Ihr Kinderlein kommet – besser nicht. Pläne – Sorgen-Wünsche.

Wieder einmal eine längere Pause, in der ich wenig von mir hören ließ. Bei uns ist viel passiert seit dem Herbst. Ich habe mehrmals hin und her überlegt von was ich berichten soll. (Ein paar meiner Gedanken fanden bereits den Weg in die Winterausgabe des Momo-Magazins). Und nun schreibe ich einfach ein Potpourri von all dem was mir durch den Kopf geht – und doch hat fast alles mit unseren lieben Kleinen zu tun.

Anfangen habe ich diesen Beitrag Anfang Dezember, genauer gesagt on der Nacht auf den vierten Dezember- auch als St. Barbara Tag bekannt. Als Kind liebte ich diesen Brauch, zu Ehren der katholischen Heiligen, Kirschzweige ins Wasser zu stellen, die dann bis Weihnachten zu blühen begann. Am Vortag, dem dritten Dezember, ist der Tag der Menschen mit Behinderung. Und ich frage mich, warum wir eigentlich einen Gedenktag für Lebende brauchen? Für Menschen wie dich und mich – nur mit der Eigenschaft einer, wie auch immer, gearteten Beeinträchtigung? Manche von uns pflegenden Angehörigen können die Floskel „Ich bin nicht behindert, ich werde behindert“ nicht leiden – ich kann das aber gut nachvollziehen. Schließlich fühle ich mich als Mutter eines schwer mehrfach behinderten Räubersohns, der dazu noch unheilbar nierenkrank ist, immer wieder massiv in meinem Leben eingeschränkt, oft regelrecht co-behindert.

Von langer Hand geplant wollte ich am 3. Dezember eigentlich mit meiner Freundin Popcorn im Kino essen und dabei den Dokumentarfilm 》MENSCHENSEIN – Was sind wir für einander?《 anschauen.

Statt dessen sitzen der Räubersohn und ich in der Kinderklinik. Meine Freundin durfte gleich zweimal stationär mit ihrem Großen, der wieder mehr Anfälle hat, seit einem Infekt. Sie verpasste unsere von kreative Mama-Auszeit, die wir auch schon vor Monaten ausgemacht hatten, ebenfalls. Und das erzähle ich nicht, um Mitleid zu erregen. Nein, jeder und jedem kann Unvorhersehbares passieren. Gerade mit kleinen Kindern kommt doch so oft etwas zwischen unsere Pläne und dem, was tatsächlich geschieht. Wie oft setzen, diverse Viren und Kinderkrankheiten, die oft gar nicht so ohne sind, reihum die ganze Familie schachmatt.

Auch bei uns ging es, nach dem „Geburtstagsmonat“ Oktober, los mit Grippe bei mir, dann der zweiten Bronchitis dieses Jahr beim Junior, anschließend Hand-Mund-Fuß bei der kleinen Miss, dann heftige Erkältungen und hartnäckiger Husten bei den Großeltern und dem MaPa und nun schließlich wieder Bronchitis bei unserem Räubersohn. Ein nicht wirklich lustiges Karussell… Denn dieses Mal war sie heftiger als in den Herbstferien. Seine Sättigung war nicht gut, er rang heftig um Luft und auch seine Ausscheidung funktionierte tagsüber nicht richtig. Deshalb gingen wir auf Nummer sicher und ließen uns noch nachts per Krankentransport in die Klinik bringen. Da er im Krankenhaus dann wieder anfing mehr zu Urin zu lassen und der Harnstoffwert etwas fiel, gab es erst mal Entwarnung. Auch das Kortison, das er nun sogar zusätzlich zum Inhalieren und Saft, venös bekam schlug gut an, vorerst zumindest. Wir waren nur wenige Tage in der Kinderklinik und ich bin dankbar, dass wir derzeit kein Dauergast auf Station sind.

Das ist nicht Selbstverständliches mit einem pflegebedürftigen Kind. Wie viele Mütter und auch einige Väter kenne ich, die immer wieder viele Wochen bis sogar Monate mit ihrem Liebling nicht zu Hause sind. Neben dem Bangen um die Gesundheit ihres Kindes, leiden sie oft auch unter der meist noch größeren Fremdbestimmung und fehlenden Privatsphäre im Krankenhaus. Und natürlich auch darunter von der restlichen Familie getrennt zu sein.

Es ist nahezu unmöglich mit einem Kind, das immer wieder schwere Infekte, aufwendige Op’s und ähnliches hat und dabei Begleitung benötigt, berufstätig zu sein. Gerade Das tut mir zur Zeit so gut. Ich habe, nach dem mein erstes befristetes Projekt nun ausläuft parallel dazu eine neue Stelle auf Honorarbasis angenommen, die sogar zu einer festen Teilzeitstelle werden soll. Dass ich einer bezahlten Arbeit nachgehe, erhöht unseren Stresslevel zu Hause und wir brauchen Hilfe – wie so oft von unseren Eltern. Zum Beispiel um den Pflegedienst des kleinen Räubersohns abzulösen bzw. zu vertreten oder die daueraktive Piratenprinzessin zur Kita zu bringen, dort abzuholen und nachmittags zu bespaßen. Auch als ich jetzt, Hals über Kopf, mit unserem Räubersohn abends in die spezialisierte Kinderklinik aufbrach, waren die Großeltern zur Stelle. Die Kleine blieb bei meinen Schwiegereltern über Nacht. Das stellte kein Problem dar, da sie sowieso gerne und regelmäßig bei ihnen ist.

Mit einem Geschwisterkind ist das machbar. Zwei wären für uns im Alltag neben den besonderen Bedürfnissen des großen, kleinen Königs wohl kaum zu bewältigen. Und in solchen Situationen würde es den Omas und Opas sicher zu viel abverlangen, die auch alle inzwischen um die siebzig sind.

So klar die Lage ist, so schade finde ich es trotz allem. Wie gut wäre es für unsere kleine Tochter, wenn sie noch jemanden zum spielen und kabbeln hätte, der ihr mehr Rückmeldung geben könnte. Auch ein Bruder oder eine Schwester, die uns helfen könnten, wenn wir älter werden und uns nicht mehr um den Räubersohn kümmern können oder selbst Unterstützung benötigen. All das lastet auf ihr. (Im Momo-Magazin schrieb ich in der Ausgabe 2019.09 darüber). Da wir beide Einzelkinder er sind, weiß ich welche Verantwortung da auf sie zu kommt.Auch wenn ihr Bruder wieder an die Dialyse muss oder sich seine Krankheiten verschlimmern und er vielleicht keine große Lebenserwartung hat – wer wird sie stützen, wenn es bergab geht? Es wäre schön zu wissen, dass sie nicht alleine da steht – egal was kommen wird.

Trotzdem viele Familien mit schwer kranken und behinderten Kindern entscheiden sich gegen ein weitetes Kind oder können sich höchstens ein Geschwisterchen vorstellen. Und ich verstehe es und ich selbst bin vom Kopf völlig d’acord

Special-needs-Eltern haben soviel gesehen und erlebt. Auch was alles passieren und schief gehen kann – von der Schwangerschaft bis ins Jugendalter – und es ist schwierig das beiseite zu schieben. Auch ich, die ich mich eigentlich über jedes zukünftige Baby im Freundeskreis freue, sorge mich. Ich sehe jede Schwangerschaft als bedrohlich an und bin jedes mal unglaublich erleichtert, wenn die Kleinen wohlbehalten gelandet sind.

Die Diskussion um die Kosten-erstattung pränataler Tests auf mögliche Beeinträchtigungen bzw. Gendefekte habe ich mit gespaltener Seele verfolgt. Fast alle werdenden Eltern, die ich kenne, haben sich für diesen Test entschieden. Doch was bringt es zu erfahren, ob vielleicht eine Trisomie vorliegt? Zumal die wenigsten Ärzte*innen, sie über die möglichen Ergebnisse eingehend aufklären und – wie es mir erscheint – sich auch größtenteils nicht wirklich gut auskennen mit den selten Formen T13 oder T18 sowie der Tatsache, dass es auch Mosaikformen davon gibt. Wem hilft ein solcher Test denn? Ist er unauffällig wiegt man sich in Sicherheit – die aber trügerisch sein kann Schließlich wird nur ein Bruchteil möglicher Erkrankungen und Behinderungen erfasst – zumal viele erst mit der Geburt oder danach entstehen. Und was, wenn der Test auffällig ist? Ohne den kleinen Menschen und Ausprägungsgrad seiner Beeinträchtigungen zu kennen, müssen die werdenden Mütter und Väter sich dann erscheinen, ob sie dieses Kind zur Welt kommen lassen oder einen Abbruch vornehmen.

– Dabei sind teilweise bereits auch Operationen im Mutterleib möglich! Beispielsweise bei manchen bestimmten Herzfehlern, wie es sie bei Trisomie21 häufig gibt, oder andere Eingriffe wie die Op eines offenen Rückens oder das Auffüllen von Fruchtwasser. Der Bundesverband für vorgeburtliche Erkrankungen e. V.berät dazu betroffene Familien. –

Auch das ist in Frauenarztpraxen nicht unbedingt bekannt. Ich verstehe aber auch Familien, die sich ein schwer behindertes Kind nicht zutrauen. Wie soll man sich auch ein Bild machen von dem Leben mit einem pflegebedürftigen Nachwuchs, wenn es doch in der Regel so wenig Kontakte von Menschen ohne Behinderung mit Menschen mit Behinderung und umgekehrt gibt. Wer hingegen schwer Behinderte oder Schwerkranke persönlich kennt, weiß auch um die Einschränkungen und nie endenden Kämpfe, die ein Leben als Angehöriger eines solchen erwarten. Es ist vertrakt.

Ein weiteres Kind mit Behinderung kann ich mir eigentlich auch nicht verkraften in unserem Leben. Ich wüsste nicht wie ich das bewältigen sollte. Gleichzeitig kann ich mir auch fast nicht vorstellen mich gegen ein Kind zu entscheiden. Doch zu dieser Frage sollte es nicht mehr kommen.

Auch bei uns ist kein weiteres Kind geplant. Ich packe alle die herzigen kleinen Babysachen zum Weitergeben in Kisten und Kartons.

Wir sind auch so unglaublich ausgelastet – wenn nicht sogar überlastet – und das in vielerlei Hinsicht. Momentan bin ich sehr froh endlich mal wieder zu Hause raus zu kommen, etwas anderes zu sehen uns zu hören. (Wobei mir auch hier bei den Bewerbungscoaching, die ich zurzeit gebe, immer wieder Young Carerers und junge Menschen mit Beeinträchtigungen begegne).

Einer bezahlten Berufstätigkeit nachzugehen, die meinen Fähigkeiten und meinem Studium zu mindest teilweise entspricht, ist das, was ich mir schon lange gewünscht habe. Ich wusste nur nicht wie ich das auch noch schaffen sollte.

Doch schließlich gibt mir genau diese Auszeit vom Mama- und Pflegealltag auch wieder Kraft. Zumal es mir auch regelmäßig Kopfzerbrechen bereitet, wenn ich an meine bisher spärliche Rentenbescheide denke und daran wie wir dauerhaft mit nur einem Einkommen zu viert hätten klar kommen sollen… „Ihr Kinderlein kommet“, singe ich mit der kleinen Miss und freue mich für meine schwangeren Freundinnen gerade zu Weihnachten – wo sich doch alles um Liebe uns Geburt dreht, wenn man es biblisch betrachtet und nicht nur die vielen Black Fridays davor als Feiertage ansieht.

Ko bin ich auch dieses Jahr und die vielen Aufgaben, Gefechte und so manche Zunftsorgen, lasten weiterhin auf meinen Schultern und bereiten mir nicht selten Unbehagen sowie schlaflose Stunden. Aber trotz allem bin ich endlich auch wieder etwas glücklicher seit langen. Und vorallem dankbar dafür, dass wir vier uns haben, für die Unterstützung durch unsere Familie, Freunde, die zu uns stehen und, dass der MaPa und ich uns weiter aushalten und in wichtigen Dingen zusammen halten. Das ist eigentlich mein größtes Geschenk.

P. S. Wenn ich mich noch nach etwas Kleinem sehne, gibt es langfristig höchstens ein Baby mir Pelz – einen Therapienhund. Aber erstmal müssen wir mindestens eines unserer kleinen Raubtierkinder „stubenrein“ bekommen. Unser nächstes Ziel. Kann man das auch so nennen, wenn man bei deinem Vorstellungsgespräch nach seinen Kurzzeitplänen gefragt wird?

Im Labyrinth der surrealen Dejavues. Endlose Gefechte im Verborgenen.

Seit einigen Wochen dauert sie schon wieder diese Phase, in der ich völlig rotiere, weil fast alles schief geht und ich gegen Mauern laufe. Dann kommen diese großen Wellen. Immer, wenn ich zum Luft schnappen den Kopf über Wasser bekomme, bricht die nächste auf mich ein, meist ohne Vorwarnung. Das ist einer der wiederkehrenden Alpträume, die mich in solchen Zeiten heimsuchen.

Kennt ihr das Gefühl, dass ihr euch fragt wer gerade eigentlich verrückter ist – ihr selbst oder die Welt die euch umgibt? TV oder Zeitung tragen auch nicht gerade zur Ablenkung oder Beruhigung bei mit all dem Terror, bekloppten, despotischen Staatsoberhäuptern und Horrormeldungen von neu erstarkten menschenfeindlichen Rechten im eigenen Land – wenn mein Alltag als pflegende Mutter, oder momentan eher Case Managerin, mich langsam um den Verstand bringt.

Ich habe Déjà Vues und ärgere mich, dass ich mich überhaupt verärgern lasse von all den Abstrusitäten, die uns als Eltern eines schwer behinderten Kindes begegnen.

Wo soll ich anfangen?

Wie jedes Jahr setzt mir die Herbstzeit besonders zu. Die Erinnerungen an die letzten unbeschwerten Wochen meiner Schwangerschaft mit dem Räubersohn, der letzte Urlaub mit Kugelbauch in der Normandie und Familienfeiern im September 2014, flackern auf: Eine liebe Verwandte von uns, die selbst eine Beeinträchtigung hat, feierte damals einen runden Geburtstag. Eine ihrer Schulfreundinnen ebenfalls mit Handicap, die bei dem Fest dabei war, hatte sichtlich Interesse an meinem Babybauch, der ein Monat vor dem Geburtstermin nicht zu übersehen war. Die junge Frau fragte mich nach dem Geschlecht und dann aus dem Blauen heraus: “Und was machst du, wenn es behindert ist?“ Ich weiß noch wie schluckte, welche Hochschwangere würde da eine Antwort parat haben? Und dann sagte ich “Ich würde das Kind natürlich trotzdem lieben.” Und ich ergänzte – war es auch mehr zur ihrer oder meiner Beruhigung – “Aber er ist ja quietschfidel und alle Untersuchungen waren gut.” Nun, es war dann eben nicht alles gut. Und sollte es auch nicht mehr werden. Diese Gedanken gehen mir gerade nicht mehr aus dem Kopf, wie fiese kleine Schadensgeister kreuchen sie durch meine Hirnwindungen und plagen mich. Nicht zuletzt, weil unsere Gute gerade auch ein paar kritische Op’s hatte. Sie, die einst auch als Intensivkind gestartet war, hat sich dafür so prächtig entwickelt. Doch ihre Mutter “darf” auch heute noch alles für sie regeln, um jede Selbstverständlichkeit kämpfen. Obwohl sie längst volljährig ist, kann sie aufgrund ihrer Behinderung eben nie vollkommen selbstständig agieren. Das heißt, man kann es nicht beschönigen, ewige Gebundenheit als Eltern eines Kindes mit Beeinträchtigtungen – man wird nie wieder frei sein. Und sie ist ja noch verhältnismäßig “fit”. Unser Räubersohn spricht ja nicht und kann sich auch um keine seine Grundbedürfnisse kümmern. Mich schaudert es. Dazu kommt, dass wir diesen Monat noch den Termin bei der Ärztekammer haben, die prüft, ob vor vier Jahren ein Ärztefehler vorlag, bei diesen schicksalhaften Stunden, die eigentlich mehr ein Unfall waren, als der Beginn eines neuen Lebens. Nur um Haaresbreite hat unser Liebling das beginnende Multiorganversagen überlebt, das von den Ärzten nicht rechtzeitig erkannt wurde. Nach eine nahezu komplikationsfreien Schwangerschaft, wie aus dem Mutterpass hervorgeht, aber auch auf allen Bildern zu sehen ist. Meine Güte war ich glücklich und am Strahlen, so voll Vorfreude, so ahnungslos. Ich vermisse mein altes optimistisches, zuversichtlicher Ich, von dem ich einiges eingebüßt habe…etwas in mir ist unwiderruflich zerbrochen.

Es ist nicht die Pflege selbst, es ist diese Unfreiheit und Fremdbestimmung, diese unfreiwilligen Gefechte zu denen man als pflegende Eltern dauerhaft gezwungen wird  – das zehrt mich und unzählige andere pflegende Angehörige auf. Es ist wie bei dem Brettspiel „Das verrückte Labyrinth“ – die Wege werden blockiert und verschoben, neue Monster tauchen unerwartet auf – nur, dass die Schätze fehlen…Abgesehen von unseren besonderen Lieblingen.

Die Intensivpflege beispielsweise, um die wir gekämpft haben, können wir jetzt kaum nutzen, da dem Pflegedienst weiterhin Personal fehlt an allen Ecken und Enden. Nach einen anderen, der Kapazität hat oder kooperationsbereit ist, „fahnden“ wir seit längerem. Obwohl beides zum Greifen nahe schien, verpuffte diese Chance über Sommer. Hatten uns bei zwei Pflegedienste noch Mitarbeiter Hoffnung gemacht relativierte es kurz Zeit darauf ein anderer. Ab und an haben wir ein bis zwei Nächte mehr eine Kinderkrankenpflegerin im Haus. Immerhin – aber dafür der ganze Ärger?

Über die Ferien hatten wir tolle Unterstützung durch den Verein  Solidaria e.V. bekommen, der Entlastungsleistungen für Familien mit behinderten Kindern anbietet. Und durch das neue Pflegestärkungsgesetz war es uns endlich möglich im Rahmen der Übergangsregelung nicht verbrauchte Gelder zu nutzen. Das wurde uns von der Pflegekasse auch so erläutert und bewilligt – nur jetzt die Beihilfe des Landes einen Strich durch die Rechnung und das wo wir schon in Vorleistung gegangen sind. Wir waren so froh liebe Betreuungskräfte gefunden zu haben, die uns in den Wochen, in denen wir nur maximal ein bis zwei mal einen Vormittag den Pflegedienst da hatten, unter die Arme griffen. Und jetzt mehr Belastung als Entlastung da die Landesbehörde sich raus nimmt das Bundesgesetz zu ignorieren. (Sie haben dafür jetzt einen anderen Vorschlag wie wir die Entlastungsleistungen evtl. doch noch erstattet bekommen können, ob das wirklich funktioniert wird sich zeigen.)

Da willst du nur noch schreien. Die Zeit, die man braucht um sich mit so einem Rechtskram auseinanderzusetzen würde ich tausendfach besser nutzen können, gerade mit zwei kleinen Kindern. So brauche ich wieder die Großeltern um mich mit derartigem unnötigem Sch*** rumzuärgern. Es ist so überflüssig, ich bin dem so überdrüssig.

Auch die anderen Dinge sind von der Sorte “Grüßendes Murmeltier “:

Neue Methoden zur UK, die wieder einmal ins Leere laufen, Hilfsmittel die nicht richtig oder gar nicht angepasst werden, Fachärzte, die zu keiner Lösung eines medizinischen Problems beitragen aber “sicherheitshalber” einem Angst machen und unsere über Monate gereifte Entscheidung zu einem ambulanten Eingriff in Frage stellen. Beim Eingriff selbst gab es dann self fulfilling prophecy-like natürlich tatsächlich ein paar Schwierigkeiten. Und der Schreck sitzt wieder tief.

Keiner trägt die Verantwortung mit, aber jeder haut nochmal ein Päckchen oben drauf. Und dann die Gewissheit, dass es so bleiben wird. Das diese vielen Operationen und Klinikaufenthalte, die wir in den letzten 12 Monaten mit dem kleinen König durchstehen mussten leider keine Ausnahme bleiben werden. Auch etwas das Außenstehende nicht verstehen. Nur weil man ein Hilfsmittel für bzw. gegen eine Problematik bekommt, ist es bei chronischen Erkrankungen oder Behinderungen damit nicht getan. Selbst nach Op’s ist es nicht behoben, sondern nur eine Frage der Zeit, wann den Kleinen  eine Wiederholung und damit ein weiterer Eingriff bevorsteht oder der nächste Schritt gegangen werden muss.

Und das alles nicht unbedingt für Fortschritte,  sondern eher um das zu erhalten was da ist oder Schmerzen zu mindern.

Das ist nicht zu ändern, das ist so zermürbend.

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Weil es nicht nur uns sondern unzähligen pflegenden Angehörigen so geht, dass sie dringend professionelle Unterstützung und unbürokratische Hilfe benötigen, unterstützen wir die P17 Petition zu Entlastungsleistungen: https://entlastungsbudget.de/p17-kampagnen/ 

Unterschreibt jetzt in eurem Bundesland! Gerade wir Eltern pflegebedürftiger Kindern kümmern uns meist Jahrzehnte um unsere Schätze bis wir selbst krank werden. Das muss sich ändern.

„…dass ihm auch nicht eines fehlet.“ Die oft (noch) nicht bekannte Chance von pränatalen Operationen. Der dritte Teil der Miniserie über das Weitertragen.

Ich möchte euch im dritten Teil der Miniserie über das Weitertragen eine so dramatische wie außergerwöhnliche Geschichte erzählen – oder besser gesagt, die Eltern selbst zu Wort kommen lassen in diesem Gastbeitrag.

Wir kennen uns von Facebook aus der Nierenkinder-Gruppe. Während unser Räubersohn erst durch die Geburtskomplikationen mehrfach behindert und chronisch Nierenkrank wurde, erfuhren die Eltern dieses kleinem Jungen bereits in zweiten Schwangerschaftstrimester von seiner schweren Nierenfehlbildung und dem dadurch ausgelösten Fruchtwassermangel.

Den werdenden Eltern wurde keinerlei Hoffnung gemacht, dass ihr Baby leben könnte. Doch sie gaben nicht auf, wollten ihr Wunschkind mit aller Konsequenz austragen (- wie die beiden anderen bereits vorgestelltenen Familien). Und: Sie fanden einen mutigen Arzt, der sie unterstütze und mit mehreren pränatalen Eingriffen das Leben ihrers ungeborenen Sohnes rettete. Hier berichet das Elternpaar über ihre Erlebnisse, „düstere  Zeit“ und wie sie heute durch ihren Verein „Bundesverband zur Begleitung von Familien vorgeburtlich erkrankter Kinder“ (bfvek)Familien in ähnlichen Situationen helfen möchten:


Am 02.01.2017, in der 19. SSW hatten wir einen Routine-Ultraschall bei unserer Frauenärztin in Würzburg. Der erste, an dem ich als Vater teilnehmen konnte. Wir waren sehr gespannt und hofften das Geschlecht des Kinders zu erfahren. Die Ärztin schallte meine Freundin und sagte dann, dass etwas wenig Fruchtwasser vorhanden sei und ihr Chef noch einmal schallen sollte. Wir wurden nervös und erhielten letztendlich die Diagnose „Fruchtwassermangel“. Aufgrund defekter bzw. kaum im Ultraschall darstellbarer Nieren produzierte unser Kind kein Urin, wodurch kein Fruchtwasser mehr entstand. Das Schlucken des Fruchtwassers ist aber wichtig für die Lungenentwicklung des Kindes.

Wir wurden an die lokale Universitätsklinik weiterüberwiesen. Diese hatte aber erst in zwei Tagen einen Termin für uns. Wir googelten sehr viel, fanden uns aber nicht wirklich mit unserer Diagnose wieder. Das was wir lasen, führte immer zum Tod des Kindes spätestens bei Geburt. Die Ultraschallspezialistin der Klinik war noch im Weihnachtsurlaub, so dass ein Oberarzt die Diagnose bestätigte. Weitere fünf Tage später voller schlafloser Nächte, wurde uns letztendlich von der Ultraschallspezialistin in einem persönlichen und professionellen Gespräch die Optionen „Abtreibung“ und „Stille Geburt“ dargelegt. Wir rechneten schon aufgrund unserer eigenen Recherchen damit, aber es war trotzdem unglaublich hart, es wieder zu hören.
Ein unbeschreiblich großer Schock, da unser Kleines auch noch das langersehnte Ergebnis einer langwierigen Kinderwunschbehandlung war. Wir klärten noch kurz für uns wichtige Punkte mit den Ärzten ab: ist das Leben der Mutter gefährdet – nein. Geht es dem Kind im Mutterleib soweit gut – ja, da die Mutter die Aufgaben der Nieren des Kindes übernimmt. Bis wann sollten wir uns entscheiden – okay.
Betroffen verließen wir gemeinsam das Gebäude der Uniklinik, die Hand auf dem kleinen Schwangerschaftsbauch und nah bei unserem Kind. Wir setzten uns in unser Auto und brachen wieder in Tränen aus, wie schon so viele Male die Tage davor. Ein Lebewesen, dass unschuldiger nicht sein könnte, sollte keine Chance auf ein Leben haben. Ist das gerecht? Warum wir? Warum es? Viele Fragen. Ohne Antworten.
Wir sprachen kurz über die Situation und waren uns sehr schnell einig: wir möchten kein Leben unseres Wunschkindes beenden, wenn es dem Kind gut geht und die Mutter ungefährdet ist. Damit würden wir viel schwerer klarkommen, als mit einer stillen Geburt. Das Kind soll selbst entscheiden wann es gehen will oder nach der Geburt in unseren Armen „einschlafen“ und sich für einen kurzen Moment von seinen Eltern geliebt fühlen.

Wir begannen ein Erlebnistagebuch zu führen, Babybauchabdrücke zu machen und möglichst viel Zeit bewusst und „zusammen“ mit unserem ungeborenen Baby zu verbringen. Wir machten Ausflüge, die man sonst mit Kindern unternimmt: Ponyreiten, ins Playmobilland, ins Kino etc. Wir besuchten die Sternenkindergruppe der Malteser Würzburg (https://www.facebook.com/maltesersternenkinder/) und informierten uns über die Möglichkeiten einer Beerdigung. Meine Freundin begann im Weitertragen-Forum aktiv zu werden. Um auch unsere Familien einzubeziehen organisierten wir einen Familienultraschall bei unserem Frauenarzt, bei dem alle zuschauen konnten. Als hätte unser Kleines es gewusst, sah es auch kurz so aus, als würde es uns im Ultraschall zuwinken. Bei jedem Ultraschall ließen wir Fotos ausdrucken und klebten diese in unser Erlebnistagebuch, dass heute zusammen mit verschiedenen Geschenken und selbstgebastelten Erinnerungen in einer großen Schatztruhe lagert. Sehr bedrückend war es, wenn meine Freundin auf ihren sichtbaren kleinen Schwangerschaftsbauch angesprochen wurde. Oft wurden wir auch mit Unverständnis konfrontiert: „Wie, ihr müsst das Kind jetzt austragen?“. So hart die Worte im ersten Moment waren, so wissen wir doch, dass das weder böse gemeint war oder „auf die Schnelle“ eine adäquate Reaktion einfach ist, noch dass jeder wie wir entscheiden würde. Insofern waren wir hier nie nachtragend – außer gegenüber dem ärztlichen Personal, von dem Professionalität erwartet werden kann. Wir wollten auch das Kind nicht durch ein „neues ersetzen“ oder „tauschen“.

Und so verging die Zeit.

Hier könnte die Geschichte nun vorhersehbar und traurig enden. Das tut sie aber nicht. Denn zwei Wochen nach der Erstdiagnose fanden wir über Bekannte mit Professor Kohl vom DZFT (www.dzft.de) doch noch einen Arzt, der versuchen wollte uns zu helfen. Er garantierte nichts, wir tauschten die 0%-Überlebenschance unseres Kleinen gegen einen Funken Hoffnung ein. Egal wie gering die Chance ist, wer nicht kämpft, hat schon verloren. Das Ergebnis der 6 operativ durchgeführten Fruchtwasserauffüllungen, vieler Schlafloser Nächte, Sorgen, Ängste vorm Blasensprung, einer Frühgeburt und viel viel Daumen drücken heißt Paul, ist heute 8 Monate alt und ein zufriedenes Baby, das auf eine Nierentransplantation hinarbeitet. Bei der ersten Fruchtwasserauffüllung spürte meine Freundin die Bewegungen des Kleinen zum ersten Mal strampeln, er hatte Platz zum Planschen und wir hatten das positive Gefühl, seine (pränatale) Lebensqualität gesteigert zu haben.

Wenn wir heute zurückblicken auf diese Zeit, ist alles sehr weit weg, aber doch irgendwie nahe, da viele der Termine und Ereignisse nun genau ein Jahr vergangen sind. Gerade jetzt als ich diesen Bericht schreibe, waren wir damals so verzweifelt, wie noch nie in unserem Leben. Wir hatten das Glück dieselbe Meinung zu haben, dass wir das Baby weiter austragen und eine positive Zeit als kleine Familie verbringen wollen. Noch viel mehr Glück hatten wir, das unsere Geschichte ein happy end hat.
Heute wissen wir, dass man bei vielen pränatalen Diagnosen etwas Positives bewirken kann. Auch nicht jede Diagnose erweist sich letztendlich als richtig. Und man sollte nicht direkt der ersten Arztmeinung folgen. Es sollte jedes Paar selbst entscheiden, was für sie und das Kind gangbar ist im Kontext der Krankheit des Kindes, der medizinischen Möglichkeiten und der eigenen Ressourcen. Denn auch eine vorgeburtliche Behandlung bedeutet leider nicht ein happy end. Wichtig ist aber immer – und das blieb uns verwehrt – eine unvoreingenommene und umfassende Aufklärung durch die Ärzte. Uns wurde letztendlich von der Behandlung, die unser Kind rettete, abgeraten. Im Nachhinein wurde uns bewusst, dass die Ärzte keinerlei Vorstellungen hatten, wie die Methode funktioniert oder anzuwenden ist. Das müssen sie im Detail auch nicht, dafür gibt es Spezialzentren der höchsten Stufe. Die notwendige Überweisung dorthin fand allerdings nicht statt.

Um Situationen wie du unsrige zukünftig zu vermeiden und betroffenen Eltern zu helfen, haben wir daher einen gemeinnützigen Verein gegründet: den Bundesverband zur Begleitung von Familien vorgeburtlich erkrankter Kinder e.V. (www.bfvek.de / https://www.facebook.com/BFVEK-eV-348044295614894/ )


Danke, dass wir hier unsere Geschichte erzählen und für unsere Sache werben dürften. 

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Wer in Kontakt zu der jungen Familie treten möchte, kann dies über den Verein tun. Außerdem leite ich Nachrichten an sie gerne weiter.

…an dem großen Himmelszelt. Teil zwei der Miniserie über das Weitertragen – das „Überraschungsei“ Mia

 

Im ersten Teil der Miniserie über das Weitertragen berichtete uns Mama Jasmin Verena über die Entscheidung ihren Sohn Bastian, trotz seiner schweren Erkrankung auszutragen und ihm, und sich selbst, die Möglichkeit zu geben, einander kennen zu lernen und liebevolle Augenblicke zu verbringen.

Mir geht bei diesem Thema viel durch den Kopf:

 Ich bewundere die beiden, dass sie diesen Weg gegangen sind. Und gerade als Mutter eines chronisch kranken und mehrfach behinderten Sohnes, der komplett auf Hilfe angewiesen ist und schon viel durchstehen musste (auf der Intensivstation und mit den eineinhalb Jahren Dialyse), verstehe ich auch werdende Eltern, die bei einer schwerwiegenden Diagnose sich gegen ihr Kind entscheiden. Nur, was wirklich auf einen zukommt, das kann keine Untersuchung, kein Mediziner oder Fachforum vorher sagen. Es gibt nicht die Kristallkugel, die genau weiß, wie eine festgestellte Erkrankung oder Behinderung und der Alltag damit aussehen werden. Und niemand kennt die Menschen und ihre Schicksale hinter den Statistiken.

Gerade wurde wieder eine Studie zur Lebensqualität von Kindern mit infantiler Cerebralparese (ICP) veröffentlicht,  – auch, wenn man als halbwegs gesunder, unabhängiger Erwachsener es sich kaum vorstellen kann – die meisten dieser schwer behinderten Kids sind zufrieden und glücklich! Wichtig ist, dass sie über ein gutes Schmerzmanagement verfügen (wofür wir bei unserem Räubersohn seit dem Sommer kämpfen).

Aber die Gleichung: ‚Behinderung und Abhängigkeit, gleich kein glückliches, erfülltes Leben‘ geht so nicht unbedingt auf! Das sollte man nur wissen, gerade wenn man nur Negatives und Beängstigendes an den Kopf geworfen bekommt. Im Fernsehen und anderen Medien werden häufig als “Vorzeigebehinderte”, Menschen mit Downsyndrom (Trisomie 21) gezeigt. Sie haben das positive Stereotyp verpasst bekommen, von fröhlicher, herzlicher Natur sein. Umso erschreckender finde ich, dass trotzdem neun von zehn Kindern, bei denen Trisomie 21 im Mutterleib diagnostiziert wird, abgetrieben werden. Im Wahlkampf diesen Herbst wurde es kurz zum Thema, als die 18-jährige Natalie Dedreux, die selbst Trisomie 21 hat, die Kanzlerin damit konfrontierte, dass sie späte Abtreibungen in Frage stellt: „Ich will nicht abgetrieben werden. Ich will auf der Welt bleiben“, sagte sie Angela Merkel bei der ARD-Wahlarena von Angesicht zu Angesicht.

Auch ich hatte in der Schwangerschaft mit der kleinen Miss Angst wieder ein behindertes Baby zu erwarten. Würden wir das packen, ein zweites Mal bangen, Dauergast in Kliniken zu sein, sich ständig mit der Kranken- und Pflegekasse anzulegen und zu Therapien rennen? Nun, nichts verursacht mir mehr Übelkeit als der Satz “Das würde ich nie an eurer Stelle schaffen!”, denn das weiß man erst, wenn man es ausprobiert hat. An jeder Herausforderung wächst man  – und andere Schicksalsschläge kann man auch nicht ‚eliminieren‘, sei es ein pflegebedürftige Elternteil oder ein schwer erkrankter Partner. Und gegen Kind, als Träger einer Krankheit oder Behinderung, kann man sich nur entscheiden, wenn die Frage überhaupt im Raum steht. Das heißt, wenn die IGeL Leistungen in Anspruch genommen werden, ausführliche Screenings durchgeführt oder das Fruchtwasser untersucht wird. (Leider werden Frauen, vor allem ab 35 immer mehr zu diesen Selbstzahler-Untersuchungen gedrängt. Nur selten werden ‚Defekte‘ bei Routinentersuchungen in der Schwangerschaft festgestellt ) 

Oder man wartet ab – und sagt ohne vermeintliches Sicherheitsnetz JA zu dem kleinen Wesen. So ähnlich wie bei einer Hochzeit, da sagt Braut und Bräutigam schließlich auch ja zu einander, ohne zu wissen, was noch kommen wird…in guten und schlechten Zeiten. Deshalb haben wir fast keine pränatalen Zusatzuntersuchungen vornehmen lassen; wie auch die Eltern von Mia und ihrer Mutter Ulrike*, von denen ich euch nun erzählen möchte.

 Schockstarre und Hoffnungsschimmer  – die Geschichte des „Überraschungsei“Mia* 

Wir kennen uns aus der Frühfördergruppe, die wir ab dem ersten Lebensjahr gemeinsam besuchten (Dort entstand auch das Beitragsfoto, das aber den Räubersohn mit seinem geliebten, glänzendem Baumschmuck zeigt). Mia’s Eltern haben von ihrem „genetischem Sonderprogramm“, wie sie es nennen, erst circa drei Wochen nach ihrer Geburt erfahren. Denn in der Schwangerschaft war überhaupt nichts auffällig und sie hatten auch keine Pränataldiagnostik machen lassen – außer den normalen Ultraschallaufnahmen, nicht mal den Nackenfaltentest.

Ihre Mama Ulrike ist sich sicher: “Bei Mia’s Diagnose hätte man uns definitiv zum Abbruch geraten.” Denn Mia hat Trisomie 18, was von Ärzten meist schonungslos als Todesurteil dargestellt wird. Wie bei der bekannten Trisomie 21, liegt bei betroffenen Menschen ein Chromosom dreifach vor, nur eben nicht das Chromosom 21, sondern 18 (es gibt auch noch weitere Trisomien wie 11, 13 usw. ).

Während das Spektrum bei Downsyndrom von schweren Herzfehlern, Autismusformen bis hin zu “nur” leichten Einschränkungen der Sprache und dem charakteristischen Gesichtszügen reichen kann, ist bei T18 neben möglichen Herzproblemen meist die Atmung betroffen. Ulrike hatte mir zunächst gar nicht verraten was für eine Diagnose ihre Tochter hat. Denn jeder, der sich über das Syndrom informieren möchte, ist erst einmal geschockt, da die Mehrzahl der Kinder die erste Zeit nach der Geburt nicht überleben. Sie hören einfach auf zu atmen. Was für ein beklemmender Albtraum, der aber so nicht immer eintreffen muss!

Denn bei Trisomien müssen nicht immer alle Zellen gleich betroffen sein. Das nennt sich dann “Mosaik-Form” und wie sie sich auswirkt, steht in den Sternen. So leben manche betroffenen Personen gut und lange mit T18, wenn eine Mosaik-Form besteht, obwohl die Lebenserwartung in Fachliteratur meist pauschal als kurz beschrieben wird.

Der Knackpunkt ist, dass diese Sonderform normalerweise nicht direkt beim ersten Test festgestellt wird. Auch Ulrike ist sich nicht sicher, wie sie sich angesichts der Horrorszenarien, die einem vorgestellt werden, entschieden hätte, wenn sie bereits in der Schwangerschaft mit der Diagnose konfrontiert gewesen wären. Sie berichtet mir “Andererseits haben wir uns natürlich bewusst gegen jegliche Pränataldiagnostik entschieden, eben weil uns klar war, dass wir unser Kind auf jeden Fall annehmen – so wie es ist”. In der ersten Zeit bangten die Eltern was auf sie zukommen wird, fragen sich was sie ihrem erstgeborenen Sohn erzählen können. Als sie beschließen umzuziehen, kommt immer wieder die Angst vor dem leeren, zweiten Kinderzimmer auf. Sie treffen auch auf weitere Familien deren Kinder, schon lange mit der gleichen Mosaik-Diagnose leben, sogar schon volljährig sind und eine Ausbildung abgeschlossen haben.

Ihr betreuender Arzt nennt Mia ein Überraschungsei, denn niemand weiß, wie sie sich entwickeln wird. Im zweiten Lebensjahr spricht Mia noch nicht, ihre motorische Entwicklung ist verzögert. Sie mag auch kaum trinken und bekommt Logopädie und Physiotherapie. Die inzwischen Vierjährige wusste schon früh ganz genau was sie will und lässt das auch jeden spüren, wenn ihr was gegen den Strich geht (Wenn wir zum Beispiel einfach in “ihr Auto“ eingestiegen sind). Dann “schimpfte” sie wie eine Große und zog die Augenbrauen zusammen. Doch Mia, der süße Lockenschopf überrascht immer wieder alle, so schiebt sie sich auf einmal beim gemeinsamen Frühstück ein Stück Brezel in den Mund, obwohl sie bis dato nur Püriertes aß. Irgendwann sagt sie „Papa“; zieht sich hoch. Inzwischen geht sie dank dem Einsatz ihrer Eltern und aufgeschlossener Erzieherinnen als Integrationskind in einen Regelkindergarten. Sie war zwischendurch auch wieder in der Kinderklinik, Sättigungsabfälle weckten das “schlafende Angstmonster“. Doch Mia geht weiter ihren Weg lacht, redet, motzt und geht inzwischen sicher auf beiden Beinen durchs Leben.

 

Zum Thema Weitertragen schrieb mir ihre Mutter Ulrike – und das möchte ich hier als Schlusswort stehen lassen:

“Im Blog einer Mama, die ihre Tochter im Alter von 13 Jahren (!) durch die T18 verloren hat, habe ich gelesen, dass sie es schon in der Schwangerschaft wussten, aber es als ihre Aufgabe ansahen, ihrem Kind solange es bei ihnen ist, alle Liebe zu geben wie sie nur können und dass es zu leben verdient hat – und dass es, im schlimmsten Fall, auch eine Beerdigung verdient hat. Und meine Hebamme hat mal gesagt: Wenn du
schon weißt, dass Dein Kind nicht lange leben wird, warum willst Du es dann vorher schon umbringen? Ach, es gibt tausend Für und Wider und ich bin froh, dass
wir nie in dieser Situation waren.
Ich bin deshalb nicht sicher, ob unsere Geschichte beim Weitertragen ‘richtig’ ist, aber eine Geschichte der Hoffnung ist sie auf jeden Fall!”

Ich denke, sie ist hier goldrichtig. Und ich bin sehr froh, dass ich sie euch vorstellen durfte. Es ist nicht alles schwarz oder weiß.

(*Namen anonymisiert)

 

Mehr Informationen zu den genannten Themen:

 

Weißt du wieviel Sternlein stehen. Eine Miniserie über beängstigende Prognosen und das Weitertragen, die Trauer und Hoffnung.

Ich freue mich immer, wenn ich Rückmeldungen von euch BlogleserInnen bekomme. Als mich die Nachricht von Jasmin aus Wien erreichte, war ich tief bewegt. Sie hatte meinen Blog in ihrer Schwangerschaft entdeckt, einer Zeit die von Vorfreude bestimmt sein sollte, bei ihr aber von der Angst überschattet war. Jasmin (30) und ihr Partner Michael (33) haben früh von der schweren Behinderung ihres Babys erfahren. Ihnen wurde von medizinischer Seite zur Abtreibung geraten, aber sie haben sich bewusst für ihr Kind entschieden.

Eltern, die bei Routineuntersuchungen oder nach zusätzlichen Maßnahmen der pränatalen Diagnostik mitgeteilt bekommen, dass ihr Kind nicht gesund sein wird, entscheiden sich mehrheitlich dafür die Schwangerschaft zu beenden. Ich bin kein Abtreibungsgegner, aber aus meiner eigenen Familien- und Bekanntenkreis weiß ich, wie schmerzhaft so eine Entscheidung sein kann und die Betroffenen oft lange darunter leiden. Die werdenden Eltern fühlen sich oft allein gelassen oder sogar gedrängt, ins Besondere, wenn die Prognose einer geringen Lebenserwartung oder mehrfachen Behinderung im Raum steht. Niemand weiß wieviel Freude auch diese Kinder verspüren können und ihren Eltern bereiten. Zweimal habe ich es auch bei Freunden erlebt, dass die Pränataldiagnostik daneben lag. Die beiden Kinder sind heute, nicht wie behauptet, schwer herzkrank oder behindert, sondern kerngesund. Auch uns wurden in der ersten Zeit mit unserem Räubersohn, als er sich zwei Monate auf der Intensivstation zwischen den Welten befand, furchtbare Prognosen mal behutsam angedeutet dann wieder rücksichtslos an den Kopf geworfen, die in dieser Form aber nur teilweise zutrafen.

Jasmin und ihr Freund hatten auch gehofft, dass es sich um einen Irrtum handelt. Doch sie bekamen die Gewissheit, dass ihr Sohn aufgrund eines Syndroms nur eine sehr geringe Überlebenschance hat. Dennoch wollten sie ihn kennen lernen und ihm die Möglichkeit geben selbst zu gehen. Sie bangten und hofften.

Ihr Sohn Bastian kam im Frühjahr 2017 zur Welt. Er wurde nur 97 Tage alt.
Seine Eltern waren über drei Monate in der Klinik an seiner Seite.

Jasmin verarbeitet die Schwangerschaft und den Verlust ihres Sternensohnes auf dem Blog „280 Tage Bauchgefühl“ und ihrer gleichnamigen Facebookseite.  Sie hat mich gebeten hier ihre Geschichte als Gastbeitrag erzählen zu dürfen, um andere Paare zu erreichen, die vielleicht vor einer ähnlichen Entscheidung stehen und sehen, es gibt sie die Möglichkeit des Weitertragens. Auch – oder gerade – wenn am Ende ein Abschied steht, kann es ein Abschied in Dankbarkeit und Liebe sein.

Aus ihrem Wunsch heraus habe ich mich entschieden daraus eine Miniserie zu machen und auch noch die Geschichte von Mia zu erzählen, die wir aus der Frühförderung kennen. Ihre Eltern hatten sich bewusst in der Schwangerschaft gegen erweiterte pränatale Untersuchungen entschieden. Sie erhielten eine ähnlich erschreckende Diagnose kurz nach ihrer Geburt ihrer Tochter. Nur, dass sich Mia bisher entgegnen dieser negativen Prognose wundervoll entwickelt, denn das gibt es auch. Und das möchte ich mit euch teilen von ihr werde ich im zweiten Teil der Serie berichten.

> Wenn ihr eine ähnliche Geschichte erlebt habt, dürft ihr mir gerne schreiben. Gerne können wir noch ein paar Teile daran hängen oder ihr dürft dies als Auftakt einer Blog-Parade nehmen über das Weitertragen und für die Hoffnung.

jasmin und BastianJasmin mit Bastian auf der NICU (Neointensivstation)

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Hier nun das Interview mit Jasmin.

Du schreibst auf deinem Blog “280 Tage Bauchgefühl“ seit dem Anfang deiner Schwangerschaft über diese besondere Zeit, die bei euch leider wenige Wochen nach Geburt eures Babys jäh und schmerzvoll durch den frühen Tod eures Sohnes nach 97 Tagen beendet wurde. Was war der Anlass für dich zu bloggen war es seit der Diagnose Bastians?

Ich war im Jänner 2017 bereits im frühzeitigen Mutterschutz und hatte dadurch viel Zeit, mich mit den ganzen Diagnosen, die uns seit Oktober 2016 über unser Ungeborenes gestellt wurden, auseinanderzusetzen. Man könnte sagen, ich begann das Schreiben meines Blogs aus der Not heraus, aus einer Art persönlicher Hilflosigkeit. Denn es sah bereits zu dieser Zeit alles danach aus als würde es mit diesem Kind kein Happy End geben – und das wollte ich mit aller Kraft verhindern. Drei Monate nach der ersten auffälligen Diagnose hatte ich das Bedürfnis, die für uns so unfassbaren Geschehnisse, das was ich alles so wahnsinnig unfair fand, endlich aufzuschreiben und öffentlich zu machen. Meine Beiträge sind Aufzeichnungen über Untersuchungen und Diagnosen, sowie Abbildungen der Gefühlswelt einer Mutter, die furchtbare Angst hat ihr Kind zu verlieren. Für mich ist „280 Tage Bauchgefühl“ aber auch schlicht und einfach eine Liebeserklärung an mein Kind.

● Als ihr erfahren habt welche schwerwiegende Erkrankung euer Baby hat, konntet ihr das überhaupt realisieren?

Je früher das Stadium meiner Schwangerschaft noch war, desto weniger glaubten wir eigentlich den Vermutungen der Ärzte. Denn man liest im Internet einfach so oft von Fehldiagnosen und dass das Kind trotz einschlägiger Prognosen am Ende doch gesund war. Es gab auch absolut keinen Grund wieso unser Kind nicht gesund sein sollte. Wir waren beide noch relativ jung und in unseren beiden Familien gab es nie irgendwelche Auffälligkeiten. Wir entschieden uns deshalb in der 12. Schwangerschaftswoche, als unser Kind das erste Mal als auffällig bezeichnet wurde, bewusst gegen einen invasiven Eingriff. In der 22. Woche, beim Organscreening *, ich glaube da wurde uns erst so richtig bewusst, dass das Baby in meinem Bauch scheinbar wirklich nicht gesund ist. Aber so hundertprozentig realisierten wir es trotzdem erst, als Bastian auf der Welt war. Und dann als wir endlich die Diagnose hatten, als wir erfuhren, was der Grund für Bastians Krankheit war, fügten sich die ganzen Puzzleteile auch endlich zu einem Ganzen.

● Gab es auch Momente wo dir dein Bauch “fremd” vorkam?

Als Bastian bei mir im Bauch war, war er mir trotz aller negativen Diagnosen nie fremd, im Gegenteil: je mehr schlimme Nachrichten wir über ihn bekamen, desto stärker wurde mein Beschützerinstinkt und damit auch meine Bindung zu ihm. Ich kann mich aber noch an eine Situation erinnern, da sagte man uns nach einer Ultraschalluntersuchung: „Sie können die Schwangerschaft jederzeit beenden“ – diesen einen Satz, den ich keiner Mutter, die sich eigentlich so sehr auf ihr Baby freut, jemals wünsche zu hören. Und als ich mich danach zu Hause hinlegte, da drückte mir das Baby so richtig auf den Bauch. Das ist dann irgendwie wie ein Stich ins Herz. Denn man hat einfach das Gefühl, es lebt und doch ist die ganze Welt gegen dieses Kind.

Wo habt ihr Unterstützung gefunden in dieser ersten schweren Zeit. Wurdet ihr begleitet auf dem Weg?
Unsere Familien und Freunde standen zum Glück hinter uns, aber ich denke am meisten Kraft schöpften wir in uns beiden, in unserer Beziehung und unserem sehr starken Zusammenhalt. Ich denke das half uns am meisten, nicht an dieser Situation zu zerbrechen und den Weg gemeinsam zu gehen. Als wir im Oktober die erste auffällige Diagnose bekamen, wandten wir uns außerdem an eine Beratungsstelle (Nanaya, Wien), die uns eine erste Orientierungshilfe inklusive weiterführender Hilfestellungen (Literatur, Websites etc.) bot. Und wir kamen auch nach Bastians Geburt alle zwei Wochen dorthin und führten Gesprächsrunden, die für uns sehr wertvoll waren.

Ihr habt euch für das Weitertragen entschieden. Was hat euch dazu bewogen? Spielten Dinge wie Religion oder Hoffnung auf ein Wunder dabei eine Rolle? Oder bist du generell gegen Abtreibungen? Schwangerschaftsabbruch – Ja oder Nein – das ist wohl eines der kontroversesten Themen überhaupt. Das muss jede Mutter selbst für sich entscheiden, und zwar erst dann, wenn sie wirklich in dieser Situation ist. Da gibt es kein Patentrezept was die bessere Entscheidung ist und es bringt auch nichts, über irgendjemanden zu urteilen. Ich denke, dass keine Frau die Entscheidung für einen Abbruch leichtfertig trifft, im Gegenteil, es ist vermutlich die schwierigste Entscheidung ihres ganzen Lebens.

In unserem Fall waren es weder eine religiöse Einstellung oder die Hoffnung auf ein Wunder, die uns unsere Entscheidung zum Weitertragen treffen ließen. Klar hofften wir immer: vielleicht wäre letztendlich alles doch halb so schlimm. Aber der Grund für die Entscheidung war ein ganz einfacher: Ich konnte mich nicht von diesem Baby trennen. Es war das Wichtigste, was ich hatte und ich wollte ihm jede Chance geben, die ich ihm geben konnte. Wir hätten beide für dieses Kind wirklich alles getan. Man fragt sich im Vorfeld aber natürlich schon, wie hoch der Preis ist, den man zu zahlen bereit ist und wie hoch jener, den sein Kind womöglich zahlen muss, das kann ich nicht leugnen. Aber es kann niemand in die Zukunft schauen.

Wie haben eure Familie, eure Freunde und Umfeld reagiert? Da es wohl keine schmerzvollere Erfahrung gibt, als ein geliebtes Kind zu verlieren, ist es bestimmt nach wie vor ein großes Tabu. Musstet ihr euch schlimme Aussagen anhören oder bestärkten euch eure Vertrauten, haben sich Menschen von euch abgewandt?

Abgewandt hat sich zum Glück niemand von uns. Aber es sind viele natürlich vorsichtig und haben Angst etwas Falsches zu sagen und sagen deshalb lieber gar nichts. Ich denke aber es ist für Außenstehende schwierig, denn wenn man gerade sein Kind beerdigt hat, dann kriegt man wirklich schnell alles in den falschen Hals und legt jeden Satz auf die Goldwaage. Ich muss zugeben, ich ziehe mich auch selbst ein bisschen zurück, weil es einfach unheimlich schwer ist, glückliche Familien zu sehen, wenn ich meine eigene Familie gerade verloren habe. Als es um die Entscheidung ging, ob ich das Kind austragen werde oder nicht, da kamen schon hin und wieder Sätze wie: „Ich kenne da jemanden mit einem schwer behinderten Kind.“ Dass die Beziehung daran zerbrochen sei und so weiter, dass man sich das Ganze gut überlegen solle. Ich empfand diese Sätze oft als übergriffig, als einen Eingriff in die Beziehung zwischen mir und meinem Kind. Für mich war die zu erwartende Behinderung meines Kindes nämlich schier ein aufgedrückter Stempel, etwas von außen Kreiertes. Das Attribut „behindert“, das meinem Ungeborenen zugeschrieben wurde, machte für mich einfach keinen Unterschied in meiner Liebe oder meinen Gefühlen zu ihm.

Wart ihr umfassend informiert über die Erkrankung eures Sohnes? Wusstet ihr auch welche Ausprägung des SLO-Syndroms (Smith-Lemli-Opitz-Syndrom) er hat? Wo habt ihr euch seriöse Informationen geholt, was könnt ihr empfehlen, wovon abraten?

Als wir fünf Wochen nach Bastians Geburt endlich die Diagnose hatten, informierten wir uns natürlich im Internet und fanden überdies ein sehr informatives Buch zu dieser Erkrankung. (Dorothea Haas u.a.: „Das SLO-Syndrom“). Außerdem sind wir seit Bastians Diagnose Teil einer Facebook-Gruppe von weltweit betroffenen Familien. In dieser Gruppe sind wir immer noch aktiv, auch wenn Bastian nicht mehr bei uns ist. Die Bilder von anderen Kindern mit der gleichen Erkrankung zu sehen und die Berichte der Eltern zu lesen, ist für uns immer noch eine besondere Verbindung zu Bastian, denn man erkennt so vieles von ihm in diesen Kindern.

Wir wussten auch rasch – weil es einfach in jeder Beschreibung zum SLO-Syndrom vorkommt – dass Bastians Ausprägung aufgrund seiner organischen Probleme zur schweren Form gehört, bei der die Kinder eine nur sehr kurze Lebenserwartung haben. Auch im Krankenhaus bei unseren regelmäßigen Besprechungen sagte man uns, dass Bastian vermutlich nicht sehr alt werden würde.

Was hat euch geholfen eure Wahl zu treffen? Hattet ihr Kontakt zu Familien mit ähnlichen Erlebnissen oder die Kinder mit der gleichen Erkrankung haben?

Was uns die Entscheidung wahnsinnig erleichtert hat, war, dass es für Bastian, als er in meinem Bauch war, eigentlich lange Zeit Hoffnung gab, denn laut Fruchtwasseruntersuchung schien er chromosomal unauffällig zu sein. Um die 23. Schwangerschaftswoche bekamen wir einen Operationsplan, wie sein schwerer Herzfehler nach der Geburt operiert werden könne. In meiner Schwangerschaft wusste niemand woran mein Kind leidet und wie es ihm tatsächlich gehen würde, wenn er auf der Welt ist. Ich konnte mein Kind nicht auf Basis einer Ungewissheit abtreiben. Als wir den Operationsplan hatten, da fiel uns schon ein Stein vom Herzen, weil uns dadurch die Entscheidung sehr erleichtert wurde. Aber auch wenn es anders gekommen wäre, ich denke wir hätten uns trotzdem dafür entschieden, Bastian weiterzutragen. Wir wollten ihn einfach so gerne kennen lernen und gaben die Hoffnung nicht auf, diese Gelegenheit zu bekommen.

Habt ihr zwischendurch bereut, dass ihr die Schwangerschaft nicht beendet habt? Wie steht ihr heute dazu?

Aufgrund unseres Wissenstandes in der Schwangerschaft haben wir die beste Entscheidung im Sinne unseres Kindes getroffen und würden alles wieder genauso machen. Da haben wir uns nichts vorzuwerfen, denn wir hatten keine Ahnung vom tatsächlichen Ausmaß seiner Erkrankung. Natürlich gab es immer wieder die Momente, als Bastian bereits auf der Welt war, wo ich mich gefragt habe: Was haben wir diesem Kind angetan? Denn Bastian wurde wirklich ständig untersucht und bekam eine Vielzahl an Medikamenten. Aber es war für uns und Bastians Ärzte oberste Priorität, dass er keine Schmerzen hat. Es gab auch rasch die Entscheidung nicht alles operativ zu behandeln was möglich war – denn SLO ist nicht heilbar – sondern Bastian palliativ zu begleiten. Was uns sehr viel Kraft gab und immer noch gibt, waren die Momente, die Bastian so richtig genoss, z.B. wenn wir ihn Baden durften, oder das Kuscheln mit Mama und Papa. Wenn er merkte, dass wir bei ihm waren, dann war er glücklich. Er hatte uns einfach genauso lieb wie wir ihn, das war ein unfassbar schönes Gefühl und auch einfach die Bestätigung alles richtig gemacht zu haben. Wir konnten zum Glück den ganzen Tag bei ihm sein. Nur ihn am Abend im Krankenhaus zurücklassen, brach mir jedes Mal das Herz.

● Glaubt ihr, dass euer Schmerz größer wurde, dadurch dass ihr Bastian kennen lernen durftet und ihn doch nach drei Monaten wieder loslassen musstet? Oder ist es anders, vielleicht heilsam gewesen ihn selbst die Entscheidung treffen zu lassen?

Ich denke schon, dass der Schmerz größer ist, weil wir Bastian kennengelernt haben. Aber dass wir nichts unversucht gelassen haben und ihm jede uns mögliche Chance gegeben haben, das gibt uns doch ein heilsames Gefühl. Ich denke das war unsere Aufgabe als Eltern, Bastian so lange zu begleiten, wie es uns möglich ist. Wir hätten uns ein gemeinsames Leben mit Bastian sehr gewünscht, auch wenn er schwerstbehindert gewesen wäre. Definitiv hätten wir uns für das Leben mit ihm entschieden, egal wie es ausgesehen hätte.

Hättet ihr ihn weiter am Leben halten können oder bestand diese Option nicht? Du brauchst – we bei allen Fragen – nicht zu antworten, wenn das zu intim ist.

Am Tag vor seinem Tod wurde Bastian noch einmal genauestens untersucht, mit dem Ergebnis, dass sein komplettes Organsystem am Limit ist. Er konnte einfach nicht mehr und wir wussten, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, an dem wir seine Hand loslassen müssen. Es stand schon länger fest, dass er nicht über seine Kräfte hinaus am Leben erhalten werden soll. Alles andere fanden auch wir als seine Eltern ihm gegenüber einfach nicht fair.

Habt ihr euch Hilfe geholt (Therapie, Selbsthilfegruppe o. ähnl.) um dieses traumatische Erlebnis besser verarbeiten zu können?
Ich glaube meine beste Therapeutin bin ich selbst und meine Hilfsmittel sind die Sachen, die ich für Bastian immer noch mache, die Briefe die ich ihm schreibe und die Geschenke, die ich ihm zu Grab bringe. Einfach das Gefühl zu haben, auch über den Tod hinaus etwas für sein Kind tun zu können und die Verbindung aufrecht zu erhalten, das ist, was mir ein bisschen Heilung verschafft. Seit September gehen wir auch einmal im Monat zu einer Selbsthilfegruppe für Sterneneltern (Selbsthilfegruppe Regenbogen Wien).

● Du schreibst weiter deinen Blog, was bewegt dich dazu? Was möchtest du damit erreichen, dass du eure Geschichte öffentlich machst?
Mein Blog ist nach wie vor eine Verbindung zu meinem Kind und ein Ventil, durch das ich meine Gefühle und Gedanken ausdrücken kann. Außerdem möchte ich anderen Betroffenen Mut machen, sich vielleicht auch dafür zu entscheiden, sein Kind weiterzutragen, egal wie aussichtslos vielleicht alles sein mag – denn die Zeit im geschützten und sicheren Mutterleib ist das größte Geschenk, das man einem Baby machen kann. Und zeigen, dass Liebe keine Behinderung kennt, das will ich mit meinem Blog.

Gibt es Foren oder Ähnliches für werdende Eltern, die vor derselben Entscheidung stehen wie ihr in der Schwangerschaft?
Das Forum „Weitertragen“ halte ich für eine sehr gute Anlaufstelle. Und dann gibt es natürlich auch noch Literatur zur – meiner Meinung nach zurecht sehr umstrittenen – Pränataldiagnostik, etwa von Monika Hey: „Mein gläserner Bauch“. Genauso wie Bücher zum Thema „Leben mit behindertem Kind“, mit denen ich mich in meiner Schwangerschaft auch oft beschäftigt habe, etwa mit dem Buch von Mareice Kaiser „Alles inklusive“.
Hast du das Gefühl, dass du nicht mehr die Alte bist durch dieses Erlebnis?

Die gleiche bin ich immer noch. Ich war immer schon ein sehr nachdenklicher, ehrfürchtiger Mensch und habe auch schon vorher nichts für selbstverständlich genommen. Nur das Gefühl von Sicherheit, meinen Optimismus, dass sich doch letztendlich alles zum Guten wendet und dass man der Erschaffer seines eigenen Glücks ist, das sind Dinge, an die ich einfach nicht mehr glaube. Ich bin dieselbe, aber mein Leben ist ein anderes.

Gibt es etwas was dir Kraft oder Halt gibt, so kurz nach dem Tod eures geliebten Kindes? Wie geht es euch als Paar? Wagt ihr schon nach vorne zu blicken?

Nach vorne zu blicken ist noch sehr schwierig, ich denke so weit sind wir noch nicht, aber wir sind zum Glück immer noch ein sehr gutes Team. Es gibt da die besseren Phasen, da erfüllt mich die bedingungslose Liebe zu meinem Kind komplett und ich kann ein bisschen Frieden finden. Aber dann gibt es auch die anderen Phasen, da weiß ich nicht, wie ich es aushalten soll, dass der Kleine nicht mehr bei uns ist. Ich gehe seit Mitte September wieder arbeiten, damit mir zu Hause die Decke nicht auf den Kopf fällt. Die Ablenkung tut mir gut. Es ist aber dann oft schwer daran zu denken, am Abend wieder nach Hause zu gehen und das eigene Kind ist nicht da. Ich glaube es ist zusätzlich noch schwieriger, dass Bastian unser einziges Kind war. Da hat man kein kleines Menschlein, dass man einfach in den Arm nehmen kann, wenn man traurig ist. Das ist schon sehr schwer, wenn man noch spürt wie es sich anfühlte als das Baby auf der Brust lag.

Was würdet ihr werdenden Eltern empfehlen, die ebenfalls eine schlimme schwerwiegende Diagnose erhalten haben?

Wenn dir jemand während deiner Schwangerschaft sagt, dass das Kind in deinem Bauch, das Kind, das du dir so sehr gewünscht hast, vermutlich schwer krank ist, dann reißt dir das erst einmal komplett den Boden unter den Füßen weg. Egal wie es nach so einer Diagnose weitergeht, es ist auf jeden Fall ein Abschied, der dir bevorsteht: Entweder der von der Vorstellung eines gesunden Kindes, oder, ein tatsächlicher, körperlicher Abschied, weil dein Kind nicht überleben wird, ob aus eigenen Kräften oder durch einen Abbruch. Es ist in jedem Fall ein Dilemma. Das ist etwas was für eine werdende Mutter eigentlich unmöglich ist zu akzeptieren. Deshalb ist es auch so schwer eine Empfehlung abzugeben, denn so richtig helfen kann einem in einer solchen Situation letztendlich keiner. Denn das Kind wieder gesundmachen – das Einzige was Hilfe verschaffen würde – das kann niemand. Es ist trotz allem immer ratsam, sich an eine Beratungsstelle zu wenden, so wie wir es getan haben. Denn nach einer negativen Diagnose ist man immer wie vor den Kopf gestoßen. Man bekommt von Ärzten oft das Gefühl vermittelt, sofort entscheiden zu müssen. Oder man hat selbst das Gefühl das „Problem“ schnell wieder los werden zu wollen. Sich zu nichts drängen lassen, das wäre mein größter Tipp. Und sich eine Zweitmeinung einzuholen finde ich wichtig.

● Was hilft euch heute den Schmerz auszuhalten?
Das sind vor allem die Erinnerungen an Bastian, die vielen Fotos und Videos die wir von ihm gemacht haben. Bastian war ein bezauberndes und entzückendes Kind, wir können uns einfach keinen lieberen Sohn vorstellen. Wir hatten die Gelegenheit ihn kennen zu lernen, obwohl wir anfangs gar nicht wussten, ob er die ersten Tage überleben wird. Er schenkte er uns jedoch 97 wertvolle Tage, voll unzähliger schöner Momente. Wir haben die Zeit, die wir zu dritt hatten wirklich ausgekostet und mit sehr viel Liebe gefüllt. Das macht uns dann trotz allem glücklich, auch wenn wir eigentlich unfassbar traurig sind.

Wir lassen Bastian weiterleben, das ist ein schönes Gefühl.

Vielen Dank, dass du so offen mit mir gesprochen hast, liebe Jasmin.

 

(*Alle Links im Interview eingefügt von Sophie)

Webadressen:

[Beitragsbild/ Foto oben: Jasmin und Michael mit der symbolischen Silhouette ihres Sohnes – (c) Oliver Neunteufel]

Grau-bunte Erinnerungen im Herbst

20171007_123006Goldener Sonnenschein, bunte Weinberge, angenehme Temperaturen und leuchtende lila Astern. Ich liebe es, wenn es Herbst wird. Dann lesen wir bei den Schwiegereltern Äpfel zusammen, hölen gemeinsam zu Hause Kürbisse aus, und ich krümmele Streusel über Zwetschgendatschi. Das macht mir schon immer viel Spaß in dieser Jahreszeit. Schöner kann es nur noch mit Kindern werden: Kleine Hände, die Kastanien sammeln, mit Gummistiefel in Pfützen hüpfen, über die Felder mit dem Drachen rennen, wie in meiner Kindheit. Auf all das habe ich mich sehr gefreut.

Vor vier Jahren schien diese langgehegte Sehnsucht dann endlich wahr zu werden. Ein kleiner Mensch war endlich bei mir eingezogen und wir platzten förmlich vor Glück und Vorfreude. Auf dem Herbstmarkt gab ich Acht; kein Quittensekt oder Rohmilchkäse sollten es sein. Ich stöberte durch den Bücherstand und sah mir wundervolle Ideen für Spielgärten an, bewachsene Weidentippis und ausgefallene Baumhäuser. In Gedanken sah ich unseren kleinen Robin Hood oder eine freche Merida schon durch die Wiese am Waldrand streifen.

Zum Geburtstag meines Mannes verrieten wir dann unser süßes Geheimnis. Störche hatte er geschmiedet und das war einfach eindeutig. Unsere Familien waren mit uns im Glück, schon im Frühsommer würden sie Großeltern werden. Mit meiner Mutter ging ich auf einen schönen Kunsthandwerkermarkt im einem alten Fachwerkhaus bei Vaihingen, bei dem ich ihr schon als kleines Mädchen eine niedliche  Babypuppe aus Stoff abgebettelt habe. Jetzt erwartete ich selbst ein Baby und schaute selig den anderen jungen Familien dort im Café zu.

Doch auch graue Tage, düstere Nebelschwaden,  kalter Wind und Regenschauer gehören zum Herbst.

Und nur wenige Tage danach brach all das zusammen: Beim nächsten Termin bei meiner Frauenärztin war kein Herzschlag zu sehen. Mein kleines Würmchen, wie ich das Minibaby getauft hatte, hatte sich still und leise davon gemacht. Ich fiehl in ein unglaublich tiefes Loch, das scheinbar keinen Boden besaß, noch nie hatte ich mich hilflos,  zerbrechlich und einsam gefühlt.

Mein Mann hatte Gott sei dank frei als die Kürettage vorgenommen wurde, zu der wir vom Facharzt gedrängt wurden. – Hätte ich nur früher gewusst, dass im nahegelegenen Krankenhaus eine Beisetzung und Trauerfeier möglich gewesen wäre auch für Sternenkinder von frühen Fehlgeburten. –

Mein Mann war wie ich unsagbar traurig und enttäuscht über das jähe Ende der 11 wöchenigen Schwangerschaft. Er legte mit die Hand auf den Bauch zum Abschied von unserem ersten Kind. Die Arbeit danach lenkte ihn ab, ich aber blieb wie gelähmt in meiner Schockstarre. Es war als wäre ein Teil von mir mit gestorben.

Auch in der Vorweihnachtszeit blieb dieses Gefühl der Leere . Nichts vermochte mir Trost oder Halt zu geben. Ich begann eine Kunsttherapie und bemühte mich meinen aus dem Gleichgewicht gekommen Körper wieder auszutarieren. In der Adventszeit versuchte ich mich mit schönen Dingen abzulenken, doch  meine Seele schmerzte noch immer.  Ist Weihnachten nicht ein Geburtsfest, das eine junge Mutter und ihr neugeborenes Kind feiert?  Warum konnte es nicht bei uns bleiben, unser Wunschkind? Manche sprachen von natürlicher Auswahl und dass das Baby vielleicht behindert gewesen wäre. Doch hätten wir es nicht auch in diesem Fall geliebt? Auch während des  Jahreswechsel, den wir mit Freunden am Elbufer feierten, steckte ich in meinen grauen Nebelschwaden.

Ich hatte keine Ahnung was noch auf uns zu kommen würde im darauf folgenden Jahr. Nie hätte ich erwartet wieder so schnell schwanger zu werden. Meine Unbeschwertheit hatte ich zunächst verloren, nach drei Monaten kam sie langsam zurück. Im Herbst wird er bei uns sein, der kleine Räuber. Was für eine Freude!

Welche furchtbaren Wochen, Tage voller Angst und Trauer uns noch bevorstehen würden, wie gut dass wir das nicht wussten.

Drei Jahre ist das nun her. Und trotz allen Hindernissen ist er bei uns geblieben.  Er kann keinem Drachen hinterher rennen oder in Pfützen springen.  Aber Lachen wie die goldene Herbstsonne, wenn er die tanzenden Baumwipfel sieht oder hört wie seine kleine Babyschwester neben ihm raschelt.

Herzlichen Glückwunsch zum dritten Geburtstag großer, kleiner Bruder.

Wir lieben dich, du tapferer Räubersohn. Du und die kleine Miss ihr seid unser größtes Geschenk und Glück.

 

Nachtrag: Auch mit der kleinen Miss bin ich vor einem Jahr ganz unverhofft um diesen Dreh herum schwanger geworden.  Und da waren natürlich wieder die Bilder und Ängste in meinem Kopf. Ich habe nur ganz wenige eingeweiht und selbst den Großeltern erst kurz vor Weihnachten von meinem besondern Überraschungspäckchen erzählt. Dass bei ihr alles so gut lief, war sehr heilsam für uns alle.

Eine Landung wie im Traum – unsere kleine Miss ist da!

Kennt ihr diese surrealen Momente, die an Traumepisoden erinnern? Ich habe einige wiederkehrende Träume, darunter Klassiker wie, z.B. dass ich wieder zur Schule gehe. Der Tag der Geburt unserer kleinen Miss vor zwei Wochen war so ein Erlebnis.

Bei einem PLAN-Kaiserschnitt wiegt man sich ja in der trügerischen Sicherheit, dass dieser Eingriff gut organisiert sei. Datum, Uhrzeit alles ist fix. Wobei ich mir ja von Anfang an dachte, wenn die kleine wilde Turnerin nicht doch früher kommt… Aber toi, toi, toi, sie hatte es nicht eilig. So konnten wir am Wochenende zuvor noch in aller Ruhe unseren Hochzeitstag feiern und mit dem Räubersohn bei strahlendem Sonnenschein einen Ausflug unternehmen. Während ich zusehends nervöser wurde, hatte das Krankenhauspersonal v.a. die Ärztinnen die Ruhe weg. Die eigentliche Geburts- und OP-Besprechung fand trotz vehementen Bitten unsererseits erst am Vortag des Eingriffs statt. Gott sei Dank war diese Ärztin freundlich zu gewandt und verständnisvoll. Das komplette Gegenteil der ersten Doktorin, die den letzten Feinultraschall in der Klinik durchführte aber uns, unsere Bedürfnisse, kaum beachtet hat. (Diese hatte mich doch tatsächlich zur normalen Geburt bekehren und in das andere nähere Krankenhaus schicken wollen, in dem unserer erster Liebling fast unter der Geburt gestorben wäre – einfach unfassbar!)

Nun es stand also fest: Morgens um 7.00Uhr mussten wir auf der Matte stehen. Im Krankenaus angekommen, sitzen neben bei der Anmeldung zum Kreissaal eine junge Schwangere und ihr Partner, die uns bekannt vorkommen. Aber sie erkennen uns zuerst: „Ihr wart doch mit uns auf der Neointensiv vor knapp drei Jahren!“ Tatsächlich, das ist ja wie im Film! Die beiden haben einen Sohn, der zwei Tage älter ist als unser Knirps und ebenfalls einen Sauerstoffmangel erlitt, jedoch mit weniger schlimmen Konsequenzen aber einer ebenso bangen Anfangszeit. Nun hocken sie da, schwanger mit dem zweiten Kind, einem Mädchen und haben ihren geplanten Kaiserschnitt am gleichen Tag, direkt vor uns. Verrückte Zufälle in einem verrückten Familienleben. Kein Drehbuchautor hätte sich das besser einfallen lassen können.

Im Vorfeld hatten wir ganz reale Organisationshürden, wie immer: Den kleinen König haben wir für die Zeit, die ich im Krankenhaus bin, in Doppelschichten untergebracht. Wovon die Hauptzeit sowie die erste Nacht, die treuen Großeltern und Paten stemmen mussten, da in den Ferien der Pflegedienst nur dünn besetzt ist. Aber auch unsere Pflegerinnen gaben ihr Möglichstes und kamen sogar am Feiertag, abends und am Entlassungstag, Sonntagvormittags. Da wir erst den dritten Kaiserschnitttermin zugeteilt bekamen, war es klar, dass wir ca. drei Stunden warten müssen. Nüchtern natürlich, und das bei diesen sommerlich heißen Temperaturen. Aber um zehn war der OP noch von den uns bekannten Eltern mit Kaiserschnitt Nr. 2 belegt und wir wurden weiter vertröstet. Wir gingen in den nahen Park, einem alten Friedhof auf dem sich viele Eichhörnchen zwischen riesigen Mammutbäumen tummeln, zwischen schönen, alten Grabsteinen auf denen, die heute wieder modernen, alt-deutschen Namen Paul, Emma und Emil zu lesen sind.

Irgendwann wurde mir doch etwas schwummrig, der Mampa bekam auch Hunger er durfte mit meiner Erlaubnis zwei Brötchen in der Cafeteria verdrücken, ich bekam einen Glucosetropf. Denn ich wollte nicht riskieren, dass ich noch umkippe oder die Maus lasch zur Welt kommt. Die Großeltern und engsten Freunden vertröstete ich derweil mit SMS und Whatsapp Nachrichten, dass sie sich nach der ersten traumatischen Geburt nicht zu viele Sorgen machen. Als es Mittag wurde fragte ich ironisch an, ob sie auf eine bestimmte Uhrzeit am Nachmittag, vielleicht passend zum Datum, warten? Und dann durfte ich endlich in mein schickes Flügelhemd schlüpfen. Wir kamen in den Warteraum, der Vater musste die hübschen grünen OP-Klamotten anziehen.

Dann ging alles sehr, sehr schnell. Ich wurde in den OP-Raum geschoben, die sterilen Folien und Planen wurden aufgepackt, das „schwere Gerät“ gerichtet, drei Spritzen für die spinale Betäubung setzen meine Unterkörper außer Gefecht, man schob mich auf den Tisch. Kurz sackte mein Blutdruck in den Keller, konnte aber schnell wieder hergestellt werden. Dann, eine kurze Ewigkeit später, durfte mein Mann zu mir.

Ritsch, ratsch schritten sie ans Werk. Ich war durch eine gute Freundin vorgewarnt, die komischen Tranchiergeräusche, das Ruckeln und Reißen erschrak mich daher nicht. Und ich hatte Glück, das alle Schritte von den Ärzten kommentiert wurden und ich wusste: So jetzt kommt sie.

Noch beim Herausziehen machte die kleine Miss ihren ersten gurgelnden Schrei.

Sie ist da! Sie schreit laut und kräftig, atmet, ist gesund – unser zweites Wunderkind. Halleluja!

Ein kleines verschmiertes Bündel wird mir gezeigt, kurz gewogen mit dem Papa an der Seite. Dann dürfen wir sie während dem Zunähen schon halten. Sie ist so klein und zart, sieht ihrem Bruder ganz schön ähnlich. Wie schön, das zu erleben, welch ein Segen!

Als wollte sie dieses unvergessliche Erlebnis noch toppen, kriecht sie zurück im Überwachungszimmer, schnüffelnd, sofort an meine Brust. Wie im Lehrfilm und das nach einem Kaiserschnitt, ich bin überwältigt. Meine Piratenprinzessin deine sanfte Landung ist geglückt, endlich bist du bei uns. Du bist perfekt und unser Mut hat sich gelohnt. Nur die Nachwehen reißen mich für eine Weile aus diesem Glücksgefühl. Wir kuscheln abwechselnd den ganzen Nachmittag bis abends. Da schaut dein Brüderchen vorbei, um dich kennen zu lernen. Die Nachwehen kommen wieder aber weniger heftig, die frische Kaiserschnittnarbe schmerzt bei jeder Bewegung. Leider ist kein Familienzimmer frei, der Mapa muss irgendwann gehen.

Die ganze Nacht liegst du bei mir, ich bin erschöpft, glücklich und dankbar.

Ich bin ganz ruhig, alles ist wie es sein sollte, wir sind vereint, alles ist gut.

 

>>Wenn es da ist, werd ich feiern

Ich weiß, da ist noch mehr

Es liegt noch so viel vor mir

Ich lauf noch hinterher

Bis jetzt fühl ich nur die Hälfte

Von allem, was geht

Ich muss noch weitersuchen

Weil immer noch was fehlt

(…)

Ich weiß nicht, wo du bist

Oder wo du wohnst

Aber eins ist sicher

Dass es sich lohnt

Ich bete jede Nacht

Dass ich dich finde

(…)

So soll es sein

So kann es bleiben

Genau so ist es gut

Alles passt perfekt zusammen

Weil endlich alles in mir ruht<<                              ICH+ICH, So soll es bleiben.

Der feine Unterschied: Kann man entspannt schwanger sein, wenn die letzte Schwangerschaft dramatisch endete? Mein Gastbeitrag auf STADT LAND MAMA

Katharina von Stadt Land Mama schreibt: „Ihr Lieben, letzten Oktober haben wir hier den Gastbeitrag von Sophie veröffentlicht. Sie berichtete davon, wie ein Sauerstoffmangel unter der Geburt ihr Leben für immer veränderte – denn ihr Sohn ist aufgrund der Komplikationen behindert. Der Beitrag hat Euch und uns sehr berührt. Nun gibt es wunderware Neuigkeiten von Sophie – sie ist wieder schwanger. Wie sie diese besondere Zeit erlebt und wie es ihrem Sohn heute geht, lest Ihr jetzt:“

Mein Update aus der Anderswelt:

>>Unsere Vorgeschichte: Unsere ersten Jahre als junge Eltern waren bestimmt nicht so, wie man sich das in der Schwangerschaft vorgestellt hat. Durch unvorhersehbare Komplikationen hat unser Liebling bei der Geburt einen schweren Sauerstoffmangel erlitten und kämpfte die ersten Wochen seines Lebens ums Überleben.

Der Sauerstoffmangel hat eine starke Schädigung der Nieren, Epilepsie und hat eine Cerebralparese (ICP) bewirkt, dazu kommen immer wieder neue Begleiterscheinungen und Folgeerkrankungen. Was wir anfangs kaum für möglich gehalten hatten: Wir wurden mit jedem Tag entspannter, lernten viele Handgriffe und bewältigten auch den Umgang mit Ämtern und Versicherungen.

Was in dieser Zeit gewöhnungsbedürftigt war: Wir waren Elternneulinge, konnten uns aber nicht wie andere Eltern ausprobieren, sondern waren ständig von medizinischem, therapeutischem und pflegerischem Fachpersonal umringt – man fühlte sich auch immer etwas unter Beobachtung.

Wie geht es unserem Sohn heute? Er entwickelt sich zwar im Schneckentempo, aber wir freuen uns über jeden kleinen Fortschritt. Er ist insgesamt ruhiger und fröhlicher geworden. Ich wollte auch ein Stück Normalität für uns – und ging mit ihm, neben all den Therapien, zum Pekip oder Mama-Kind-Sport.

Letzten Herbst, mit zwei Jahren, durfte unser Räubersohn endlich in den der Sonderschule angegliederten Kindergarten. Dorthin begleitet ihn eine Pflegerin und ich habe für ein paar Stunden am Tag wieder frei. Das tat und tut mir sehr gut. Ich wollte wieder Teilzeit arbeiten gehen, mich auch noch um andere Sachen kümmern, außer um unser behindertes Kind.

Nochmal guter Hoffnung sein: Ich hatte schon lange Sehnsucht nach einem zweiten Kind. Rückblickend fällt mir auf, dass ich schon früh begann Kleidung zu kaufen, die stillkompatibel ist und für unseren Sohn Klamotten kaufte, die eher unisex waren. Ich spürte, dass wir noch nicht vollzählig waren.

Gott sei Dank fühlte mein Mann das auch.  Mein Mann möchte so gerne erleben, dass ihn jemand Papa nennt – denn sprechen kann unser kleiner Sohn noch nicht. Wir wünschten uns also noch ein Baby – wobei wir manchmal das Gefühl haben, unser Zweieinhalbjähriger wäre noch ein Baby. Nach wie vor braucht er das volle Programm: Füttern, Wickeln, Anziehen und Umhertragen. Er ist auch für sein Alter auch sehr klein, trägt Größe 74/80.  Sitzen, Krabbeln oder auch nur die Hand gezielt zum Mund führen, gelingt ihm aufgrund der ICP bisher nicht…

Ja, wir wünschen uns, einem gesunden Kind bei seiner Entwicklung zuschauen zu können. Ein Kind, das wächst, gedeiht und sich ständig entwickelt. Ich glaube auch, dass ein Geschwisterchen unserem Sohn gut tun wird. Er wäre nicht länger das absolute Zentrum unseres Familien-Universums und könnte sich von dem Geschwisterchen sicher eine Menge abgucken.

Tatsächlich wurde ich unglaublich schnell schwanger – ich konnte es kaum fassen und machte drei Tests, um sicher zu sein. Ich war so glücklich, aber auch unsicher. In der ersten Schwangerschaft hatte ich noch Yoga und gemäßigt Zumba gemacht. Nun war ich jetzt ängstlicher, schonte mich mehr, nicht zuletzt weil ich in der Frühschwangerschaft auch etwas Probleme hatte.

Von Beginn an kamen einige Ängste hoch, zunächst, ob es überhaupt bleiben wird – dann, ob unser Wunschkind auch gesund ist. Ein zweites krankes oder behindertes Kind würde ich vermutlich nicht bewältigen können. Aber ich fragte mich auch: Was passiert, wenn es doch nicht gesund ist? Könnte ich mich wirklich dagegen entscheiden? Wohl kaum, denn schließlich erleben wir doch auch so viel Liebe und Freude mit unserem behinderten Sohnemann.

Mein Mann und ich sprachen lange über all das und entschieden uns gemeinsam gegen die meisten Vorsorgeuntersuchungen. Ich begann zudem in einer Traumatherapie die Erlebnisse der Geburt und die Zeit auf der Intensivstation aufzuarbeiten. Auch der Gedanke, dass die größte Gefahr durch einen Plan-Kaiserschnitt umgangen werden kann, tröstet mich.

Dann der Tag der Feindiagnostik. Als die Ärztin lange am Herzen herum schallte, wurde mir entsetzlich bange. Ich sah uns schon wieder im Krankenhaus auf der Station für Herzkinder…Dann endlich der Satz:  „Es ist alles in Ordnung“. Zehn Finger und Zehen, nichts war zu wenig oder zu viel. Und wir erfuhren dort auch, dass unser Sohn ein Schwesterchen bekommt. Ihr Profil war jetzt schon zum Niederknien süß und lebhaft turnte sie über den Bildschirm des Ultraschallgeräts. Die Erleichterung war riesig und meine Vorfreude ist größer als die Sorgen.

Wie geht es weiter: Natürlich wird der Anfang hart werden – zwei Wickelkinder mit unregelmäßigem Schlaf- und Schreiangewohnheiten. Vieles wird für mich neu sein, auch wenn es mein zweites Kind ist. Zum Glück haben wir gute Pfleger an der Seite, viele gute Freunde und tolle Großeltern. Es wird sicher Zeiten geben, in denen meine Nerven blank liegen. Und auch der Zustand des Sohnes kann sich jederzeit verschlechtern. Aber ich möchte nicht daran denken, ich möchte, dass wir die Zeit zu viert genießen.

Oft höre ich, wie mutig wir seien. Darüber wundere ich mich. Denn schließlich hat doch niemand einen Garantieschein im Leben: Jeder Mensch, jedes Wesen, das man liebt und an das man sich bindet, kann krank werden und stirbt irgendwann. Nur werden solche Gedanken gern bei Seite geschoben. Die eigenen Eltern werden alt, der Partner kann plötzlich einen Schlaganfall bekommen, auch man selbst kann schwer krank werden oder von Geburt an gesunde Kinder können einen Unfall erleiden oder autistische Züge zeigen. Niemand weiß was einem noch bevorsteht, aber deshalb die ganze Zeit vor Angst erstarren? Bestimmt nicht!

Und unsere kleine Miss wird kein schweres Los haben, sondern einen süßen, besonderen Bruder. Vielleicht wird sie dadurch auch einfühlsamer oder auch selbstbewusster.  Die Madame wird uns sagen, was sie braucht, sie wird uns an unsere Grenzen bringen, uns viel Freude bereiten mit jedem kleinen Schritt, den sie tut, und wir werden für sie und den Räubersohn da sein.

Ganz normal, wie es eben so ist in einer Familie. <<

Quelle –STADT LAND MAMA Gastbeitrag Nr. 2 –  und mein erster Gastbeitrag dort vom Oktober 2016.

Wir wünschen Euch allen schöne Osterfeiertage mit euren Lieben, ob in Stadt oder auf dem Land. Die Räuberbande aus der Anderswelt**

Wieder in anderen Umständen – ein Interview von Mutter zu Mutter.

Nachgefragt  >>Wie erlebt eine Familie, die schon ein behindertes Kind hat, die zweite Schwangerschaft und Babyzeit? <<

 Interview für Sophies ANDERSWELT mit Lara:

Wie ihr wisst erwarten wir im Sommer wieder Nachwuchs und trotz aller Vorfreude auf die kleine Miss sind wir etwas besorgt. Nicht nur wegen der Geburt, sondern vor allem wegen der Zeit mit zwei pflegebedürftigen Zwergen. Deshalb beschloss ich mir die Erfahrungen von Mamas anzuhören, die sich mit einem chronisch kranken, behinderten Kind auch für ein zweites Baby entschieden haben. Daraus entstand dieses Interview, das ich gerne mit euch teilen möchte: Lara (40) und ihr Mann haben bereits einen Sohn im Kindergartenalter, der durch einen Gendefekt behindert ist, als sie wieder schwanger wird. Heute ist der Junior schon ein Jahr alt. Wir kennen uns von einem Mamatreff für besondere Kinder hier aus der Region. Lara hat sich bereit erklärt auf der ANDERSWELT von der Zeit ihrer Schwangerschaft und danach zu erzählen.

Sophie: Wann habt ihr euch dazu entschieden ein zweites Kind zu bekommen? Oder war das schon immer euer Wunsch? Lara: Geplant hatten wir schon immer 2 Kinder, aber bis klar war, dass unser 1. Sohn einen Gendefekt hat, ging leider einige Zeit ins Land und dann haben wir uns untersuchen lassen und so liegen jetzt 4 Jahre zwischen den beiden Nasenbären.

Sophie: Hattet ihr da durch, dass euer erster Sohn eine Behinderung hat, Zweifel daran, ob die Entscheidung richtig ist oder hat eure Situation das Bedürfnis nach weiteren Nachwuchs noch verstärkt.(Bei uns war es irgendwie beides…) Lara: Es war uns auf jeden Fall klar, dass wir kein 2. Kind mit Behinderung mehr “schaffen”. Mir wäre die psychische Belastung zum einen und die körperliche Belastung zum anderen, zu hoch gewesen. Unser Großer ist heute 5 und sitzt im Rollstuhl. Die Prognosen, dass er laufen lernt sind sehr schlecht. Darüber hinaus ist bei diesem Gendefekt der Rumpf stark betroffen von Hypotonie (d.h. die Muskulatur ist schwach bzw. der Tonus der Muskeln ist zu niedrig), weshalb genau frei sitzen fast nicht möglich und laufen schon gar nicht möglich ist. Die Muskulatur im Rumpf ist für sehr vieles ganz wichtig, wie z.B. Schlucken, Essen und die Arme und Hände. Also es ist nicht eine ganz einfach Behinderung und er wird immer auf Hilfe angewiesen sein. Man wünscht sich in dieser Situation schon ein Stück weit ein “normales” Leben und das dürfen wir jetzt mit unserem kleinen Nasenbär erleben.

Sophie: Habt ihr im Vorfeld bestimmte Entscheidungen oder Maßnahmen getroffen oder euch an einer speziellen Stelle informiert? Lara: Wir haben uns humangenetisch umfassend beraten lassen und darüber hinaus bereits den Mutterkuchen untersuchen lassen.

Sophie: Dein Mann ist ja Afrikaner. Denkst du, dass das euren Familienalltag beeinflusst. Ist das zusätzlich schwierig kulturell verschiedenen zu sein oder ist der vielleicht etwas andere Blick auf eure Situation eher bereichernd? Lara: Der andere Blick hat mir schon oft gezeigt, dass ich mir zu viele Gedanken um ungelegte Eier mache, da ich ein sehr kopflastiger Mensch bin. Er ist der ruhigere besonnenere Typ, ich bin oft zu emotional und agiere dann aus der Emotion heraus. In dieser Hinsicht habe ich mich aber schon um 100% verbessert. Es ist oft interessant, woher der andere Gedanke kommt und Kultur spielt dabei eine große Rolle. Auch wenn man zunächst etwas für “seltsam” hält, macht die Begründung, warum es in der Kultur anders gesehen wird, immer Sinn. Mit den Jahren kann ich mir meistens schon selber die Antwort geben, weil ich heute weiß, wie die Menschen dort ticken.

Sophie: Wie ging es dir in dieser zweiten Schwangerschaft warst du nervöser oder ängstlicher als bei eurem ersten Sprössling? (Ich habe etwas mehr Angst merke ich und traue mich weniger, bei Nr.1 war ich hoch-schwanger noch im Urlaub)… Wenn ja was oder wer hat dir dann geholfen? Wie ging es deinem Mann damit? Lara: Das man mehr Angst hat ist normal. Bei uns waren im Bekanntenkreis vorher 13 gesunde Kinder auf die Welt gekommen. Nur bei uns hatte das Schicksal an die Tür geklopft und der Schlag war hart und hat auch Jahre gedauert, bis man damit umgehen konnte. Auch kommen immer wieder Löcher, durch die man durch muss, was im Leben aber glaube ich normal ist. Ich war am Anfang nicht bewusst schwanger, aus lauter Angst es könnte wieder ein Problem geben, bis die Ergebnisse vorlagen. Ab da habe ich mich entspannen können und als er da war, habe ich mit Argus Augen die 1. Entwicklungsschritte verfolgt. Erst mit der Zeit haben wir und damit spreche ich auch für unsere Verwandten, uns entspannt und freuen uns jeden Tag mehr.

 Sophie: Wie ist euer Umfeld mit der zweiten Schwangerschaft umgegangen. Musstet ihr euch auch blöde oder unpassende Kommentare anhören? Lara: Die einen haben sich gefreut und die anderen hatten Angst, was ich durchaus verständlich finde. Man hätte nur sensibler mit der Angst umgehen müssen, da die Situation für uns auch nicht einfach war. Man kann irgendwo auch nur hoffen, dass alles gut wird, weil 5.000 Gendefekte nicht untersucht werden.

Sophie: Kanntet ihr vorher schon andere Familien die sich unter ähnlichen Bedingungen für weitere Kinder entschieden haben? Lara: Ja, sogar Menschen, die durch die Behinderung des 1. Kindes zu richtig guten Freunden wurden. Auch da waren die Reaktionen und auch die Ängste genauso wie bei uns. Man muss es schon selbst “erlebt” haben, um nach zu vollziehen, wie sich diese Eltern fühlen, deshalb mache ich es auch niemand zum Vorwurf. Die Entscheidung ein 2. Kind zu wollen, muss jeder selber für sich finden. Ich kannte eine Familie, die sogar ein 2. Kind bekam, das denselben Gendefekt hatte, wie das 1. Kind. Auch das kann ich verstehen, weil diese Familie genau wusste, was auf sie zukam. Dazwischen waren 10 Jahre und die Forschung und Therapien hatten sich weiterentwickelt. Ich würde nie darüber urteilen.

Sophie: Wie habt ihr euch auf die Geburt (z. B. Kaiserschnitt?) und Babyphase vorbereitet oder habt ihr es einfach auf euch zukommen lassen? Lara: Mir war klar, dass wenn auch nur der kleinste Verdacht bestünde, dass es ein Problem bei der Geburt gegeben hätte, ich sofort einen Kaiserschnitt gewollt hätte. Die Ärztin, der ich mich zum Entbinden vorgestellt habe, war überaus verständnisvoll. Nachdem wir aber beim großen Nasenbär keine Probleme bei der Geburt hatten, sondern die Behinderung von dem Gendefekt kam, wollte ich jetzt auch nicht den Teufel an die Wand malen…..nur Eventualitäten berücksichtigt wissen.

 

Sophie: Hattest du Bedenken zwischendurch wie du das alles hinbekommst gerade da drin Erstgeborener ja auch viel Pflegebedarf hat beim Essen, im motorischen Bereich.

Lara: Klar wusste ich, dass die erste Zeit sehr sportlich wird. Da mein Mann auch noch beruflich stark eingespannt ist, habe ich zu wirklichen Spitzenzeiten den Großen gefüttert, während mir der Kleine sprichwörtlich an der Brust hing. Manchmal klappt es mit dem Timing halt dann doch nicht so ganz. Wir haben wirklich ganz viel Glück mit unseren Therapeuten und entweder hat der Kleine “mitgeturnt” oder wurde beschäftigt. Er war immer Willkommen und es gab auch Verständnis, wenn ich mit den Therapien zurück gefahren bin. Das vorige Pensum war nicht mehr zu schaffen und der Kleine war ja quasi mein Co-Therapeut, weil der Große ihn so aufmerksam verfolgte und wirklich motiviert wurde.

 

Sophie: Nutzt ihr bestimmte Unterstützungs- oder Hilfsangebote ( z.B. Verhinderungspflege, Pflegedienst) ?Wer steht dir im Alltag mit zwei Kids bei und den vielen Terminen und Therapien von euerm Großen wenn dein Mann arbeitet? Hast du Tipps für mich der bald ähnliches blüht?

Lara: Einen Pflegedienst hatten wir nur in der Zeit der Schwangerschaft, als ich nicht mehr schwer heben durfte und im Mutterschutz danach. Heute würde das Geld nicht reichen, um einen Pflegedienst zu beauftragen. Als ich im achten Monat mit Nasenbär 2. schwanger war, stand der Umzug an. Ich musste dazu mit dem Großen im Krankenhaus, in dieser und anderen Situationen hat meine Familie uns sehr unterstützt. In dem Neubaugebiet haben wir dann sehr nette Nachbarn vorgefunden. Besonders freue ich mich, dass hier auch der Große “angenommen” wird und man auch ihn mal in andere Hände geben kann. Es haben sich mit ganz unterschiedlichen Menschen, die uns das Schicksal “geschickt” hat, Freundschaften ergeben, die sonst vermutlich nie zustande gekommen, wären. Nicht jeder traut sich ein behindertes Kind zu versorgen. Ich selber bin ja auf dem Gebiet auch kein Experte und muss mich erst nach den besonderen Bedürfnissen erkundigen, gerade wenn ein Kind nicht sprechen kann. Der kleine Mann hat einen unwiderstehlichen Charme und weiß ihn auch schon geschickt einzusetzen mit nur einem Jahr! Eine Nachbarin, die schon den großen Nasenbär versorgt hat, ist uns gottlob erhalten geblieben und kümmert sich auch um beide, je nachdem, mit wem ich einen Termin habe. Ohne diese Art von Hilfe geht es nicht und sie verdienen wirklich Respekt und Anerkennung. Es wäre schön, wenn mehr Menschen das erkennen und sich einbringen. Ich denke nicht nur an behinderte Kinder, sondern auch immer mehr Senioren werden auf Hilfe angewiesen sein.

 

Sophie: Wie geht es euch vier heute? Der Kleine ist inzwischen ja auch schon ein Jahr.

Lara: Durch die Geschichte unseres ersten Sohnes, wissen wir dieses Glück, erleben zu dürfen, ganz anders zu schätzen. Ich habe mehr Bücher zum Thema Entwicklung gelesen, als über irgendein anderes Thema. Das erste Jahr finde ich das faszinierendste überhaupt und mir ist ganz viel klar geworden, wie der “natürliche Plan” eigentlich läuft und wie krass der Unterschied ist. Das Positive daran ist, dass man sehr viel mitnimmt und versucht beim Großen zu fördern. Mir wurde klar, dass ganz viele Ansätze beim 1. Sohn da sind, ich sie nur nicht erkannt habe und es viel länger dauert bis etwas kommt. Hier hat die Zeit – die Jahre – mir einen Doktortitel in Geduld quasi verliehen. Der Große beobachtet den Kleinen, wie sonst niemanden in der Familie und es ist schön, wie er dadurch motiviert wird. Vielleicht haben wir die Fortschritte des letzten Jahres und es waren im Vergleich zu davor Sieben-Meilen-Stiefel-Schritte dem kleinen Nasenbär zu verdanken. Die Therapeuten und Ärzte waren mindestens genauso begeistert wie wir. Wir sind auch sehr froh, dass wir uns dort inzwischen auch gut aufgehoben fühlen.

 

Sophie: Macht es dich manchmal traurig zu sehen was der Kleine schon alles kann? Oder freut es dich umso mehr?

Lara: Es sind nicht die Fortschritte, die er schon kann, sondern die Schnelligkeit, wie er überholt hat. Aber das ist motorisch ja auch nicht schwierig dem Großen gegenüber. Geistig hat er ihn noch nicht, aber das kommt vermutlich auch bald. Die Freude überwiegt trotz allem.

 

Sophie: Gibt es etwas was dich besonders bewegt, gefreut oder verärgert hat in Zusammenhang mit deiner zweiten Schwangerschaft?

Lara: Die noch sehr junge Humangenetikerin hat mir ein paar Statistiken an den Kopf geschmissen, die mich hätten überzeugen sollen auf genetische Untersuchungen zu verzichten. Wir waren schon in 2 Statistiken bei den 2% dabei (2 Prozent haben behinderte Kinder und nach der ersten Analyse der Gene findet man überhaupt nur noch bei 2 Prozent den tatsächlichen Defekt). Ich habe ihr erklärt, dass ich Statistiken im Beruf mache, hier aber keine Statistik hören will, sondern so gut es geht ausschließen möchte…… Beim Vorgespräch hatte ich dann meinen Großen dabei und sie hat gemeint, ohne dass ich auch nur etwas gesagt hätte, wenn man damit lebt, ist die Sicht der Dinge eine völlig andere. Ich bin mir sicher, sie wurde dadurch eine bessere Ärztin und argumentiert vielleicht weniger mit Zahlen.

Sophie: Was würdest du Eltern mit einem behinderten Kind raten die sich unsicher sind an ein zweites Kind zu trauen? Lara: Es gibt wohl keine schwierigere Frage. Wenn ein Gendefekt vorliegt, kann man mindestens die entsprechenden Untersuchungen machen oder wie ich schon erzählt habe, man weiß, was auf einen zukommt und ist bereit diesen Gang noch einmal mit einem behinderten Kind zu machen. Dazu hätten mir der Mut und die Kraft gefehlt und bis auf diese Ausnahme, die ich erwähnt habe, kenne ich niemanden. Wenn die Geburt an der Behinderung schuld ist, liegt der Fall ja etwas anders. Ich finde ein 2. Kind ist für alle eine Bereicherung, weil es diese Normalität ins Leben bringt, die man sich so sehr gewünscht hätte. Zu sagen, dass kann man einem Kind nicht zumuten, immer Rücksicht nehmen zu müssen, finde ich nicht richtig. Die Herausforderung besteht darin, die Bedürfnisse beider so gut es geht zu berücksichtigen. Diese Kinder bekommen eine Kompetenz, die andere ganz schwer “erlernen” und die Familie bekommt glückliche Momente, denen andere Menschen sich leider viel zu selten bewusst sind. Ich wünsche Euch als Familie großartige Menschen, die Euch unterstützen und besonders ganz viele dieser Momente!

Sophie: Vielen lieben Dank! Ganz besonders für deine Offenheit und die Einblicke, die du mir und den Blogleser/innen in euer privates Familienleben gegeben hast!