Stillstand -leben in der Blase

Was mich schon immer an kleinen Kindern fasziniert hat, ist wie sie alles aufsaugen, einen nachahmen und sich rasend verändern, wachsen, neue Dinge lernen. Hat man so einen Winzling nur ein paar Wochen nicht gesehen, scheint es schon wieder ein ganz anderes Kind zu sein. Der klassische Oma-Ausspruch „Oh ist der aber groß geworden“ rutscht einem über die Lippen und die Eltern sind stolz wie Bolle. In meinem Pädagogikstudium fand ich besonders Kurse zu Entwicklungspsychologie wie Piaget oder in Ethik das Modell von Kohlberg zur Moralentwicklung unglaublich spannend. In der Schwangerschaft habe ich Woche für Woche mit verfolgt wie unser Junior wächst und sich entwickelt: Jetzt hat er schon Fingernägel, nun ist das Gehör ausgebildet…Dann als er geboren war und Wochen lang ums Überleben kämpfen musste war uns allen klar, dass er nach allem was er durch gestanden hat und  womit er noch immer zu kämpfen hat – von Übelkeit wegen der kaputten Nieren bis Spastiken, Rumpfhyptonie und kleine Anfällen – fortan schier wahnsinnig viel Zeit für jeden noch so kleinen Schritt braucht. Ich übte mich in Geduld.

Wir freuen uns über jede noch so kleine Entwicklung. Immer wieder überrascht er uns, er greift inzwischen nach Holzperlenketten und unser größtes Glück war es bisher, dass er die Nasensonde los bekommen hat nach 1,5 Jahren. Unser Sohnemann versuchte auch sich zu drehen, zu krabbeln, aber dann hört es meist wieder auf. Zwar sind die Großeltern und andere Verwandte und Bekannte unendlich optimistisch. Mir tut es aber weh. Dieses „Das wird schon noch, er braucht nur Zeit.“ Ich kann es bei vielen Dingen nicht mehr glauben und will aufhören mir unrealistische Hoffnungen zu machen. Es ist auch traurig, dass einige einfach nicht wahrhaben wollen, dass er eben behindert ist und, dass das eben nicht weg geht mit Warten oder tausend  noch so tollen Therapien.

Was mich noch mehr bedrückt ist, dass er quasi nicht wächst. Wenn wir mit ihm unterwegs sind, z.B. auf Festen, werden wir gefühlte 200x gefragt „Wie alt ist denn das Baby ?“. (Eine der Smalltalk Fragen, die wie die Rückfrage an kinderlose Paare Mitte 30, „Ob sie nicht mal loslegen wollen, die Uhr tickt“ einfach voll daneben gehen und sehr verletzen kann) Für Verwunderung sorgt, dass das „Baby“ so viele Haare hat. Nur, dass er mit seinen fast zwei kein Baby mehr ist. Dass sehen die Leute eben nicht, da er kaum größer ist als ein 8 Monate altes Kind ist und noch weniger kann. (Nur ein paar Fachleute, Physios und Heilpraktiker erkennen gleich seine ICP an den Spitzfüßen und der Kopfhaltung.) 

Trotz wiederholtem Zahnen und Sabbern, Schreien und was dazu gehört, hat es bisher auch kein Zahn raus geschafft. Woran es genau liegt, dass er so mini ist, weiß niemand. Es könnte sowohl von der Nieren-als auch der Hirnschädigung kommen. Ein paar unserer Ärzte denken sogar, da er dermaßen die Perzentilenkurven gesprengt hat, dass unser kleiner Moppel unterversorgt sei und hören nicht auf uns wegen einer Magensonde (PEG) zu stressen und unter Druck zu setzen. Obwohl das Essen inzwischen toll klappt ,er gern isst (eines der wenigen Dinge die er kann und mag!) und richtige Speckröllchen und ein Doppelkinn hat. Sie meinen ,wir sollen uns freuen, dass er so klein ist, da wäre die Pflege ja leichter

Klar, geht es mehr in die Knochen einen Jugendlichen mit 1,70m zu waschen und zu tragen. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter, wenn ich an die Zukunft denke. Einen jungen Mann noch immer komplett zu versorgen, anzuziehen, Essen geben . Wenn er doch nur etwas selbstständiger werden könnte. Aber selbst für die meisten Hilfsmittel ist er zu klein und zu leicht. Alles muss maßangefertigt werden.Wir bekommen Kleider geschenkt von Freunden deren Kinder über ein Jahr jünger sind als er, was sehr nett und praktisch ist. Aber auch so frustig. Auf Rückfragen von Tanten und Freundinnen welche Kleidergröße er jetzt trägt, kann ich eigentlich immer nur sagen, dieselbe wie vor einem halben Jahr. Sogar manche Hosen von letztem Sommer passen noch.

Seine kleinen Freundinnen und Freunde sagen Baby zu ihm. Decken den Spatz zu wie eine Puppe oder schieben ihn im Lauflernwagen umher. Zuckersüß, aber mir bricht es auch das Herz. „Sie werden so schnell groß“ trifft auf unseren Liebling leider nicht zu. Er scheint seine eigene Zeitrechnung zu haben. Es erinnert mich manchmal an den Film >>Benjamin Button<< wo auch der Lebens- und Zeitverlauf dermaßen auf dem Kopf stehen. Ich komm mir immer wieder wie in einer Blase vor.

Alles verändert sich, nur hier herrscht Stillstand.

(Das Zitat von Julia Engelmann spiegelt wie ich mich immer wieder fühle)

 

Mein Alltag ist der einer Mutter mit krankem Baby. Füttern , Medikamente geben, Trinken einflößen, Krankengymnastik, Essen geben… Ich kann ihm vorsingen, Geschichten erzählen, es kommen nur minimale Reaktionen. Er lautiert kaum, teilt nur manchmal mit meckern mit, was ihn stört.

Natürlich gibt es sie die schönen Momente: Wenn unser Liebling gut drauf ist, sieht er sich neugierig um und wenn wir ihn schaukeln lacht er zauberhaft. Sonst schaut unser Sohnemann einfach gerne dem Spiel von Licht und Schatten oder den Blättern im Wind zu. Er scheint zufrieden zu sein.

Und ich habe Sorge auf ewig ein Baby zu haben und zu versorgen. Bald darf er in die Kita aber die grundlegende Situation bleibt die gleiche.

Aber aus der Blase raus gibt es keinen Weg.

(Bildquelle: https://www.facebook.com/juliaengelmannofficial/photos/a.580008315425033.1073741829.579943082098223/1079070738852119/?type=3&theater )

Who cares? It’s a WOMANsworld

Frauen kümmern sich: Als Dreikäsehoch um ihre Puppen, dann die Kaninchen, als Teenager werden sie Babysitter. Als junge Frau versorgen sie ihre männlichen Wegbegleiter, natürlich die Kinder und wenn es an der Zeit ist, werden von ihnen die Eltern gepflegt, auch seine selbst verständlich.

Diese Auffassung teilen noch erschreckend viele Menschen, und nicht nur die alten Generationen. Auch mit Abitur, Examen oder Masterabschluss ist man – und leider auch all zu oft frau – vor dieser von dieser Gender binären Weltsicht nicht gefeit. Wenn deren Vertreter zumindest erkennen würden, dass es EINE Ansicht ist und nicht eine unumstößliche Weltordnung.Ganze Studienrichtungen setzten sich mit Pflege auseinander und erforschen Care-Berufe. Doch all die Forschung und die gesellschaftlichen Neuerungen wie Elternzeit für Väter  und co, scheinen kaum zu fruchten. Der Geist ist träge…

Diese Überlegungen greife ich nicht aus der Luft. Die Begegnungen der letzten beiden Jahre, die ich als Mutter eines Kindes mit Pflegestufe drei und 100% Schwerbehinderung, zu Hause und leider auch immer wieder in Arztpraxen und Krankenhäusern verbringen „darf“, haben mich wirklich äußerst überrascht. Unfassbar wie die Ansicht, dass Mütter die Hauptverantwortung für die Erziehung und Pflege der Kinder zu tragen haben, sich noch immer in den Köpfen vieler Menschen fest krallt. Darüber stolpern nicht nur wir Frauen und Mütter in unserem Privat- und Arbeitsleben, sondern gerade auch in Familien mit behinderten Kindern –  die Väter. Außerdem, erscheint es mir, trägt die weibliche Welt der Erzieherinnen, Lehrerinnen, Pflegerinnen, Therapeutinnen und Ärztinnen einen nicht zu vernachlässigenden Anteil dazu bei, dass diese Strukturen regelrecht zementiert werden. 

Zusammen mit meinem Mann, der sich nicht „aktiv einbringt“ oder „babysittet“ – sondern als Vater engagiert ist und ernst genommen werden möchte, habe ich die perfidesten Situationen erlebt: Zum Beispiel eine Ärztin im SPZ, die ihn ignoriert und mir bsw. Fragen zur Ernährung unseres Sohn stellen obwohl ER ihn in diesem Moment auf dem Arm hält und füttert. Der Vater ist unsichtbar. Auch Aussagen, wie „So ist es halt, die Frauen kümmern sich um die Kinder“ und „Männer wollen doch gar nicht“, sind schlicht und ergreifend  zu pauschalisierend und damit falsch.  Oft verfallen Familien mit behinderten Kindern in die klassische Rollenaufteilung, die für manche durch aus passt und ich auch nicht schlecht machen möchte – jedem das seine!  Doch da viele Ehen mit behinderten Kindern zerbrechen – vielleicht sollte überlegt werden warum? Wer die Ursache in der Belastung durch die Behinderung sucht greift zu kurz. Natürlich gibt es auch hier in der Anderswelt „Mutterübertiere“, die alles alleine stemmen wollen (oder müssen) und sich nur noch ums Kind und /oder die Krankheit bzw. Behinderung drehen. Aber ist das Etikett „besondere Mutter“ eine Auszeichnung, tut es gut sich ganz damit identifizieren ? (Wobei das bestimmt auch Reslilenz fördern und eine gute Bewältigungsstrategie darstellen kann…das ist wohl aber alles ein anderes Thema) Andere haben keine Wahl, wenn sie von vornherein allein erziehend sind, ihre Partner nicht mit ziehen oder sogar gehen. Eine furchtbare Vorstellung für mich. Wobei ich manchmal auch am liebsten davon laufen möchte vor all den Aufgaben, Verpflichtungen, der erdrückenden Verantwortung.

Wir versuchen bisher so gut es geht ein Team zu sein, auch wenn das gar nicht einfach ist in diesen ausgetrampelten Pfanden. Gerade in diesem dauerhaften Ausnahmezustand möchten wir uns doch ein bisschen Familiennormalität bewahren und einfach gemeinsam die Eltern sein. Und was sehen wir? In der Klinik das Schild „Mutter-Kind-Station“ (vereinzelt mit Eltern-Kind-Aufklebern halbherzig aktualisiert), Regelungen, die es nicht erlauben, dass zwei Elternteile beim Kind übernachten. Gerade bei der Pflege von chronisch kranken und behinderten Kindern, die dauerhaft Unterstützung benötigen ist es doch um so wichtiger, dass beide im Boot sind!

Aber meisten ärgert mich, dass sogar Beratungsstellen und ähnliche pädagogische oder therapeutische Anlaufstellen auch 2016 nicht in der Lage sind sich an Mütter UND Väter zu richten. Gesprächskreis am Vormittag, Spieltreffen für Mütter und Kind nur morgens, sowie diverse Therapieangebote – fantastisch. Wie soll Frau so arbeiten? (Im höchsten Fall der Gefühle, gibt es einen zusätzlichen Papi-Abend. Wobei diese Daddy-Extras auch bei anderen Familien/Elternkursen, wie PeKiP und co eher Alibi-Veranstaltungen  als sinnvolle, durch ihren Inhalt berechtigte ergänzende Angebot für die Väter darstellen, was durch das extra Programm und die Einmaligkeit offensichtlich wird.)

Noch ein paar Termine mehr auf meinen Mutterschultern und der Vater ist immer mehr außen vor. Die pflegende Mutter bündelt alles, gibt Informationen weiter, koordiniert und geht über ihre Grenzen. Arbeiten wir immer schwerer, der Vater wird ebenfalls reduziert auf seine Ernährerrolle und soll tapferer Unterstützer sein. Eine Überforderung für beide, alles in allem ein Kreislauf, der so gar nicht entstehen müsste.

Ich versuche auf diese Schieflage aufmerksam zu machen und hoffe einige Unterstützer und Unterstützerinnen zu finden. Da reden alle von Inklusion und wir haben noch nicht mal Gleichberechtigung!

(Un-)geliebte Überraschungen II – Freiheit, für wie lange?

Die Daily Soap geht weiter. Mit unerwarteten Wendungen zum GUTEN. Vorerst zu mindest.

>Die Fortsetzung. Neue Staffel neues Glück< 

Im neuen Schuljahr 2015/16 sind wir dann gleich zwei Ferien hinter einander in der Klinik, er wird sogar operiert – aber aus erfreulichen Gründen! Die bisher größte unverhoffte Veränderung erreicht uns ebenfalls ziemlich unvorbereitet: Der Kleine kommt im Frühjahr 2016 auf einmal einige Tage ohne Dialyse Hilfe klar, die Pausen werden langsam ausgeweitet und dann das WUNDER – die PD wird ausgesetzt. Ich bin skeptisch, will mich nicht zu früh freuen, aber da der Katheder sich allmählich zusetzt, muss er nach wenigen Wochen entfernt werden, um eine Entzündung zu vermeiden. Unser Sohn hat tatsächlich mehre Wochen keine Dialyse und wird bald den Schlauch im Bauch los haben. Dafür müssen wir wieder eine kleine OP mit Vollnarkose durchstehen. Ich bibbere, denke an den Anruf aus dem OP beim letzten mal als es noch weitere Schritte zu besprechen gab. Es geht alles gut. Schon ein halbes Jahr lebt er jetzt ohne die Bauchfelldialyse.  Sie kann jederzeit wieder nötig werden, meinen die Ärzte. Bei jeder Blutkontrolle steigt mein Adenalinspiegel in der ersten Zeit. Bisher war alles noch in Ordnung.

>Drehbuchautoren, wo bitte bleibt die Spannung?< Ja, ich habe ehrlich gesagt ganz schön Schiss, dass alles ZU GUT ist im Moment und die nächste böse Überraschung schon bereit steht. Wie sehr hoffe ich NICHT Recht damit zu behalten.

Jetzt sind wieder Sommerferien. Das PD-Gerät und das meiste Zubehör wurde inzwischen abgeholt. Das Schlafzimmer wirkt auf einmal richtig groß, so ohne Kartons und Gerätschaften. Und unser Sohn, erlebt nun eine Zeit der Freiheit, die hoffentlich lange anhält. Ich fürchte mich vor dem nächsten Tiefschlag, davor dass diese positive Phase zu Ende geht. Die Schreckensmeldungen aus den Medien von Amok, Terror und Gewalt lassen einen nicht gerade zuversichtlicher werden. Ich habe Angst, dass dies die Ruhe vor dem nächsten Sturm ist. Und hoffe, dass wie schon zuvor die negativen Prognosen nicht in der vorhergesagten Form eintreten, sondern immer Platz für Wunder ist.

>Abspann< 

 

Anfang und Ende, nur ein zarter Faden

Sonnenaufgang , Sonnenuntergang – Geburt und Tod wie nahe diese Schlüsselereignisse des menschlichen Lebens beieinander liegen, darüber möchte man als werdende Mutter eigentlich nicht nachdenken. Selbst über Fehlgeburten wird heute noch immer mehr geschwiegen als gesprochen. Glückwunschkarten spiegeln wider was gesellschaftlicher Konsens ist: Geburt, das ist ein Neuanfang, ein Kind ein Segen.

Auch wir sehen unseren Sohn als ein Geschenk an, unsern kleinen Räubersohn, den wir von Herzen lieben. Das er heute bei uns ist, ist alles andere als selbstverständlich. 

Nur wenigen Generationen vor uns war die Geburt noch das gefährlichste Ereignis im Leben einer Frau. Auch eine meiner Großmütter starb an einer unglücklich geendeten Schwangerschaft. Doch heute in Zeiten von 3D Ultraschall, umfangreicher Vorsorge und Familienzimmer auf der Entbindungsstation -wer erwartet da ein solches Unglück, eine solche lebensbedrohliche Gefahr im Kreisssaal? Zumal nach einer unproblematischen Schwangerschaft. Ich blieb verschont von all den schwerwiegenden Problemen, die in den neun Monaten auf eine werdende Mutter zu kommen können. Auch die schier unendlichen Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik hatten wir nie vor auszuschöpfen. Es wäre doch immer unser Wunschkind auch mit Herzfehler oder Trisomie, oder was man da feststellen aber eben nicht ändern könnte. Da zudem nichts auffällig war bei den Routineuntersuchungen, war ich relativ entspannt. Wie man das nun als Erstgebärende sein kann, der schon so manche unschöne Geburtsgeschichte erzählt wurden.

Ich war aber schon immer neugierig und sehe möglichen Gefahren lieber ins Auge, auch um im Falle des Falles vorbereitet zu sein. Wann wird ein Kaiserschnitt gemacht, was für Probleme können auftreten? Diese Fragen stellte ich mir vor allem in den letzten Monaten. Unsere Hebamme beschrieb den Geburtsvorgang als eine Urgewalt, die man nur wenig steuern kann. Auch als die der größte Gefahr, die einem Baby widerfährt, gleichzeitig schob sie die unangenehmen Themen, wohl um uns ängstliche Baldmamas und -papas zu schonen, an den Rand des Geburtsvorbereitungskurs. Ich selbst hatte auch nicht wirklich Angst nur Respekt vor den Schmerzen und dem enormen Kraftaufwand – aber irgend wie empfand ich auch Vorfreude! Bald sind wir zu dritt, das lebhafte Strampelkerlchen wird uns demnächst Tag und Nacht auf Trapp halten.

Der Tag der Geburt wurde jedoch kein freudiges Ereignis. Beinahe hätte unser Sohn nicht überlebt. Er erlitt aus unbekannten Gründen während oder kurz vor der Geburt einen schweren Sauerstoffmangel, muss reanimiert und anschließend beatmet werden. Er übersteht knapp ein beginnendes Multiorganversagen, das aber unwiderrufliche Schäden hinterlässt. Unser Baby kämpft die ersten Wochen ums Überleben und wir mit ihm. Es ist ein Alptraum aus dem es kein Erwachen gibt. Fast zwei Monate scheint die Situation aussichtslos, dann überwindet er Hürden, die ihm keiner der Ärzte zugetraut hat. Unser Kleiner benötigt keinen Sauerstoff mehr, scheidet aus und kann verlegt werden. Die lebensrettende Dialyse beginnt. Keiner gibt uns je Entwarnung, doch wir merken – er hat es geschafft.

Auf die Freude folgt die Gewissheit. Unser Liebling wird chronisch krank bleiben und behindert. Eine Diagnose wird nicht ausgesprochen nur furchtbare Zukunftsprognosen geäußert. Wir sind erleichtert und am Boden zerstört zugleich. Als er endlich schreit freuen wir uns. Bald hört er kaum noch auf damit und schaut uns an, hält unsere Hand will gar nicht mehr abgelegt werden. Wir gewöhnen uns ganz langsam an all die Schläuche, Spritzen und Medikamente.Wir lassen uns nicht unterkriegen und doch fühle ich mich schon jetzt am Ende meiner Kräfte, unendlich viele Fragezeichen sind in meinem Kopf. Ich habe Angstträume und muss schon jetzt für mein Kind eintreten, das sich nicht äußern kann. Wie kämpft man als Pazifistin? Wie kann man jemanden so unendlich lieben und sich trotzdem Lichtjahre entfernt fühlen? Wie soll man etwas kündigen, für das man sich nicht beworben hat? Bleibt bei all dem noch Hoffnung?

Ohne vernünftigen Grund spüre ich sie leise in mir weiter keimen.

Diesen Sonnenuntergang fotografierte ich aus meinem Zimmer im Krankenhaus wenige Tage nach der Geburt.

>> Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluß!

Es muß ein guter da sein, muß, muß, muß! <<

Brecht, der gute Mensch von Sezuan.

(Un-)geliebte Überraschungen I -Ferien in der Klinik

Ein unglücklicher Start in die Ferien, die unverhoffte Wende und Unsicherheit, die bleibt.

Manchmal komm ich mir etwas vor wie in einer Soap. Mit Cliffhanger und so allem Drum und Dran. Immer wenn ich denke etwas funktioniert, kommt wieder eine Kehrtwende. Und wenn ich mich sorge, klappt plötzlich etwas, das ich nicht oder sogar nie erwartet hätte. – >Dran bleiben es bleibt spannend<  – Als wäre irgendjemanden von uns in irgendeiner Weise langweilig…

In den ersten gemeinsamen Sommerferien, auf die sich nicht nur mein Mann als Neulehrer sehr freute und augenzwinkernd als „Zwangsurlaub“ bezeichnet, planten wir gemeinsam zu verreisen. Doch schon zuvor hatten wir immer wieder Probleme, die Austrittsstelle des Katheders entzündete sich trotz penibler Pflege und Antibiotikasalbe. Die Dialyse weckte uns mit unzähligen schrillen Alarmen. >Ein Index! Merkt der aufmerksame Betrachter< 

Dass das PD-Gerät nicht richtig arbeitet kann viele Gründe haben, Verstopfung und Luft im Bauch können Schwierigkeiten machen, unser Kleiner klemmte auch immer mal wieder den Schlauch mit seinen Beinen ab und vor allem Eiweißfäden können den Auslauf behindern, sie können immer auch Vorboten einer Entzündung sein.. 

Bei einen schönen Sommerspaziergang hatte ich Ende Juli 2015 noch mit der Patentante darüber geredet, dass endlich alles glatt läuft.  Doch als sei uns diese Verschnaufpause nicht vergönnt, wendete sich das Blatt über Nacht Denn am Morgen des letzten Schultags, nach einer kurzen Alarm lastigen Nacht, machte ich wie immer den Leukozyten-Test, der mich zu Anfang immer an einen Schwangerschaftstest erinnerte.> Letzte Folge der Staffel Grund genug für ordentlich Suspence – Großaufnahme < Der Streifen verfärbte sich und zeigte das von mir schon so lange gefürchtete Lila. Es bedeutet: VORSICHT ALARM STUFE ROT – Eine Bauchfellentzündung, das Schreckgespenst aller PD-Patienten. Sie legt nicht nur die Dialyse lahm, sondern kann auch furchtbar schmerzhaft und kann lebensgefährlich werden.  

Der blanke Horror.

Ich rufe in der Kinderklinik an und frage gar nicht was zu tun ist, sondern kündige unser Kommen an.  In meinem Kopf steigen wieder die beklemmenden Erinnerungen an die Intensivzeit auf. >Regieanweisung: Achtung jetzt Rückblende< Die alten Verlustängste warten nur auf eine Gelegenheit wieder hervor zur kriechen. Tausend Gedanken im Kopf: Es kann auch chronisch werden, dann war’s das mit der Dialyse zu Hause, dann geht es Richtung Transplantation (Wobei wir inzwischen wissen dass jede TX auch eine große Chance sein kann). Gleichzeitig der Frust -jetzt also doch wieder in das Krankenhaus. Aber es geht ganz schnell.

Ich packe seine Tasche, ein bisschen wie bei der Geburt, nur das Nötigste nehmen wir mit. Essen, Medikamente für den Tag. Die Pflegerin begleitet uns, mein Mann kommt nach. Wir fahren fast zwei Stunden. Im Radio, Stauwarnungen wegen des Ferienbeginns. Ich bin traurig, enttäuscht und besorgt.So sieht also unser Leben jetzt aus? Ängste, die wahr werden. Andere Familien fahren jetzt in den Urlaub zusammen, wir ins Krankenhaus. Ich könnte heulen.

Der Aufenthalt wird schließlich kürzer als gedacht. Weil wir so schnell gehandelt haben, war es erst eine beginnende Peritonitis. Unser Liebling hat keine Schmerzen, sondern liegt hell wach in seinem Gitterbett mit der altbekannten Elefantenbettwäsche. Heparin und Antibiotika bekommt unser Schatz, mal wieder. Immerhin schlagen die Medikamente schnell an.  Nach einer kurzen Einführung durch die Dialyseschwestern, betreiben wir die PD dann von Hand mit einem Infusionsständer, fünf Einläufe  und Ausläufe sind das pro Nacht. Wir wechseln uns ab und stellen den Wecker, alle eineinhalb Stunde müssen die Beutel getauscht werden. Da wir es selbst übernehmen, müssen wir nicht auf die Intensivstation, dort hätte das Personal auch keine Zeit für dieses langwierige Verfahren.

Dann drei Tage später läuft alles wieder automatisch über den Cycler. Wir dürfen heim. >Happy End – zu dritt mit Dialyse?<  Ein paar Wochen später wagen wir sogar einen Kurzurlaub bei Verwandten, eine angenehme Auszeit, die nach diesem Schreck sehr nötig ist. Für eine Weile haben wir Ruhe zumindest von dieser Baustelle. Zwar geht das PD-Gerät geht zwar einmal kaputt und wird ausgetauscht, aber der Test schlägt nicht mehr an. Wir lernen die Eiweißfäden selbst zu bekämpfen und bekommen die Erlaubnis das von daheim aus zu tun. 

 

 

 

Ich packe meinen Koffer und bin weg – kleine Glücksmomente

Mit Sonde, Dialyse und Medikamenten im Koffer on Tour

Juni 2015, seit fast sechs Monaten waren wir mit ihm raus aus der Klinik und hatten uns soweit zu Hause eingelebt. Die Pflegerinnen sind inzwischen ein eingespieltes Team und wir trauen uns über Pfingsten zehn Tage Urlaub in einer Ferienwohnung im Fränkischen zu machen. Mit Sack und Pack zogen wir los, das hieß in unserem Fall neben dem üblichen Babykram, Kinderwagen, Spucktücher, Windeln, Milchflaschen  jede Menge medizinische Utensilien. Spritzen zum Sondieren, Medikamente, Verbandsmaterial, Desinfektionsmittel und so weiter. Gott sei Dank gibt es den Service  des Dialyse Herstellers, dass sie uns ein PD-Gerät an den Urlaubsort innerhalb der EU liefern. Ich konnte mir trotzdem nur vorstellen in ein deutschsprachiges Land zu fahren. Zu groß war die Angst davor etwas könnte schief gehen, ein Notfall eintreten…  Dank der netten und geduldigen Wohnungsvermieter klappte die Lieferung des Geräts, seines Zubehörs und die Programmierung, drei extra Termine doch sie öffneten immer die Türe und halfen uns so gut sie konnten alles zu organisieren.

Da mein Mann ein beherzter Papa ist, der nicht ohne mit der Wimper zu zucken Windeln wechselt, sondern auch gelernt hat die Nasogastral-Sonde zu legen, war ich guter Dinge. Die Großeltern begleiteten uns bei der Hinfahrt mit ihrem großen Wohnmobil, so konnten wir den Knirps zwischendurch aus dem verhassten Autositz raus nehmen, all unser Gepäck gut verstauen und hatten auch einen fahrenden Kühlschrank dabei. Eineinhalb Wochen ohne Physiotherapie, Logopädie, Pflegedienst und Arzttermine –  nur wir drei. Eine ganz neue Erfahrung, ein kleines Wagnis.

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Auf dem Bauch lässt es sich gut wandern

Und – es ging gut, richtig gut! Wir hatten tolle Tage, vermieden die verhassten Autofahrten, wanderten mit Kinderwagen von Biergarten zu Biergarten. Immer mit dabei die Kühltasche für Medikamente, Tragetasche und Wechselkleider. Der Kleine lag überstreckt wie eh und je auf dem Bauch aber er duldete es zu mindest längere Zeit im Wagen abgelegt zu werden. Er kam aus de Staunen nicht heraus, das Grün das uns auf den Wald- und Wiesenwegen umgab, die Aussicht auf dem Höhenweg, bemooste Felsformationen, die alte Dorflinde, unter der wir Rast machten. Er schnaufte durch und wir mit. Wir waren richtig stolz das alles hinzubekommen.