soll das für eine Entlastung sein? Selbst, wenn man sich nur stundenweise Hilfe für die Betreuung oder die Grundpflege holt, fällt man sofort in die Kombinationspflege – obwohl wir noch immer den Hauptteil alleine stemmen.
Die neue Pflegezeit ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein- es gut gemeint aber was nützen 10 Tage, zudem unbezahlte, wenn man sich dauerhaft um ein schwer krankes oder behindertes Familienmitglied kümmert? Genauso das Pflegedarlehen – wie soll man das ohne Einkommen abzahlen? In anderen Ländern wie Finnland und Schweden gibt es ein Assistenzgehalt für pflegende Angehörige! Es ist machbar! Die Krankenkassen erwirtschaften Überschüsse im Milliardenbereich! Pflegebedürftige, alte und kranke Menschen sind häufig multimorbid – das heißt sie leiden an vielen schweren ja Erkrankungen – dafür müssen die Krankenkassen aufkommen! Die Anteile von Pflege- und Krankenkassen müssen neu verteilt werden. Nicht nur der Klimawandel sollte uns in Angst und Schrecken versetzten auch der Pflegenotstand und die sich abzeichnende soziale Krise!
Durch den demographischen Wandel steuern wir auf eine noch nie da gewesenen Versorgungsmissstand zu! Bereits heute fehlen je nach Hochrechnung zwischen 30.000 und 50.000 Pflegekräfte in Deutschland – diese Zahlen werden sich in den nächsten 16 Jahren laut Hochrechnungen bis zu verzehnfachen. Für diese Situation es keine ausreichenden Heimplätzte oder Pflegefachkräfte! Es wird von uns PFLEGENDEN ANGEHÖRIGEN gestemmt werden müssen. Die Politik und Krankenkassen müssen JETZT handeln!
Auch bisherige Unterstützungsangebote greifen zu wenig! Die Kurzzeitpflege bei hohen Pfleggraden reicht nur für einen kurzer Urlaub von 10-15 Tagen! Das Jahr hat aber 365 Tage und wir pflegenden Angehörigen verbrennen!
Machen Sie sich selbst ein Bild: Wir haben 36!!! Erfahrungsberichten pflegender Angehöriger und von Menschen mit Behinderung und chronisch Kranken sowie hauptberuflich pflegender Fachkräfte zu gesandt bekommen – die Schuhe und Hilfsmittel sind Stellvertreter für all die, die durch ihre Pflegearbeit heute nicht hier sein können.
Unsere Demonstration in Heilbronn wurde angeregt von der freien Interessengemeinschaft die PFLEGEREBELLEN, die sich in den Social Media dieses Frühjahr gebildet hat. Es gab bereits Proteste in Berlin, Hamburg, Dülmen und Köln. Heute sind wir in Heilbronn!
Die Klopapierrolle ist das Symbol der Bewegung der Pflegerebellen, denn die Situation ist untragbar!!! WIR brauchen mehr unbürokratische Entlastung und Unterstützung für uns pflegende Eltern und andere pflegende Angehörige, ein würdiges Fürsorgegehalt, mehr Selbstbestimmung und bessere Versorgung sowie unbürokratische Unterstützung zur Gewährung von Teilhabe – auf die es die laut UN-BEHINDERTENRECHTSKONVENTION ein Anrecht gibt – für Menschen mit Behinderung und chronisch Kranke !
WIR LASSEN ES NICHT MEHR ZU! BEGEHRT MIT UNS AUF!
Kommt deswegen am Freitag 18. Oktober 2019 nach Lauffen am Neckar zur Lesung von Arnold Schnittger dem Autor und Gründer der Pflegerebellen, der mit seinem schwerbehinderten Sohn Nico durch ganz Deutschland eine Protestwanderung unternommen hat: Er ließt ab 19Uhr im Café Lichtburg (Stuttgarter Straße 4, 74348 Lauffen a.N. ) seinem Buch: „Ich berühr den Himmel. Mit dem Rollstuhl durch Deutschland.“
Außerdem hat die Hölder-Initiative für Kultur und Inklusion eine SHG gegründet 》Teilhabe jetzt! Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige und Menschen mit Behinderung《 (und chronischer Erkrankung) – jeden Alters aus Heilbronn und Umgebung – Kontakt:
Hoelder.Initiative@gmail.com
Danke, allen, die heute gekommen sind: Den Ehrenamtlichen der Hölder-Initiative e.V., Solidaria e.V. – außerdem sind Vertreterinnen von Sirius e.V., der Familienherberge Lebensweg und FOXG1 Deutschland e.V. anwesend. Danke euch allen, euch Helfern und Helferinnen, unseren Familien und Männern, die sich zu Hause um unsere pflegebedürftigen Kinder kümmern, weil es leider zu schlechtes Wetter ist, um sie heute dabei zu haben.
Ich möchte schließen mit den Worten von Turid Müller der Chansoniere und Kabarettistin:

WÜRDE IST KEIN KONJUNKTIV WÜRDE SCHREIBT MAN GROSS!

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Wir wollten Normalität. Und bekamen Grippe.

Mit unserer kleinen Miss hat sich unglaublich viel geändert in den letzten beiden Jahren. Unglaublich ist auch, dass sie schon so lange da ist. Es kommt es uns vor, als wäre sie schon immer Teil von unserer Räuberbande.

Wir haben schon oft dieses Familiengefühl vermisst. Irgendwie waren wir oft mehr Case-of-Emergency-Manager und Pflegeteam als Eltern gewesen. Obwohl unserer Erstgeborener natürlich unser geliebtes “Goldstück” und  “kleiner König” ist, wie wir ihn auch heute noch nennen. Doch der Alltag mit dem Räubersohn ist leider so verschieden zu dem von anderen Kleinfamilien. Während andere Eltern über Kindergartenwahl und Streitereien erzählen, vom Kindertanzen oder Musikkursen – wir waren da raus. Wir können nur von Physio-, Logo– und Ergootherapie berichten. Nach dem PeKiP und Babyfitkurs (den ich mit ihm auch noch besuchte, als er schon fast zwei war) ist bei uns hier in der süddeutschen Provinz irgendwie Sense gewesen mit inklusiven Angeboten oder Möglichkeiten an typischen Familienaktivitäten teilzunehmen. Echt schade. So bekamen wir nur wenig Kontakte zu anderen Eltern an unsrem Wohnort.

Immerhin habe ich ja ein paar liebe Mamas aus meinem “besondere Mütter”  Netzwerk und wir beide noch treue Freunde, mit und ohne Kids, von früher. Aber unsere Lebenswirklichkeiten sind einfach so verdammt unterschiedlich. Gespräche über Kindergeburtstagsplanung, das beste Laufrad Modell oder Ideen für super Ausflüge oder Urlaube – wir konnten eigentlich nie richtig mitreden.

Mit unserer wilden Piratenprinzessin sind wir nun in rasantem Tempo in all das hinein katapultiert worden, was wir vorher vermissten. Von Kita-Eingewöhnung über Ernährung, Spielzeugauswahl und Erziehungsmethoden – alles plötzlich aktuell. Obwohl wir in manchen Dingen schon routiniert sind (z.B. Wickeln, Brei füttern, in Schlaf schaukeln) sind wir gleichzeitig auch blutige Anfänger in viele. Trotz drei Jahren Vorlauf im Elternsein. Sei es bei Smalltalk beim Abholen oder Durchhalten beim Eltern-Kind-Turnen.  Auch so manche Erkenntnis, wie anstrengend auch putzmuntere, kerngesund Kids sein können, haben wir gewonnen. Und, dass so manche Geschichte, die wir früher von befreundeten Müttern und Vätern hörten (u.a. von wegen nicht mal auf dem Klo alleine sein) nun mal pure Wahrheit und nicht übertrieben sind!

Und dann erst einmal diese unsäglichen Krankheitsphasen…Da unser Räubersohn kaum interagiert oder spielt, kommt er natürlich wenig in Kontakt mit anderen Kindern. Er kann auch nicht gezielt greifen oder sich etwas in den Mund stecken. Was einerseits traurig ist, hielt uns andererseits zumindest die meisten “Kindergarten-Seuchen” vom Hals.

Nicht so bei der kleinen Miss, die alles abschleckt, was nicht vor ihr sicher ist. Sie hat gleich im ersten Kita-Winter uns Magendarm als vorweihnachtliches Geschenk mitgebracht und solidarisch geteilt. Ob ihr Bruder es hatte, kann ich nicht einmal sagen, denn er kann sich ja aufgrund der Fundublikatio (Magenklappe) nicht mehr erbrechen und seine Verdauung spinnt sowieso fast immer. Mich hat es auf jeden Fall auch voll erwischt und die anfängliche Hoffnung, dass sie nur zuviel durcheinander beim Weihnachtsmarkt gefuttert hat, war dahin als ich drei Tage darauf nächtens vor der Toilette kniete. Und das, nachdem mir meine stressbedingte, wiederkehrende Innenaugenentzündung bereits ordentlich ein Bein gestellt hatte im Herbst, da mir das Kortison nicht nur auf den Magen, sondern auch auf die Psyche gegangen ist.

– Mit ein Grund warum das unperfekte  “Weniger ist mehr”-Prinzip bei mir nicht nur freie Wahl war.) Ich bin insgesamt auch einfach zu ausgebrannt gewesen, ob bei all dem drumherum im Advent auch noch Vollgas zu geben. Meine Energiespeicher sind noch immer ziemlich erschöpft – was sich wohl auch nicht so schnell ändern wird, deshalb auch der Brandbrief. (Zumal wir jetzt tatsächlich gegen den Arbeitgeber des MaPa vor Gericht ziehen müssen, da das Land Baden-Württemberg in seiner Beihilfeverordnung nicht vorsieht die verordnete, spezielle vollbilanzierte Sondenkost unseres ohnehin zu leichten und zu kleinen chronisch kranken Lieblings vollständig zu erstatten. Mit ihr wird er wegen seiner Schluckstörung mit Asphyxiegefahr über die PEG-Magensonde ernährt. Sondenkost ist übrigens selbstverständliche Kassenleistung und wird auch vom Sozialamt erstattet, wenn entsprechende Bedürftigkeit vorliegt. Wirklich blamabel für so ein reiches Bundesland! Für uns ein Ärgernis mehr, neben den seit Monaten ausstehenden Arztberichten zur Verlängerung der Intensivpflegeverordnung und die nächsten anstehenden Kliniktermine auswärts.

Doch zurück zu der Viren-Welle:

Im neuen Jahr war nur kurz Ruhe und jetzt haben wir vier gerade fünf Wochen abwechselnde Krankheiten – hoffentlich – hinter uns. Begonnen hat unser kleiner König mit einer Bronchitis, die über Nacht obstruktiv wurde, und uns beinahe eine “Suite” in der Klinik beschert hätte. Nur da wir zur Zeit viele Pflegestunden von unserem Kinderintensivpflegedienst abgedeckt bekommen, und auch mit Stethoskop, einem Pulsoximeter und Absauggerät zu Hause ausgestattet sind, konnten wir mit ihm hier bleiben. Nachdem der Killercocktail aus Kortison, Antibiotika und Lungen erweiternden Medis gut gewirkt hat. Ich war zum ersten Mal seit langem froh,  soviel Medizintechnik daheim zu haben. Auch neben seinem Bett zu sitzen während er schläft, das gab es schon länger nicht mehr (stundenlanges abends auf dem Arm halten und wiederholtes Umlagen nachts haben wir ohnehin genug). Dann bekamen der MaPa und ich Grippe und zum krönenden Abschluss unsere kleine Maus noch Scharlach. Wenig Essen am Tag, nur Fläschchen zum Trinken gingen zwischendurch und ein furchtbar anhängliches Mama-Baby war sie wieder. Nachts viele Tränen, großer Durst und unglaublich hohes Fieber, trotz Wadenwickel und Zäpfchen. Ich dachte ich werde verrückt, die Sorge um sie ließen mich neben ihr auf der Gästematratze umherwälzen.

Bei ihrem Bruder war ich, wenn ich mich richtig erinnere, entspannter. Denn im Vergleich zur Intensivstation kam mir das bei ihm ziemlich pillepalle vor. Voll Überzeugung das Richtige zu tun, ließen wir ihn erst etwas fiebern und gaben dann abwechselnd Paracetamol und Ibuprofen Zäpfchen oder Saft. So wie wir es im Baby Erste Hilfe Kurs gelernt hatten. Beides war falsch, bei nierenkranken Kindern (Temperatur nicht über 39° kommen lassen und nie Ibo geben, weil es über die Niere abgebaut wird).  Nur da es uns keiner der Nierenärzte mitgeteilt hatte, wussten wir das als Neulinge in diesem Gebiet natürlich nicht! In der Klinik, als er das erste mal einen grippalen Infekt hatte, während den Dauer-stationären drei ersten Neugeborenen Monaten, musste ich sogar darum betteln das Zubehör zum Inhalieren zu bekommen. Er war später zu Hause – nicht zuletzt wegen des Pflegepersonalmangels – wirklich besser umsorgt.

Nur bei der kleinen Miss kommen mir nun all die Horrorstorys wieder hoch, die ich kennenlernen durfte im Ronald Mc Donald Elternhaus, den Kliniken und bei der Reha. Windpocken, die das Gehirn schädigen, Entzündungen der Blase oder Atemwege, die lebensbedrohlich wurden und vieles Grausliches mehr. Die Sorge, sie könnte auch chronisch krank werden. Ich habe echt meine Lässigkeit ziemlich eingebüßt bei so etwas normalen entspannt zu bleiben. Dementsprechend bin ich zusätzlich erledigt.

Aber auch ohne diese, von unserer Vorgeschichte getriggerten Ängste, ist die Verantwortung für diese kleinen Würmchen doch ganz schön groß. Auch das ist Familiennormalität. Danach hatten wir ja gerufen und prompt kassiert. So sind wir nun bedient wie die anderen Familien, die Infekt-Pingpong spielen. Nur, dass bei uns dann plötzlich noch Krankenpflegerinnen mit Mundschutz herum springen und wir sogar Kinderurinbeutel im Haushalt vorrätig haben.

Nun freuen wir uns auf den Frühling. Das erste aufgeschürfte Knie hat sich das wilde Monstermädchen, just nach seiner Genesung, gestern bereits beim Spaziergang zu den Nachbarpferden geholt.  Das kann ja noch heiter werden.

Paradoxe Verschlimmbesserungen – Alltägliche Hürdenläufe, wenn Rettungsleinen zu Fallschlingen werden.

Mit Mühe und Not schaffe ich es noch einen Blogbeitrag im Monat zu verfassen. Das Schreiben, das mir sonst so einfach von der Hand geht, stockt und ist zäh. Ich muss mir jeden Satz abringen. Denn das klare Denken fällt mir immer wieder schwer, ein Orkan tobt in meinem Kopf.  Seit Monaten rappel ich mich immer wieder auf. Aber es ist einfach kaum noch Kraft da. Wie gegen Stürme kämpfen, wenn man sich kaum auf den Füßen halten kann. Es ist so aufreibend, dass immer wieder meine Unterstützungssysteme weg brechen während neue Hürden auftauchen. Das ganze letzte Jahr versuchte ich unsere Pflegesituation zu verbessern, eine oder zwei neue Pflegekräfte zu finden, die uns entlasten. Zwischendurch sah es so aus als wären wir fündig geworden, doch dann ging die nächste Fachkraft und eine andere entschied sich um. Die Lücken im Pflegeplan sind nicht weg zu bekommen.  Und auch im Kindergarten tut sich nichts. Kompromissbereitschaft Fehlanzeige, „Gesetz ist Gesetz“ bekomme ich zu hören. Meine Petition? Davon profitieren im Idealfall zumindest ein paar andere Kinder, nächstes Jahr. Ich fühl mich so müde, einsam und im Stich gelassen.

Die durchwachten Nächte fordern ihren Tribut. Die drei Klinikaufenthalte dieses Frühjahr von Räubersohn und Mapa haben auch nicht gerade zur Entspannung beigetragen, zu mal soviel schief lief. Beim zweiten Versuch der Peg Anlage wurde auch noch die Speiseröhre verletzt. Eine große Narbe war die Konsequenz und ein dicker Schlauch, der über viele Tage tief im Schlund des kleinen Mannes steckte. Das weckte ungute Erinnerungen an die erste Zeit und fühlte sich für den Junior sicher nicht gerade angenehm an. Er durfte nichts über den Mund essen und wir mühen uns jetzt Wochen später immer noch ihn wieder an normale Kost zu gewöhnen. Zu allem Übel wurden auch noch Medikamente falsch dosiert und das Antibiotika legte seine Verdauung flach. Die auslaufenden Windeln mit daraus resultierenden Wäschebergen, Verbandswechsel unter Weinen und ein erschöpftes Kind setzen mir ganz schön zu.

Wir versuchen ja schon länger mehr Pflegestunden vor allem auch Nachtdienste zu bekommen. Und unsere Krankenkasse nahm unseren Hilfeschrei jetzt zum Anlass mal grundsätzlich vom MDK ( bzw. dem für privat Versicherte beauftragte medi- Prüfunternehmen) kontrollieren zu lassen, ob der kleine König überhaupt Intensivpflege benötigt. Es ist unvorstellbar. Das beklemmt mich unglaublich und alte Angsträume tauchen wieder auf. Wassermassen wollen mich wegspülen. Es ist einfach zu deprimierend, wenn man nach einer Rettungsleine ruft und Fallschlingen folgen.

Die kleine Miss derweil ist zu unser großen Freude mobil geworden, sie zieht sich hoch und räubert herum. Ich muss hinter her. Der kleine große Bruder kann wieder kaum regulär in Kindergarten, weil zu wenig Personal da ist und er ohne Krankenschwestern ja nicht kommen darf in die Fördereinrichtung. Bald sind eh wieder Ferien und der Schulkiga bleibt dann sowieso zu. Ende des Monats ist schließlich die seit langem geplante Myofasziotomie gegen die Spastikkontrakturen und Schmerzen mit anschließender Aufbau-Reha in dem spezialisierten Zentrum im Ausland, das die Kasse natürlich auch wieder nicht erstatten will. Parallel gibt es Ärger wegen des Stundenlohns des PD, diverse medizinische Geräte, die bewilligt werden müssen und die Kasse mit dem großen D herunter handelt oder die falsch geliefert werden. Daneben Hilfsmittel, die einer Anpassung bedürfen, die natürlich auch mehre Anläufe benötigten bis es passt.

Dazwischen will der MDK dann ein weiteres Mal kommen, denn eventuell gab es ja eine Wunderheilung seit letztem Jahr und der Räubersohn kann urplötzlich laufen und greifen. Es ist alles so ein Irrsinn unnötige Lebenszeit und wichtige Energie die drauf gehen für all diese abstrusen Überprüfungen, Anträge und Widerspruchsverfahren.

Und eigentlich hatte ich da ja so ein Projekt, das mir ein Hoffnungsschimmer sein sollte, dass ich hier raus komme und in meinem goldenen Fürsorgekäfig nicht eingehe. Nur dafür fehlt mir, mit all diesem Irrsinn, Zeit und Kraft. Nur wenig kann ich mithelfen. Träume müssen mal wieder warten. Und dann sagen Bekannte ich soll mich auf Positives fokussieren. Hmmm genau. Mein lieber Mann versucht auch mitanzupacken mich aufzurichten, aber er hat ja ’nebenbei‘ auch noch eine Vollzeitstelle.

Wir schwimmen weiter, würden uns so gerne öfter treiben lassen. Der Stil ist Wurst, nur den Kopf oben halten ist die Devise.

Weißt du wieviel Sternlein stehen. Eine Miniserie über beängstigende Prognosen und das Weitertragen, die Trauer und Hoffnung.

Ich freue mich immer, wenn ich Rückmeldungen von euch BlogleserInnen bekomme. Als mich die Nachricht von Jasmin aus Wien erreichte, war ich tief bewegt. Sie hatte meinen Blog in ihrer Schwangerschaft entdeckt, einer Zeit die von Vorfreude bestimmt sein sollte, bei ihr aber von der Angst überschattet war. Jasmin (30) und ihr Partner Michael (33) haben früh von der schweren Behinderung ihres Babys erfahren. Ihnen wurde von medizinischer Seite zur Abtreibung geraten, aber sie haben sich bewusst für ihr Kind entschieden.

Eltern, die bei Routineuntersuchungen oder nach zusätzlichen Maßnahmen der pränatalen Diagnostik mitgeteilt bekommen, dass ihr Kind nicht gesund sein wird, entscheiden sich mehrheitlich dafür die Schwangerschaft zu beenden. Ich bin kein Abtreibungsgegner, aber aus meiner eigenen Familien- und Bekanntenkreis weiß ich, wie schmerzhaft so eine Entscheidung sein kann und die Betroffenen oft lange darunter leiden. Die werdenden Eltern fühlen sich oft allein gelassen oder sogar gedrängt, ins Besondere, wenn die Prognose einer geringen Lebenserwartung oder mehrfachen Behinderung im Raum steht. Niemand weiß wieviel Freude auch diese Kinder verspüren können und ihren Eltern bereiten. Zweimal habe ich es auch bei Freunden erlebt, dass die Pränataldiagnostik daneben lag. Die beiden Kinder sind heute, nicht wie behauptet, schwer herzkrank oder behindert, sondern kerngesund. Auch uns wurden in der ersten Zeit mit unserem Räubersohn, als er sich zwei Monate auf der Intensivstation zwischen den Welten befand, furchtbare Prognosen mal behutsam angedeutet dann wieder rücksichtslos an den Kopf geworfen, die in dieser Form aber nur teilweise zutrafen.

Jasmin und ihr Freund hatten auch gehofft, dass es sich um einen Irrtum handelt. Doch sie bekamen die Gewissheit, dass ihr Sohn aufgrund eines Syndroms nur eine sehr geringe Überlebenschance hat. Dennoch wollten sie ihn kennen lernen und ihm die Möglichkeit geben selbst zu gehen. Sie bangten und hofften.

Ihr Sohn Bastian kam im Frühjahr 2017 zur Welt. Er wurde nur 97 Tage alt.
Seine Eltern waren über drei Monate in der Klinik an seiner Seite.

Jasmin verarbeitet die Schwangerschaft und den Verlust ihres Sternensohnes auf dem Blog „280 Tage Bauchgefühl“ und ihrer gleichnamigen Facebookseite.  Sie hat mich gebeten hier ihre Geschichte als Gastbeitrag erzählen zu dürfen, um andere Paare zu erreichen, die vielleicht vor einer ähnlichen Entscheidung stehen und sehen, es gibt sie die Möglichkeit des Weitertragens. Auch – oder gerade – wenn am Ende ein Abschied steht, kann es ein Abschied in Dankbarkeit und Liebe sein.

Aus ihrem Wunsch heraus habe ich mich entschieden daraus eine Miniserie zu machen und auch noch die Geschichte von Mia zu erzählen, die wir aus der Frühförderung kennen. Ihre Eltern hatten sich bewusst in der Schwangerschaft gegen erweiterte pränatale Untersuchungen entschieden. Sie erhielten eine ähnlich erschreckende Diagnose kurz nach ihrer Geburt ihrer Tochter. Nur, dass sich Mia bisher entgegnen dieser negativen Prognose wundervoll entwickelt, denn das gibt es auch. Und das möchte ich mit euch teilen von ihr werde ich im zweiten Teil der Serie berichten.

> Wenn ihr eine ähnliche Geschichte erlebt habt, dürft ihr mir gerne schreiben. Gerne können wir noch ein paar Teile daran hängen oder ihr dürft dies als Auftakt einer Blog-Parade nehmen über das Weitertragen und für die Hoffnung.

jasmin und BastianJasmin mit Bastian auf der NICU (Neointensivstation)

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Hier nun das Interview mit Jasmin.

Du schreibst auf deinem Blog “280 Tage Bauchgefühl“ seit dem Anfang deiner Schwangerschaft über diese besondere Zeit, die bei euch leider wenige Wochen nach Geburt eures Babys jäh und schmerzvoll durch den frühen Tod eures Sohnes nach 97 Tagen beendet wurde. Was war der Anlass für dich zu bloggen war es seit der Diagnose Bastians?

Ich war im Jänner 2017 bereits im frühzeitigen Mutterschutz und hatte dadurch viel Zeit, mich mit den ganzen Diagnosen, die uns seit Oktober 2016 über unser Ungeborenes gestellt wurden, auseinanderzusetzen. Man könnte sagen, ich begann das Schreiben meines Blogs aus der Not heraus, aus einer Art persönlicher Hilflosigkeit. Denn es sah bereits zu dieser Zeit alles danach aus als würde es mit diesem Kind kein Happy End geben – und das wollte ich mit aller Kraft verhindern. Drei Monate nach der ersten auffälligen Diagnose hatte ich das Bedürfnis, die für uns so unfassbaren Geschehnisse, das was ich alles so wahnsinnig unfair fand, endlich aufzuschreiben und öffentlich zu machen. Meine Beiträge sind Aufzeichnungen über Untersuchungen und Diagnosen, sowie Abbildungen der Gefühlswelt einer Mutter, die furchtbare Angst hat ihr Kind zu verlieren. Für mich ist „280 Tage Bauchgefühl“ aber auch schlicht und einfach eine Liebeserklärung an mein Kind.

● Als ihr erfahren habt welche schwerwiegende Erkrankung euer Baby hat, konntet ihr das überhaupt realisieren?

Je früher das Stadium meiner Schwangerschaft noch war, desto weniger glaubten wir eigentlich den Vermutungen der Ärzte. Denn man liest im Internet einfach so oft von Fehldiagnosen und dass das Kind trotz einschlägiger Prognosen am Ende doch gesund war. Es gab auch absolut keinen Grund wieso unser Kind nicht gesund sein sollte. Wir waren beide noch relativ jung und in unseren beiden Familien gab es nie irgendwelche Auffälligkeiten. Wir entschieden uns deshalb in der 12. Schwangerschaftswoche, als unser Kind das erste Mal als auffällig bezeichnet wurde, bewusst gegen einen invasiven Eingriff. In der 22. Woche, beim Organscreening *, ich glaube da wurde uns erst so richtig bewusst, dass das Baby in meinem Bauch scheinbar wirklich nicht gesund ist. Aber so hundertprozentig realisierten wir es trotzdem erst, als Bastian auf der Welt war. Und dann als wir endlich die Diagnose hatten, als wir erfuhren, was der Grund für Bastians Krankheit war, fügten sich die ganzen Puzzleteile auch endlich zu einem Ganzen.

● Gab es auch Momente wo dir dein Bauch “fremd” vorkam?

Als Bastian bei mir im Bauch war, war er mir trotz aller negativen Diagnosen nie fremd, im Gegenteil: je mehr schlimme Nachrichten wir über ihn bekamen, desto stärker wurde mein Beschützerinstinkt und damit auch meine Bindung zu ihm. Ich kann mich aber noch an eine Situation erinnern, da sagte man uns nach einer Ultraschalluntersuchung: „Sie können die Schwangerschaft jederzeit beenden“ – diesen einen Satz, den ich keiner Mutter, die sich eigentlich so sehr auf ihr Baby freut, jemals wünsche zu hören. Und als ich mich danach zu Hause hinlegte, da drückte mir das Baby so richtig auf den Bauch. Das ist dann irgendwie wie ein Stich ins Herz. Denn man hat einfach das Gefühl, es lebt und doch ist die ganze Welt gegen dieses Kind.

Wo habt ihr Unterstützung gefunden in dieser ersten schweren Zeit. Wurdet ihr begleitet auf dem Weg?
Unsere Familien und Freunde standen zum Glück hinter uns, aber ich denke am meisten Kraft schöpften wir in uns beiden, in unserer Beziehung und unserem sehr starken Zusammenhalt. Ich denke das half uns am meisten, nicht an dieser Situation zu zerbrechen und den Weg gemeinsam zu gehen. Als wir im Oktober die erste auffällige Diagnose bekamen, wandten wir uns außerdem an eine Beratungsstelle (Nanaya, Wien), die uns eine erste Orientierungshilfe inklusive weiterführender Hilfestellungen (Literatur, Websites etc.) bot. Und wir kamen auch nach Bastians Geburt alle zwei Wochen dorthin und führten Gesprächsrunden, die für uns sehr wertvoll waren.

Ihr habt euch für das Weitertragen entschieden. Was hat euch dazu bewogen? Spielten Dinge wie Religion oder Hoffnung auf ein Wunder dabei eine Rolle? Oder bist du generell gegen Abtreibungen? Schwangerschaftsabbruch – Ja oder Nein – das ist wohl eines der kontroversesten Themen überhaupt. Das muss jede Mutter selbst für sich entscheiden, und zwar erst dann, wenn sie wirklich in dieser Situation ist. Da gibt es kein Patentrezept was die bessere Entscheidung ist und es bringt auch nichts, über irgendjemanden zu urteilen. Ich denke, dass keine Frau die Entscheidung für einen Abbruch leichtfertig trifft, im Gegenteil, es ist vermutlich die schwierigste Entscheidung ihres ganzen Lebens.

In unserem Fall waren es weder eine religiöse Einstellung oder die Hoffnung auf ein Wunder, die uns unsere Entscheidung zum Weitertragen treffen ließen. Klar hofften wir immer: vielleicht wäre letztendlich alles doch halb so schlimm. Aber der Grund für die Entscheidung war ein ganz einfacher: Ich konnte mich nicht von diesem Baby trennen. Es war das Wichtigste, was ich hatte und ich wollte ihm jede Chance geben, die ich ihm geben konnte. Wir hätten beide für dieses Kind wirklich alles getan. Man fragt sich im Vorfeld aber natürlich schon, wie hoch der Preis ist, den man zu zahlen bereit ist und wie hoch jener, den sein Kind womöglich zahlen muss, das kann ich nicht leugnen. Aber es kann niemand in die Zukunft schauen.

Wie haben eure Familie, eure Freunde und Umfeld reagiert? Da es wohl keine schmerzvollere Erfahrung gibt, als ein geliebtes Kind zu verlieren, ist es bestimmt nach wie vor ein großes Tabu. Musstet ihr euch schlimme Aussagen anhören oder bestärkten euch eure Vertrauten, haben sich Menschen von euch abgewandt?

Abgewandt hat sich zum Glück niemand von uns. Aber es sind viele natürlich vorsichtig und haben Angst etwas Falsches zu sagen und sagen deshalb lieber gar nichts. Ich denke aber es ist für Außenstehende schwierig, denn wenn man gerade sein Kind beerdigt hat, dann kriegt man wirklich schnell alles in den falschen Hals und legt jeden Satz auf die Goldwaage. Ich muss zugeben, ich ziehe mich auch selbst ein bisschen zurück, weil es einfach unheimlich schwer ist, glückliche Familien zu sehen, wenn ich meine eigene Familie gerade verloren habe. Als es um die Entscheidung ging, ob ich das Kind austragen werde oder nicht, da kamen schon hin und wieder Sätze wie: „Ich kenne da jemanden mit einem schwer behinderten Kind.“ Dass die Beziehung daran zerbrochen sei und so weiter, dass man sich das Ganze gut überlegen solle. Ich empfand diese Sätze oft als übergriffig, als einen Eingriff in die Beziehung zwischen mir und meinem Kind. Für mich war die zu erwartende Behinderung meines Kindes nämlich schier ein aufgedrückter Stempel, etwas von außen Kreiertes. Das Attribut „behindert“, das meinem Ungeborenen zugeschrieben wurde, machte für mich einfach keinen Unterschied in meiner Liebe oder meinen Gefühlen zu ihm.

Wart ihr umfassend informiert über die Erkrankung eures Sohnes? Wusstet ihr auch welche Ausprägung des SLO-Syndroms (Smith-Lemli-Opitz-Syndrom) er hat? Wo habt ihr euch seriöse Informationen geholt, was könnt ihr empfehlen, wovon abraten?

Als wir fünf Wochen nach Bastians Geburt endlich die Diagnose hatten, informierten wir uns natürlich im Internet und fanden überdies ein sehr informatives Buch zu dieser Erkrankung. (Dorothea Haas u.a.: „Das SLO-Syndrom“). Außerdem sind wir seit Bastians Diagnose Teil einer Facebook-Gruppe von weltweit betroffenen Familien. In dieser Gruppe sind wir immer noch aktiv, auch wenn Bastian nicht mehr bei uns ist. Die Bilder von anderen Kindern mit der gleichen Erkrankung zu sehen und die Berichte der Eltern zu lesen, ist für uns immer noch eine besondere Verbindung zu Bastian, denn man erkennt so vieles von ihm in diesen Kindern.

Wir wussten auch rasch – weil es einfach in jeder Beschreibung zum SLO-Syndrom vorkommt – dass Bastians Ausprägung aufgrund seiner organischen Probleme zur schweren Form gehört, bei der die Kinder eine nur sehr kurze Lebenserwartung haben. Auch im Krankenhaus bei unseren regelmäßigen Besprechungen sagte man uns, dass Bastian vermutlich nicht sehr alt werden würde.

Was hat euch geholfen eure Wahl zu treffen? Hattet ihr Kontakt zu Familien mit ähnlichen Erlebnissen oder die Kinder mit der gleichen Erkrankung haben?

Was uns die Entscheidung wahnsinnig erleichtert hat, war, dass es für Bastian, als er in meinem Bauch war, eigentlich lange Zeit Hoffnung gab, denn laut Fruchtwasseruntersuchung schien er chromosomal unauffällig zu sein. Um die 23. Schwangerschaftswoche bekamen wir einen Operationsplan, wie sein schwerer Herzfehler nach der Geburt operiert werden könne. In meiner Schwangerschaft wusste niemand woran mein Kind leidet und wie es ihm tatsächlich gehen würde, wenn er auf der Welt ist. Ich konnte mein Kind nicht auf Basis einer Ungewissheit abtreiben. Als wir den Operationsplan hatten, da fiel uns schon ein Stein vom Herzen, weil uns dadurch die Entscheidung sehr erleichtert wurde. Aber auch wenn es anders gekommen wäre, ich denke wir hätten uns trotzdem dafür entschieden, Bastian weiterzutragen. Wir wollten ihn einfach so gerne kennen lernen und gaben die Hoffnung nicht auf, diese Gelegenheit zu bekommen.

Habt ihr zwischendurch bereut, dass ihr die Schwangerschaft nicht beendet habt? Wie steht ihr heute dazu?

Aufgrund unseres Wissenstandes in der Schwangerschaft haben wir die beste Entscheidung im Sinne unseres Kindes getroffen und würden alles wieder genauso machen. Da haben wir uns nichts vorzuwerfen, denn wir hatten keine Ahnung vom tatsächlichen Ausmaß seiner Erkrankung. Natürlich gab es immer wieder die Momente, als Bastian bereits auf der Welt war, wo ich mich gefragt habe: Was haben wir diesem Kind angetan? Denn Bastian wurde wirklich ständig untersucht und bekam eine Vielzahl an Medikamenten. Aber es war für uns und Bastians Ärzte oberste Priorität, dass er keine Schmerzen hat. Es gab auch rasch die Entscheidung nicht alles operativ zu behandeln was möglich war – denn SLO ist nicht heilbar – sondern Bastian palliativ zu begleiten. Was uns sehr viel Kraft gab und immer noch gibt, waren die Momente, die Bastian so richtig genoss, z.B. wenn wir ihn Baden durften, oder das Kuscheln mit Mama und Papa. Wenn er merkte, dass wir bei ihm waren, dann war er glücklich. Er hatte uns einfach genauso lieb wie wir ihn, das war ein unfassbar schönes Gefühl und auch einfach die Bestätigung alles richtig gemacht zu haben. Wir konnten zum Glück den ganzen Tag bei ihm sein. Nur ihn am Abend im Krankenhaus zurücklassen, brach mir jedes Mal das Herz.

● Glaubt ihr, dass euer Schmerz größer wurde, dadurch dass ihr Bastian kennen lernen durftet und ihn doch nach drei Monaten wieder loslassen musstet? Oder ist es anders, vielleicht heilsam gewesen ihn selbst die Entscheidung treffen zu lassen?

Ich denke schon, dass der Schmerz größer ist, weil wir Bastian kennengelernt haben. Aber dass wir nichts unversucht gelassen haben und ihm jede uns mögliche Chance gegeben haben, das gibt uns doch ein heilsames Gefühl. Ich denke das war unsere Aufgabe als Eltern, Bastian so lange zu begleiten, wie es uns möglich ist. Wir hätten uns ein gemeinsames Leben mit Bastian sehr gewünscht, auch wenn er schwerstbehindert gewesen wäre. Definitiv hätten wir uns für das Leben mit ihm entschieden, egal wie es ausgesehen hätte.

Hättet ihr ihn weiter am Leben halten können oder bestand diese Option nicht? Du brauchst – we bei allen Fragen – nicht zu antworten, wenn das zu intim ist.

Am Tag vor seinem Tod wurde Bastian noch einmal genauestens untersucht, mit dem Ergebnis, dass sein komplettes Organsystem am Limit ist. Er konnte einfach nicht mehr und wir wussten, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, an dem wir seine Hand loslassen müssen. Es stand schon länger fest, dass er nicht über seine Kräfte hinaus am Leben erhalten werden soll. Alles andere fanden auch wir als seine Eltern ihm gegenüber einfach nicht fair.

Habt ihr euch Hilfe geholt (Therapie, Selbsthilfegruppe o. ähnl.) um dieses traumatische Erlebnis besser verarbeiten zu können?
Ich glaube meine beste Therapeutin bin ich selbst und meine Hilfsmittel sind die Sachen, die ich für Bastian immer noch mache, die Briefe die ich ihm schreibe und die Geschenke, die ich ihm zu Grab bringe. Einfach das Gefühl zu haben, auch über den Tod hinaus etwas für sein Kind tun zu können und die Verbindung aufrecht zu erhalten, das ist, was mir ein bisschen Heilung verschafft. Seit September gehen wir auch einmal im Monat zu einer Selbsthilfegruppe für Sterneneltern (Selbsthilfegruppe Regenbogen Wien).

● Du schreibst weiter deinen Blog, was bewegt dich dazu? Was möchtest du damit erreichen, dass du eure Geschichte öffentlich machst?
Mein Blog ist nach wie vor eine Verbindung zu meinem Kind und ein Ventil, durch das ich meine Gefühle und Gedanken ausdrücken kann. Außerdem möchte ich anderen Betroffenen Mut machen, sich vielleicht auch dafür zu entscheiden, sein Kind weiterzutragen, egal wie aussichtslos vielleicht alles sein mag – denn die Zeit im geschützten und sicheren Mutterleib ist das größte Geschenk, das man einem Baby machen kann. Und zeigen, dass Liebe keine Behinderung kennt, das will ich mit meinem Blog.

Gibt es Foren oder Ähnliches für werdende Eltern, die vor derselben Entscheidung stehen wie ihr in der Schwangerschaft?
Das Forum „Weitertragen“ halte ich für eine sehr gute Anlaufstelle. Und dann gibt es natürlich auch noch Literatur zur – meiner Meinung nach zurecht sehr umstrittenen – Pränataldiagnostik, etwa von Monika Hey: „Mein gläserner Bauch“. Genauso wie Bücher zum Thema „Leben mit behindertem Kind“, mit denen ich mich in meiner Schwangerschaft auch oft beschäftigt habe, etwa mit dem Buch von Mareice Kaiser „Alles inklusive“.
Hast du das Gefühl, dass du nicht mehr die Alte bist durch dieses Erlebnis?

Die gleiche bin ich immer noch. Ich war immer schon ein sehr nachdenklicher, ehrfürchtiger Mensch und habe auch schon vorher nichts für selbstverständlich genommen. Nur das Gefühl von Sicherheit, meinen Optimismus, dass sich doch letztendlich alles zum Guten wendet und dass man der Erschaffer seines eigenen Glücks ist, das sind Dinge, an die ich einfach nicht mehr glaube. Ich bin dieselbe, aber mein Leben ist ein anderes.

Gibt es etwas was dir Kraft oder Halt gibt, so kurz nach dem Tod eures geliebten Kindes? Wie geht es euch als Paar? Wagt ihr schon nach vorne zu blicken?

Nach vorne zu blicken ist noch sehr schwierig, ich denke so weit sind wir noch nicht, aber wir sind zum Glück immer noch ein sehr gutes Team. Es gibt da die besseren Phasen, da erfüllt mich die bedingungslose Liebe zu meinem Kind komplett und ich kann ein bisschen Frieden finden. Aber dann gibt es auch die anderen Phasen, da weiß ich nicht, wie ich es aushalten soll, dass der Kleine nicht mehr bei uns ist. Ich gehe seit Mitte September wieder arbeiten, damit mir zu Hause die Decke nicht auf den Kopf fällt. Die Ablenkung tut mir gut. Es ist aber dann oft schwer daran zu denken, am Abend wieder nach Hause zu gehen und das eigene Kind ist nicht da. Ich glaube es ist zusätzlich noch schwieriger, dass Bastian unser einziges Kind war. Da hat man kein kleines Menschlein, dass man einfach in den Arm nehmen kann, wenn man traurig ist. Das ist schon sehr schwer, wenn man noch spürt wie es sich anfühlte als das Baby auf der Brust lag.

Was würdet ihr werdenden Eltern empfehlen, die ebenfalls eine schlimme schwerwiegende Diagnose erhalten haben?

Wenn dir jemand während deiner Schwangerschaft sagt, dass das Kind in deinem Bauch, das Kind, das du dir so sehr gewünscht hast, vermutlich schwer krank ist, dann reißt dir das erst einmal komplett den Boden unter den Füßen weg. Egal wie es nach so einer Diagnose weitergeht, es ist auf jeden Fall ein Abschied, der dir bevorsteht: Entweder der von der Vorstellung eines gesunden Kindes, oder, ein tatsächlicher, körperlicher Abschied, weil dein Kind nicht überleben wird, ob aus eigenen Kräften oder durch einen Abbruch. Es ist in jedem Fall ein Dilemma. Das ist etwas was für eine werdende Mutter eigentlich unmöglich ist zu akzeptieren. Deshalb ist es auch so schwer eine Empfehlung abzugeben, denn so richtig helfen kann einem in einer solchen Situation letztendlich keiner. Denn das Kind wieder gesundmachen – das Einzige was Hilfe verschaffen würde – das kann niemand. Es ist trotz allem immer ratsam, sich an eine Beratungsstelle zu wenden, so wie wir es getan haben. Denn nach einer negativen Diagnose ist man immer wie vor den Kopf gestoßen. Man bekommt von Ärzten oft das Gefühl vermittelt, sofort entscheiden zu müssen. Oder man hat selbst das Gefühl das „Problem“ schnell wieder los werden zu wollen. Sich zu nichts drängen lassen, das wäre mein größter Tipp. Und sich eine Zweitmeinung einzuholen finde ich wichtig.

● Was hilft euch heute den Schmerz auszuhalten?
Das sind vor allem die Erinnerungen an Bastian, die vielen Fotos und Videos die wir von ihm gemacht haben. Bastian war ein bezauberndes und entzückendes Kind, wir können uns einfach keinen lieberen Sohn vorstellen. Wir hatten die Gelegenheit ihn kennen zu lernen, obwohl wir anfangs gar nicht wussten, ob er die ersten Tage überleben wird. Er schenkte er uns jedoch 97 wertvolle Tage, voll unzähliger schöner Momente. Wir haben die Zeit, die wir zu dritt hatten wirklich ausgekostet und mit sehr viel Liebe gefüllt. Das macht uns dann trotz allem glücklich, auch wenn wir eigentlich unfassbar traurig sind.

Wir lassen Bastian weiterleben, das ist ein schönes Gefühl.

Vielen Dank, dass du so offen mit mir gesprochen hast, liebe Jasmin.

 

(*Alle Links im Interview eingefügt von Sophie)

Webadressen:

[Beitragsbild/ Foto oben: Jasmin und Michael mit der symbolischen Silhouette ihres Sohnes – (c) Oliver Neunteufel]

Eine Landung wie im Traum – unsere kleine Miss ist da!

Kennt ihr diese surrealen Momente, die an Traumepisoden erinnern? Ich habe einige wiederkehrende Träume, darunter Klassiker wie, z.B. dass ich wieder zur Schule gehe. Der Tag der Geburt unserer kleinen Miss vor zwei Wochen war so ein Erlebnis.

Bei einem PLAN-Kaiserschnitt wiegt man sich ja in der trügerischen Sicherheit, dass dieser Eingriff gut organisiert sei. Datum, Uhrzeit alles ist fix. Wobei ich mir ja von Anfang an dachte, wenn die kleine wilde Turnerin nicht doch früher kommt… Aber toi, toi, toi, sie hatte es nicht eilig. So konnten wir am Wochenende zuvor noch in aller Ruhe unseren Hochzeitstag feiern und mit dem Räubersohn bei strahlendem Sonnenschein einen Ausflug unternehmen. Während ich zusehends nervöser wurde, hatte das Krankenhauspersonal v.a. die Ärztinnen die Ruhe weg. Die eigentliche Geburts- und OP-Besprechung fand trotz vehementen Bitten unsererseits erst am Vortag des Eingriffs statt. Gott sei Dank war diese Ärztin freundlich zu gewandt und verständnisvoll. Das komplette Gegenteil der ersten Doktorin, die den letzten Feinultraschall in der Klinik durchführte aber uns, unsere Bedürfnisse, kaum beachtet hat. (Diese hatte mich doch tatsächlich zur normalen Geburt bekehren und in das andere nähere Krankenhaus schicken wollen, in dem unserer erster Liebling fast unter der Geburt gestorben wäre – einfach unfassbar!)

Nun es stand also fest: Morgens um 7.00Uhr mussten wir auf der Matte stehen. Im Krankenaus angekommen, sitzen neben bei der Anmeldung zum Kreissaal eine junge Schwangere und ihr Partner, die uns bekannt vorkommen. Aber sie erkennen uns zuerst: „Ihr wart doch mit uns auf der Neointensiv vor knapp drei Jahren!“ Tatsächlich, das ist ja wie im Film! Die beiden haben einen Sohn, der zwei Tage älter ist als unser Knirps und ebenfalls einen Sauerstoffmangel erlitt, jedoch mit weniger schlimmen Konsequenzen aber einer ebenso bangen Anfangszeit. Nun hocken sie da, schwanger mit dem zweiten Kind, einem Mädchen und haben ihren geplanten Kaiserschnitt am gleichen Tag, direkt vor uns. Verrückte Zufälle in einem verrückten Familienleben. Kein Drehbuchautor hätte sich das besser einfallen lassen können.

Im Vorfeld hatten wir ganz reale Organisationshürden, wie immer: Den kleinen König haben wir für die Zeit, die ich im Krankenhaus bin, in Doppelschichten untergebracht. Wovon die Hauptzeit sowie die erste Nacht, die treuen Großeltern und Paten stemmen mussten, da in den Ferien der Pflegedienst nur dünn besetzt ist. Aber auch unsere Pflegerinnen gaben ihr Möglichstes und kamen sogar am Feiertag, abends und am Entlassungstag, Sonntagvormittags. Da wir erst den dritten Kaiserschnitttermin zugeteilt bekamen, war es klar, dass wir ca. drei Stunden warten müssen. Nüchtern natürlich, und das bei diesen sommerlich heißen Temperaturen. Aber um zehn war der OP noch von den uns bekannten Eltern mit Kaiserschnitt Nr. 2 belegt und wir wurden weiter vertröstet. Wir gingen in den nahen Park, einem alten Friedhof auf dem sich viele Eichhörnchen zwischen riesigen Mammutbäumen tummeln, zwischen schönen, alten Grabsteinen auf denen, die heute wieder modernen, alt-deutschen Namen Paul, Emma und Emil zu lesen sind.

Irgendwann wurde mir doch etwas schwummrig, der Mampa bekam auch Hunger er durfte mit meiner Erlaubnis zwei Brötchen in der Cafeteria verdrücken, ich bekam einen Glucosetropf. Denn ich wollte nicht riskieren, dass ich noch umkippe oder die Maus lasch zur Welt kommt. Die Großeltern und engsten Freunden vertröstete ich derweil mit SMS und Whatsapp Nachrichten, dass sie sich nach der ersten traumatischen Geburt nicht zu viele Sorgen machen. Als es Mittag wurde fragte ich ironisch an, ob sie auf eine bestimmte Uhrzeit am Nachmittag, vielleicht passend zum Datum, warten? Und dann durfte ich endlich in mein schickes Flügelhemd schlüpfen. Wir kamen in den Warteraum, der Vater musste die hübschen grünen OP-Klamotten anziehen.

Dann ging alles sehr, sehr schnell. Ich wurde in den OP-Raum geschoben, die sterilen Folien und Planen wurden aufgepackt, das „schwere Gerät“ gerichtet, drei Spritzen für die spinale Betäubung setzen meine Unterkörper außer Gefecht, man schob mich auf den Tisch. Kurz sackte mein Blutdruck in den Keller, konnte aber schnell wieder hergestellt werden. Dann, eine kurze Ewigkeit später, durfte mein Mann zu mir.

Ritsch, ratsch schritten sie ans Werk. Ich war durch eine gute Freundin vorgewarnt, die komischen Tranchiergeräusche, das Ruckeln und Reißen erschrak mich daher nicht. Und ich hatte Glück, das alle Schritte von den Ärzten kommentiert wurden und ich wusste: So jetzt kommt sie.

Noch beim Herausziehen machte die kleine Miss ihren ersten gurgelnden Schrei.

Sie ist da! Sie schreit laut und kräftig, atmet, ist gesund – unser zweites Wunderkind. Halleluja!

Ein kleines verschmiertes Bündel wird mir gezeigt, kurz gewogen mit dem Papa an der Seite. Dann dürfen wir sie während dem Zunähen schon halten. Sie ist so klein und zart, sieht ihrem Bruder ganz schön ähnlich. Wie schön, das zu erleben, welch ein Segen!

Als wollte sie dieses unvergessliche Erlebnis noch toppen, kriecht sie zurück im Überwachungszimmer, schnüffelnd, sofort an meine Brust. Wie im Lehrfilm und das nach einem Kaiserschnitt, ich bin überwältigt. Meine Piratenprinzessin deine sanfte Landung ist geglückt, endlich bist du bei uns. Du bist perfekt und unser Mut hat sich gelohnt. Nur die Nachwehen reißen mich für eine Weile aus diesem Glücksgefühl. Wir kuscheln abwechselnd den ganzen Nachmittag bis abends. Da schaut dein Brüderchen vorbei, um dich kennen zu lernen. Die Nachwehen kommen wieder aber weniger heftig, die frische Kaiserschnittnarbe schmerzt bei jeder Bewegung. Leider ist kein Familienzimmer frei, der Mapa muss irgendwann gehen.

Die ganze Nacht liegst du bei mir, ich bin erschöpft, glücklich und dankbar.

Ich bin ganz ruhig, alles ist wie es sein sollte, wir sind vereint, alles ist gut.

 

>>Wenn es da ist, werd ich feiern

Ich weiß, da ist noch mehr

Es liegt noch so viel vor mir

Ich lauf noch hinterher

Bis jetzt fühl ich nur die Hälfte

Von allem, was geht

Ich muss noch weitersuchen

Weil immer noch was fehlt

(…)

Ich weiß nicht, wo du bist

Oder wo du wohnst

Aber eins ist sicher

Dass es sich lohnt

Ich bete jede Nacht

Dass ich dich finde

(…)

So soll es sein

So kann es bleiben

Genau so ist es gut

Alles passt perfekt zusammen

Weil endlich alles in mir ruht<<                              ICH+ICH, So soll es bleiben.

Der feine Unterschied: Kann man entspannt schwanger sein, wenn die letzte Schwangerschaft dramatisch endete? Mein Gastbeitrag auf STADT LAND MAMA

Katharina von Stadt Land Mama schreibt: „Ihr Lieben, letzten Oktober haben wir hier den Gastbeitrag von Sophie veröffentlicht. Sie berichtete davon, wie ein Sauerstoffmangel unter der Geburt ihr Leben für immer veränderte – denn ihr Sohn ist aufgrund der Komplikationen behindert. Der Beitrag hat Euch und uns sehr berührt. Nun gibt es wunderware Neuigkeiten von Sophie – sie ist wieder schwanger. Wie sie diese besondere Zeit erlebt und wie es ihrem Sohn heute geht, lest Ihr jetzt:“

Mein Update aus der Anderswelt:

>>Unsere Vorgeschichte: Unsere ersten Jahre als junge Eltern waren bestimmt nicht so, wie man sich das in der Schwangerschaft vorgestellt hat. Durch unvorhersehbare Komplikationen hat unser Liebling bei der Geburt einen schweren Sauerstoffmangel erlitten und kämpfte die ersten Wochen seines Lebens ums Überleben.

Der Sauerstoffmangel hat eine starke Schädigung der Nieren, Epilepsie und hat eine Cerebralparese (ICP) bewirkt, dazu kommen immer wieder neue Begleiterscheinungen und Folgeerkrankungen. Was wir anfangs kaum für möglich gehalten hatten: Wir wurden mit jedem Tag entspannter, lernten viele Handgriffe und bewältigten auch den Umgang mit Ämtern und Versicherungen.

Was in dieser Zeit gewöhnungsbedürftigt war: Wir waren Elternneulinge, konnten uns aber nicht wie andere Eltern ausprobieren, sondern waren ständig von medizinischem, therapeutischem und pflegerischem Fachpersonal umringt – man fühlte sich auch immer etwas unter Beobachtung.

Wie geht es unserem Sohn heute? Er entwickelt sich zwar im Schneckentempo, aber wir freuen uns über jeden kleinen Fortschritt. Er ist insgesamt ruhiger und fröhlicher geworden. Ich wollte auch ein Stück Normalität für uns – und ging mit ihm, neben all den Therapien, zum Pekip oder Mama-Kind-Sport.

Letzten Herbst, mit zwei Jahren, durfte unser Räubersohn endlich in den der Sonderschule angegliederten Kindergarten. Dorthin begleitet ihn eine Pflegerin und ich habe für ein paar Stunden am Tag wieder frei. Das tat und tut mir sehr gut. Ich wollte wieder Teilzeit arbeiten gehen, mich auch noch um andere Sachen kümmern, außer um unser behindertes Kind.

Nochmal guter Hoffnung sein: Ich hatte schon lange Sehnsucht nach einem zweiten Kind. Rückblickend fällt mir auf, dass ich schon früh begann Kleidung zu kaufen, die stillkompatibel ist und für unseren Sohn Klamotten kaufte, die eher unisex waren. Ich spürte, dass wir noch nicht vollzählig waren.

Gott sei Dank fühlte mein Mann das auch.  Mein Mann möchte so gerne erleben, dass ihn jemand Papa nennt – denn sprechen kann unser kleiner Sohn noch nicht. Wir wünschten uns also noch ein Baby – wobei wir manchmal das Gefühl haben, unser Zweieinhalbjähriger wäre noch ein Baby. Nach wie vor braucht er das volle Programm: Füttern, Wickeln, Anziehen und Umhertragen. Er ist auch für sein Alter auch sehr klein, trägt Größe 74/80.  Sitzen, Krabbeln oder auch nur die Hand gezielt zum Mund führen, gelingt ihm aufgrund der ICP bisher nicht…

Ja, wir wünschen uns, einem gesunden Kind bei seiner Entwicklung zuschauen zu können. Ein Kind, das wächst, gedeiht und sich ständig entwickelt. Ich glaube auch, dass ein Geschwisterchen unserem Sohn gut tun wird. Er wäre nicht länger das absolute Zentrum unseres Familien-Universums und könnte sich von dem Geschwisterchen sicher eine Menge abgucken.

Tatsächlich wurde ich unglaublich schnell schwanger – ich konnte es kaum fassen und machte drei Tests, um sicher zu sein. Ich war so glücklich, aber auch unsicher. In der ersten Schwangerschaft hatte ich noch Yoga und gemäßigt Zumba gemacht. Nun war ich jetzt ängstlicher, schonte mich mehr, nicht zuletzt weil ich in der Frühschwangerschaft auch etwas Probleme hatte.

Von Beginn an kamen einige Ängste hoch, zunächst, ob es überhaupt bleiben wird – dann, ob unser Wunschkind auch gesund ist. Ein zweites krankes oder behindertes Kind würde ich vermutlich nicht bewältigen können. Aber ich fragte mich auch: Was passiert, wenn es doch nicht gesund ist? Könnte ich mich wirklich dagegen entscheiden? Wohl kaum, denn schließlich erleben wir doch auch so viel Liebe und Freude mit unserem behinderten Sohnemann.

Mein Mann und ich sprachen lange über all das und entschieden uns gemeinsam gegen die meisten Vorsorgeuntersuchungen. Ich begann zudem in einer Traumatherapie die Erlebnisse der Geburt und die Zeit auf der Intensivstation aufzuarbeiten. Auch der Gedanke, dass die größte Gefahr durch einen Plan-Kaiserschnitt umgangen werden kann, tröstet mich.

Dann der Tag der Feindiagnostik. Als die Ärztin lange am Herzen herum schallte, wurde mir entsetzlich bange. Ich sah uns schon wieder im Krankenhaus auf der Station für Herzkinder…Dann endlich der Satz:  „Es ist alles in Ordnung“. Zehn Finger und Zehen, nichts war zu wenig oder zu viel. Und wir erfuhren dort auch, dass unser Sohn ein Schwesterchen bekommt. Ihr Profil war jetzt schon zum Niederknien süß und lebhaft turnte sie über den Bildschirm des Ultraschallgeräts. Die Erleichterung war riesig und meine Vorfreude ist größer als die Sorgen.

Wie geht es weiter: Natürlich wird der Anfang hart werden – zwei Wickelkinder mit unregelmäßigem Schlaf- und Schreiangewohnheiten. Vieles wird für mich neu sein, auch wenn es mein zweites Kind ist. Zum Glück haben wir gute Pfleger an der Seite, viele gute Freunde und tolle Großeltern. Es wird sicher Zeiten geben, in denen meine Nerven blank liegen. Und auch der Zustand des Sohnes kann sich jederzeit verschlechtern. Aber ich möchte nicht daran denken, ich möchte, dass wir die Zeit zu viert genießen.

Oft höre ich, wie mutig wir seien. Darüber wundere ich mich. Denn schließlich hat doch niemand einen Garantieschein im Leben: Jeder Mensch, jedes Wesen, das man liebt und an das man sich bindet, kann krank werden und stirbt irgendwann. Nur werden solche Gedanken gern bei Seite geschoben. Die eigenen Eltern werden alt, der Partner kann plötzlich einen Schlaganfall bekommen, auch man selbst kann schwer krank werden oder von Geburt an gesunde Kinder können einen Unfall erleiden oder autistische Züge zeigen. Niemand weiß was einem noch bevorsteht, aber deshalb die ganze Zeit vor Angst erstarren? Bestimmt nicht!

Und unsere kleine Miss wird kein schweres Los haben, sondern einen süßen, besonderen Bruder. Vielleicht wird sie dadurch auch einfühlsamer oder auch selbstbewusster.  Die Madame wird uns sagen, was sie braucht, sie wird uns an unsere Grenzen bringen, uns viel Freude bereiten mit jedem kleinen Schritt, den sie tut, und wir werden für sie und den Räubersohn da sein.

Ganz normal, wie es eben so ist in einer Familie. <<

Quelle –STADT LAND MAMA Gastbeitrag Nr. 2 –  und mein erster Gastbeitrag dort vom Oktober 2016.

Wir wünschen Euch allen schöne Osterfeiertage mit euren Lieben, ob in Stadt oder auf dem Land. Die Räuberbande aus der Anderswelt**

Interview bei Phillip Julius e.V.

Heute dürft ihr mal eine Premiere mit uns erleben!

Ich wurde vor kurzem von Nadine Bauer vom Verein Philip Julius e. V. interviewt und gerade ging der Beitrag online. Wir redeten über den Alltag mit unserem Glückskind (ich gebe ihm hier den Namen ‚Felix‘), berufliches und unsere Wünsche.Ein Thema war auch das Vereisen, den der Verein bietet Familien mit behinderten Kindern Unterstützung, wenn sie in den Urlaub zusammen fahren möchten.

Euch allen ein schönes Wochenende! Drückt mir die Daumen, am Montag startet mein neuer Job.

Hier das Interview, das Nadine Bauer mit mir geführt hat:

„Erzähl doch mal …. Sophie!“

Wie sieht Deine Familie aus?
Bisher ganz klassisch wie im Kinderspiel: „Vater, Mutter, Kind“: Papa Mark (37), ich (33) und unser kleiner Felix , er ist gerade zwei geworden. Außerdem sind unsere Eltern im Boot und unsere treuen Paten.

Wann und wie hast Du von der Behinderung Deines Kindes erfahren?
Die Schwangerschaft mit Felix war ohne Komplikationen, er wuchs und gedieh und strampelte wild. Als ich zwei Wochen vor dem Termin einen Blasensprung hatte und die Wehen begannen, rechnete ich mit mit einer ganz normalen Geburt. Doch es kam alles anders: Die Herztöne fiehlen immer wieder ab und schließlich wurde er durch einen Notkaiserschnitt geholt. Felix, atmete nicht von allein und musste gleich auf die Neointensiv gebracht werden, wo er reanimiert und intubiert wurde. Ich sah ihn nicht da ich selbst noch betäubt war. An meinem Mann wurde er schnell im Brutkasten vorbei geschoben. Uns wurde berichtet er hatte dann gleich nach der Geburt noch erste Krampfanfälle. Die ersten Tage scheider auch nichts aus und langerte immer mehr Wasser ein. Nach der unfallgleichen, vereehrenden Geburt war klar, er wird, wenn er die erste Zeit übersteht, viele Einschränkungen haben. Die ersten Monate standen vorallem seine Nieren, die durch den schweren Sauerstoffmangel stark beschädigt wurden, im Vordergrund. Bereits mit einem Monat konnten wir mit der lebensrettenden Bauchfelldialyse beginnen.Dann kamen nach und nach neue Einschränkungen, wie die Cerebralparese mit all ihren Baustellen und weitere Krankeiten, wie die Epilepsie, zum Vorschein.

Inwiefern ist Dein Kind beeinträchtigt und wie gehst Du damit um?
Für uns ist vieles inzwischen normal. Dadurch, dass er zur Zeit keine Nasogastral-Sonde mehr hat, fällt vielen Ausstehstehenden, die nicht vom Fach sind, gar nicht auf den ersten Blick auf, dass er Handicaps hat. Wer sich etwas auskennt sieht seine Spitzfüße, die Rumpfhypotonie, erkennt die typische Handhaltung und Anspannung von Kindern mit Spastiken. Er isst auch sehr langsam, verschluckt sich immer wieder und trinkt nur Schluckweise angedickte Flüssigkeit aus einem Spezialbecher. Seine epileptischen Anfälle sind bisher Gott sei Dank nur ganz klein und kurz. Inzwischen hat Felix einen Schwerbehindertenausweis (100% AG, B, H) und Pflegestufe drei.
Beim Verarbeiten unserer Situation helfen mir viele Gespräche mit Freunden und ein „besonderer“ Mütter-Treff. Der Austausch mit ihnen und das Gefühl nicht alleine zu sein, da ist goldwert! Außerdem verarbeite ich viel dadurch, dass ich einen Blog schreibe (www.sophiesanderswelt.wordpress.com). Es ist aber kein stetes Voranschreiten, im Sinne von „langsam wird alles besser“. Klar wir leben uns schon etwas ein in unserem „Paralleluniversum“, jetzt nach zwei Jahren. Aber je nach dem wie die Umstände sind und was ich um mich herum erlebe, komme ich mehr oder weniger besser klar damit ein behindertes Kind zu haben.

Habt Ihr noch weitere Kinder?
Bisher haben wir noch keine weiteren Kinder, wünschen uns aber ein Geschwisterchen für unseren Räuber. Es wäre für uns alle wundervoll all das normale „Babyzeug“ zu erleben, erste Worte und erste Schritte, solche Dinge. Es wäre auch beruhigend zu wissen, dass sich noch jemand um unseren Sohnemann kümmern kann, wenn wir älter werden.

Wie sieht Dein Alltag aus?
Gerade ändert sich viel. Der kleine Mann darf nämlich seit seinem zweitem Geburtstag im Oktober 2016 in eine sonderpädagische Kita gehen, die Pflegerinnen fahren ihn jeden Schultag dort hin. Das ist eine große Entlastung, jeden Vormittag „frei“ zu haben. Der mobilie Kinderpflegedienst war früher auch seltener meits nur zwei bis drei Mal die Woche da. Jetzt mache ich in Ruhe all Briefe für die Versicherung, fordere Rezepte an, mache neue Arzttermine aus und koche vor, denn er darf nur Ungesalzenes essen. Gott sei Dank geht es nachts einigermaßen gut, da Felix viele Stunden am Stück schläft, wenn er irgendwann zwischen zehn und elf Uhr endlich in den Schlaf gefunden hat. Bald werde ich Teilzeit arbeiten, da bin ich noch gespannt wie wir das alles gewuppt bekommen.

Was macht Dich im Alltag glücklich? Und welche Momente sind hingegen besonders schwer?
Wenn wir Zeit zu Dritt verbringen, ohne Therapien und Arztbesuche, das ist herrlich. Da die Blutwerte unseres Juniors jetzt schon länger für seine Verhältnisse gut sind, bin ich gerade etwas entspannter. So normale Dinge, wie mal auf ein Straßenfest mit Freunden gehen, das ist sehr schön. Etwas traurig bin ich, wenn ich Kinder in seinem Alter sehe, die umher springen,selbst etwas aus der Hand essen und erste kurze Sätze sprechen. Solche Selbstverständlichkeiten fehlen doch sehr. Andereseits bin ich happy, wenn kleine Kinder aus unserr Verwandschaft und dem Freundeskreis lieb zu unserem Goldstück sind, auf ihn zu gehen und versuchen ihn mit einzubeziehen.

Wer betreut Dein Kind? Wie habt Ihr die Pflege organisiiert?
Die meiste Zeit bin ich damit ihm Essen und Trinken zu geben. Auch der ganze Vericherungs- und Ämterkram (Kostenvoranschläge, Hilfsmittelanträge, Widersprüche usw.) ist bei uns sehr zeitaufwendig. Wir haben uns früh professionelle Hilfe durch einen mobilen Kinderpflegedienst geholt. Sie helfen uns mit den Medikamneten, geben Spritzen, messen Blutdruck, inhalieren mit ihm und überwachen seine Anfälle. Immer wieder müssen wir darum kämpfen die Intensivpflegeverordnung behalten zu dürfen. Das heißt ich muss regelmäßig Arztbriefe anfordern, Verlaufsberichte einreichen und alles zig mal begründen – als ob eine chronische Erkrankung und Behinderung, wie von Zauberhand verschwinden könnte! Ich weiß nicht wie ich ohne die Pflegerinnen den Alltag bewältigen könnte. Mein Mann arbeitet Vollzeit, er hat als Berufschullehrer aber relativ humane Arbeitszeiten und Ferien und kümmert er sich in der freien Zeit viel um den Kleinen. Unsere Eltern nehmen Felix in der Regel einmal in der Woche oder begleiten ihn zur Therapie oder zu Artzterminen. Wenn ich bald arbeite gehe, werden die Großeltern uns noch häufiger unterstützen (müssen), sonst würde das alles nicht funktionieren.

Was machst Du beruflich? Und wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
In Zukunft bin ich in Teilzeit als Sozialarbeiterin in einem Schulzentrum angestellt und freue mich schon auf diesen abwechslungsreiche, fordernden Job mit den Kids. Davor war ich als Dozentin an einer pädagogischen Hochschule in der Lehre und Forschung tätig. Da arbeitete ich unregelmäßig auch am Wochenende oder in Kompaktblöcken, das ginge jetzt nicht mehr so gut. Ob das ein Verlust ist oder ein Gewinn, ist eine Frage der Perspektive. Manchmal bin ich auch ganz froh, durch unser privates Chaos so durcheinander gewirbelt worden zu sein. Eine Krise ist ja immer auch eine Chance sich neu zu (er-)finden. Auch als Paar wurden wir noch mehr zusammen geschweißt.

Was bedeutet Urlaub für Euch?
Im Urlaub möchten wir einfach einmal abschalten. Keine Regeln, keine Verpflichtungen. So ein bisschen wie bei der „Sail away“-Werbung. Als unser Liebling noch täglich ca. 8-10 Stunden an der Bauchfelldialyse über Nacht angeschlossen war, konnten wir natürlich keine großen Sprünge machen. Wir ließen uns das Gerät und Zubehör dann in eine Ferienwohnung im Fränkischen liefern. Felix fährt ohnehin nicht besonders gerne Auto und bei größeren Höhenunterschieden spuckt er. Noch immer trauen wir uns höchstens ins deutschsprachige Ausland (Was wäre, wenn die Werte kippen oder er einen schweren Anfall bekäme?) .

Wenn Ihr als Familie gemeinsam Urlaub macht, wie plant Ihr?
Mit Dialyse war es sehr kompilziert, ganze drei Mal rückten Mitarbeiter der Firma bei der Ferienwohnung, der Gott sei Dank verständnissvollen und netten Familie Thiem, in Waischenfeld an. Dann funktionierte der Cycler auch erst nach einem Reset, da lagen die erst Mal Nerven blank. Generell müssen wir viel einpacken und dafür sorgen, dass wir ausreichend Medikamente (sie werden extra in unserer Apotheke in der richtigen Mischung zubereitet) und medizisches Zubehör (Spritzen, Blutdruckgerät, Sonde für den Notall etc.) dabei haben.

Wo habt Ihr Euren schönsten Urlaub verlebt?
Am liebsten vereisen wir mit dem Wohnmobil meiner Schwiegereltern, da bekommen wir fast alles unter, auch die nötigen Hilfsmittel, wie den sperrigen Rehabuggy. Wir planen dann immer kurzer Etappen, wobei wir das je nach Wetter und Gesamtsituation auch mal spontan aufbrehcne oder bleiben. Alle unsere Urlaube waren schön, erholsam und gefühlt viel zu kurz. Gerade der erste zu dritt in der Fränkischen Schweiz wird uns immer in Erinnerung bleiben, weil unser Liebling da beim Wandern durch Wald und Wiesen es endlich duldete im Wagen liegen zu bleiben, wenn auch in einer lustigen „Schildkröten“-Position auf dem Bauch.

Welche Wünsche und Pläne habt Ihr für die Zukunft?
Ich würde gerne einmal wieder in den Norden fahren mit meinen „Jungs“. In Norwegen waren wir bisher nur vor seiner Geburt. Viellicht finde wir nette deutschsprache Ferienwohngsvermieter oder Campingplatzbesitzer? Irgendwann würde ich gerne nochmal nach Marroko oder Thailand, aber ob das jemals wieder gehen wird, das steht in den Sternen. Da wir gerade barrierefrei Bauen, ist Reisen auch nicht unsere erste Priorität.

Den veröffentlichten Text findet ihr auf http://www.phillip-julius.de

Gastbeitrag auf STADT LAND MAMA

Wie spannend 🙂 heute erschien mein Gastbeitrag auf STADT LAND MAMA – vielen Dank Lisa und Katharina, dass ich für eure tolle Seite einen Text verfassen durfte!

Eigentlich hatte ich fest vor über unsere unliebsamen Begleiter Unsicherheit und Angst zu schreiben. (Denn auch in guten Zeiten sind die beiden irgendwie stets präsent und lauern ihm Hintergrund, um plötzlich ohne Vorwarnung heraus zu springen.)

Doch irgendwie hat der Beitrag eine Eigendynamik entwickelt. Es liegt wohl an der Jahreszeit dem Herbst mit seinen Nebelschwaden und dem feuchten Laub am Morgen – und, dass unser kleiner Räuber gerade Geburtstag hatte. Der Tag ist bei uns leider nicht gerade positiv besetzt nach den Erlebnissen vor zwei Jahren…aber wir tun das beste dafür, um einen schönen Festtag daraus zu machen – Ballons, Sekt und Kuchen helfen auf jeden Fall.

Hier findet ihr den Link zu meinem Beitrag auf STADT LAND MAMA: http://www.stadtlandmama.de/content/gastbeitrag-wie-ein-sauerstoffmangel-unter-der-geburt-unser-aller-leben-f%C3%BCr-immer-ver%C3%A4nderte

Von LAND Mama Sophie**

 

Mit weißen Riesen klar kommen. Appell an alle Ärzte, die mit Eltern behinderter Kinder zu tun haben.

Kleine Handreichung für Ärztinnen und Ärzte, die Familien mit schwer kranken oder behinderten Kindern behandeln.

Vorneweg – ich bin der Ansicht, dass Ärzte/innen, Therapeuten/innen UND Eltern ein Team sein sollten. Sie müssen nicht immer der gleichen Meinung sein, auch wenn für beide das Wohl des kleinen Patienten an vorderster Stelle steht. Gegenseitigen Respekt halte ich in dieser professionellen Beziehung für das Wichtigste.

Die Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren in zahlreichen Krankenhäusern und Arztpraxen machen durften, sind sehr unterschiedlich. Wir wurden aufgefangen und vor den Kopf gestoßen, ernst genommen und „zusammen gefaltet“. Ich bedanke mich bei allen Doktoren/innen und Therapeuten/innem, die uns in schweren Zeiten ihre Hand reichten, um das Leben etwas zu erleichtern. Alle die im Gespräch und der Wortwahl rücksichtsvoll waren.  Leider haben wir immer wieder auch andere, unschöne Begegnungen mit Fachpersonal, das unsensibel agiert uns z.B. mit Horrorszenarien erschreckt, uns regelrecht bevormunden möchte und sich nicht in uns hineinversetzen kann oder will.

TIPPS für den Umgang mit Eltern von chronisch kranken/behinderten Kindern:

  • Bitte denken Sie daran, nicht wir sind die Patienten, sondern unser Kind.Wir möchten deshalb nicht mit behandelt werden, sondern auf Augenhöhe in Entscheidungsprozesse miteinbezogen werden. Ein Kind hat meist Mutter UND Vater – bitte sprechen Sie nicht nur zu einem von uns.
  • Wir sind auch keine Krankenpfleger/innen, bitte verstehen Sie wenn wir beim Blutabnehmen oder anderen kleinen Eingriffen nicht assistieren möchten. Unser Kind soll uns ausschließlich als Eltern sehen, wir sind keine Kotherapeuten auch wenn wir viele Übungen mit unseren Lieblingen machen müssen und uns medizinisches Wissen angeeignet haben.
  • Lernen Sie unser Kind und uns bitte zuerst kennen. Fällen sie auch – wenn Sie schon Jahrzehnte Erfahrung haben – nicht nach ein oder zwei kurzen Begegnungen ein Urteil oder eine feste Zukunftsprognose. Bitte seien auch Sie offen für Alternativvorschläge oder ungewöhnliche Entwicklungen.
  • Bitte versuchen Sie sich immer wieder in unsere Lage zu versetzen. Vermeiden Sie alles was ihnen selbst als Vater& Mutter unangenehm wäre. Das heißt nicht, dass sie schwierige Themen ausklammern sollen – nur möglichst transparent darstellen.
  • Ein Kind ist ein Kind, kein Fall oder defektes Objekt, das gerichtet werden muss. Fragen Sie bei heiklen Themen, ob es gewünscht ist, das ohne die Anwesenheit des kleinen Patienten zu besprechen. Eine Auflistung von Defiziten, hilft niemanden, es tut nur furchtbar weh.
  • Nehmen Sie uns bitte nicht den letzten Funken Hoffnung, auch wenn Sie viele negative Fälle erlebt haben. Es gibt nicht immer nur ein Für sondern auch ein Wider. Jede noch so wahrscheinliche (schlechte) Prognose MUSS NICHT so eintreffen.
  • Wir wissen, dass ihr Beruf kein leichter ist und niemand wird ihre Kompetenz in Frage stellen, nur weil Sie zugeben auch einmal unsicher zu sein. Bitte sprechen Sie sich mit ihren Kollegen/innen ab, gegensätzliche Meinungen irritieren unnötig – oder legen Sie uns die beide Standpunkte nahe, damit wir besser verstehen und entscheiden können. Es zeugt zudem von menschlicher Größe, wenn man auch als Profi offen darüber spricht unsicher zu sein oder zu zugeben, dass man sich geirrt hat. (Wir sind nicht versessen auf einen Rechtsstreit, wir haben genug andere Probleme im Alltag)
  • Akzeptieren Sie bitte, wenn wir einen anderen Standpunkt als Sie vertreten. Wir mögen manchmal verunsichert sein, kennen letztlich unser Kind doch am Besten. Fangen Sie nicht immer wieder mit einen Thema an, das wir mehrfach eindeutig verneint haben. Das kostet uns unnötige Kraft und Nerven.
  • Unser Bauchgefühl und Intuition wollen wir nicht übergehen. Wir müssen ein Leben lang mit den Entscheidungen leben, die wir für unser Kind fällen.
  • Wenn wir schwach, labil oder irritiert wirken, versuchen Sie uns mit Hilfe-oder Beratungsstellen zu vernetzen. Unterschätzen Sie uns nicht, nicht nur unsere Kinder auch wir können unglaubliche Kräfte mobilisieren. Aber Unterstützung oder Kontakt zu anderen betroffenen Familien können uns sehr nützlich sein, um mit unserem Schicksal oder unseren Ängsten klar zu kommen. Vertrauen Sie uns, wir möchten zusammen mit Ihnen unserem Kind helfen!

Da diese Tipps im Umgang mit Eltern von chronisch kranken Kindern wie Vorschriften  verstanden werden können, möchte ich darauf hinweisen, dass das nur Vorschläge sind. Sie beruhen auf meiner subjektiven Sicht, die ich aber ihm Austausch mit vielen betroffenen Eltern entworfen habe.

Für alle, die sie noch nicht kennen –  hier ein Link zur Charta für Kinder im Krankenhaus: http://www.akik.de/index.php/fuer-eltern-74572/each-charta

(Für Rückmeldungen bin ich offen, bitte dafür das Kommentarfeld nutzen)