Jetzt leben. Mit Herzblut dabei, ohne auszubluten.

Eigentlich mag ich den – leider inzwischen inflationär zitierten – „Pflücke den Tag“ Spruch sehr gern. Es ist auch eine der wichtigsten Regeln im Buddhismus, das im-Hier-und-Jetzt-Leben ohne zu sorgenvoll nach Vorne oder Zurück zu blicken. Nur was, wenn die Gegenwart nur wieder einmal wenig erbaulich ist? Dann braucht man doch Hoffnung darauf, dass es besser wird, oder?

Seit ich mich erinnern kann, habe ich mich immer wieder aufgerichtet in dem ich mir überlegt habe, worauf ich mich freuen kann. Wenn ich etwas zu bewältigen hatte, das mich gestresst hat und wobei ich keine Freude hatte, führte ich mir immer vor Augen, wozu es gut ist oder was danach Schönes auf mich wartet. Das hat gut gekappt, um mich für leidige Prüfungen, Ferienjobs und ähnliches zu motivieren. Sich selbst zu belohnen mit Dingen und Erlebnissen, die uns wirklich gut tun, vergessen wir als Erwachsene und – vor allem wir pflegenden Mütter – oft. Und es ist auch einfach nicht mehr so leicht mit all der Verantwortung, den nie endenden To Do’s.

Während den langen Corona Wochen habe ich kaum Pläne gemacht. Es gab ja nichts zu unternehmen und vieles von unserem normalen Familien- und Therapiealltag war hinfällig. Das hat uns in gewisser Weise entschleunigt und auch den Druck genommen mit dabei zu sein oder Sachen anzugehen, die eigentlich etwas zuviel sind. Das merke ich ganz deutlich, jetzt wenn wieder mehr an uns heran getragen wird und zahlreiche Termine anstehen. Obwohl wir beide zu Hause waren, ist uns in keiner Weise langweilig geworden. Ich habe neue Schreibaufträge bekommen und hatte noch mein übliches Homeoffice zu stemmen, während Kita und Kindergarten geschlossen waren und einiges ausfiel wie Therapien. Vor lauter um die Kids kümmern, vor allem die kleine Miss beschäftigen –  am liebsten neben Toben mit den 3 B’s: Basteln, Backen, Baden – die Kita-Freunde und die Förderung vom Räubersohn zu ersetzen, wurde uns auch nicht fade. Nur fehlte der Ausgleich. Zuerst konnte ich noch etwas Sport machen, dann ging immer mehr die Energie flöten zudem rückten wieder unschöne Termine näher.

Die Intensivpflegegenehmigung der Krankenkasse lief aus und auch die große Hüft-Op des kleinen Königs ist plötzlich zum Greifen nah. Und das alles während ich noch in der Probezeit bin bei meiner neuen Arbeit. Vieles, das wir gerne erledigt hätten dieses Frühjahr, blieb liegen. Aber zwei Dinge haben wir geschafft: Einen neuen Bus anzuschaffen, nach dem uns beide Autos vor dem Lockdown im Stich gelassen hatten, den wir dann auch Rolli tauglich umbauen werden…

Und – ich habe es ja schon angedeutet im letzten Beitrag – wir haben es gewagt und uns um einen Platz für unseren Junior in einem Regelkindergarten bei uns im Wohnort bemüht. Und jetzt kann ich es offiziell sagen, es hat geklappt! Wir haben die Zusage zur Eingewöhnung im gleichen Kindergarten in den auch seine wilde Schwester gehen wird! Das war ein Glücksmoment und sehr unverhofft, weil wir wirklich mit mehr Gegenwind gerechnet haben. Er wird von der Gruppenleitung als Bereicherung gesehen und sie hat wirklich Lust darauf die neue Gruppe inklusiv zu gestalten, genau was wir uns erträumt und erhofft haben!

Wir sind dankbar, weil wir wissen, dass das trotz UN-BRK Inklusion nicht selbstverständlich ist. Gerade in Baden-Württemberg, dem Musterland der Förder- bzw. Sonderschulen, denn während von Inklusion als Ziel benannt wird erhöht sich parallel die Quote der Kinder die in Sonderschule separiert sind.

Für’s Erste darf der kleine König also mit seinen Nachbarskindern zusammen und einer Gruppe sein und kommt um seine ungeliebten Busfahrten herum, nun kann er auch spontan heimgehen an schlechten Tagen. Leider bekommen wir auch von ein paar Seiten Kritik – aber das ist ja nichts Neues. Wie lange unser Junior jetzt einen Fuß breit die Anderswelt verlässt, wird sich zeigen. Denn spätestens zum Schulstart ist in Schwaben meist Ende mit inklusiven Modellen – gerade für mehrfach behinderte Kinder. Wir werden sehen … 

Auch von der Krankenkasse kam dieses Jahr das Ok für die Fortführung der Intensivpflege nur durch Einreichen der angeforderten Unterlagen. Das ist ebenfalls nicht selbstverständlich, denn wir waren vor zwei Jahren deswegen schon Wochen in der Luft gehangen und hatten schon einen Termin beim Anwalt. Eventuell auch ein Corona Nebeneffekt, denn gerade wird viel nach Aktenlage entschieden. 

Aber so richtig aufatmen können wir aus mehreren Gründen nicht (die ich aber nicht alle ausführen kann). Vieles ist einfach noch unsicher und der Pflegenotstand ist weiter spürbar.

Auch das leidige IPReG, das trotz vehementer Proteste und über 200 000 Unterschriften bei der Petition der Gegner*innen erlassen wurde, sorgt nicht gerade für Entspannung unter uns pflegenden Eltern von Kindern, die ein Leben lang auf professionelle Pflege angewiesen sind. Bereits gegen seinen Vorläufer das RISG bin ich im Namen der Pflegerebellen 2019 auf die Straße gegangen, wie viele selbst Betroffene sowie andere pflegende Angehörige. Unfassbar, dass dieser Menschen verachtende IPReG-Entwurf, der die Selbstbestimmung und Versorgung von beamteten und anderen Intensivpflege bedürftigen Menschen gefährdet, gerade während einer Pandemie von der großen Koalition durchgeboxt wurde, bei der auch kerngesunde Menschen plötzlich auf Beatmung angewiesen sein können. Leider kann nicht direkt eine Verfassungsklage gestartet werden – erst, wenn es belegte Verstöße im Bereich der Intensivpflege gibt – die könnt ihr hier melden beim IPReG-Briefkasten von Abilitywatch.

Und auch, wenn viele Menschen so tun, als sei Corona vorüber und als sei der Mundschutz eine Knebel, ist die zweite Welle relativ wahrscheinlich. Und das, wo wir schon bald stationär gehen und den ganzen Sommer in Klinik und Reha verbringen werden.

So bleiben wir trotz dieser beiden positiven Ereignisse weiter angespannt. Unser Sommerurlaub wird mangels nicht-Existenz also nicht durch Corona ruiniert. Wir waren auch schon ein paar Tage draußen. Mal wieder mit dem, von den Schwiegereltern geliehenen, Wohnmobil. Zwar nicht weit weg – aber doch ein kleiner nötiger Atmosphärewechsel wieder in einer unserer Lieblingsecken im Fränkischen. Das haben wir vier trotz anfänglichem Regen sehr genossen, diese kleine Familien-Auszeit zusammen.

Ich bin sehr froh, über diese guten Nachrichten, die kleinen Pausen und dass ich mich während der Ruhephase in der Pandemie, als in unserer Region kaum Neuansteckungen gab, etwas raus getraut habe. Und zwar raus im wirklichen Sinn auf eine schöne Terrasse mit anderen Mamas und mit ein paar Freunden in den Garten zum Verschnaufen und Abschalten. Das hat mir sehr gut getan. Auch die Großeltern haben die Krise bisher gut überstanden und sind wieder für uns da. Für all das Gute bin ich dankbar und rufe mir das auch immer wieder in ruhigen Momenten vor Augen. Diese Jetzt-Zeit genieße ich und versuche in schlechteren Tage davon zu zehren.

Kurz danach ging es schon wieder rund und leider auch bei einigen Bekannten auch ziemlich bergab. Immer wieder erleben ich wie pflegende Familien der vermeintlich sichere Boden unter den Füßen wegbricht. Plötzlich tauchen neue Probleme auf oder bereits lange ruhende Erkrankungen kommen mit voller Wucht zurück. Immer wieder stirbt ein Kind viel zu früh. Das macht mich sehr traurig und verunsichert, ja ängstigt mich. Eigentlich kann ja niemand in der Gewissheit leben, dass alles weiter läuft wie bisher – ein kleiner Unfall oder eine plötzlichen Krankheit kann alles aus den Angeln heben. Nur, dass Menschen, die ohnehin ein großes Päckchen zu tragen haben, dazu noch weitere Brocken aufgeladen bekommen, das erschreckt mich, ich fühle und leide auch mit.

Einige von diesen Eltern sind auch so engagiert und kämpfen wie ich mit Herzblut für die Rechte unserer Lieben aber auch unsere eigenen als pflegende Angehörige. Zu sehen wie sie leiden ist grausam. Und da kann ich mich schwer abschirmen. Empathie macht verletzlich. Ich habe beides entwickelt über die letzten Jahre: Einerseits dringt so manches nicht mehr zu mir durch, gleichzeitig bin ich dünnhäutiger geworden und kann mich oft schwer abgrenzen. Mir ist es bewusst, ohne dass ich es ändern kann. Es ist gefährlich auszubluten. Aber wie soll etwas ins Rollen kommen, wenn es halbherzig betrieben wird? 

So lange ich Kraft hab, setzte ich mich immer wieder ein für Dinge, die mir wichtig sind. Das gibt mir Sinn und Halt und das Gefühl, doch etwas zu bewegen zu können, so kommt manches an Energie auch zurück. Aktuell bin ich dabei Inklusionsaktivisten vorzustellen, z. B. Junge Inkluencer*innen, die in unserer Region engagiert sind (im aktuellen Stimmt! Magazin) oder wie Laura Mench und Sarah Georges gegen IPReG kämpfen (kommende Ausgabe der Beatmet leben).

Auch hier starte ich demnächst eine neue Reihe mit Kurzinterviews mit Inkluencer*innen und Aktivist*innen für Inklusion und Teilhabe!

Was ich sonst noch mache? Ich durfte auch für das MOMO Magazin darüber berichten, warum es mir so wichtig ist – neben meiner unbezahlten Carearbeit als pflegende Mutter – einer anderen Berufstätigkeit nach zugehen und werde im nächsten MOMO-Heft Eltern vorstellen, die das Beste aus ihrem neuen Leben in der Anderswelt gemacht haben und wie ich versuche mich in positive Aufwärtsspiralen zu bewegen und andere damit anzustecken.

Ihr seht, auch wenn es hier nur allen paar Monate etwas von mit zu lesen gibt, findet ihr meine Anderswelt-Berichte auch anderswo. Und so erreiche ich hoffentlich noch mehr.

Nun drückt unserem Räubersohn bitte alle eure Daumen und guten Gedanken für den anstehenden Eingriff – in einer unserer liebsten Kliniken – und die anschließenden Reha, dass unser Liebling im Herbst dann wieder gut „auf die Beine kommt“ und uns allen solange nicht die Puste ausgeht. 

Die Pflegerebellen kommen: Wir lassen es nicht mehr zu!

Es rührt sich was, wenn tausende pflegende Angehörige rebellieren und aufbegehren!
Hört ihr es? Das Raunen und Zischen: Wir! Erst zögerlich und mit gerunzelter Stirn genuschelt. Dann ein lauteres Rufen mit den Armen in die Hüfte gestemmt und schon deutlich zu vernehmen: Wir !! Noch immer wird bewusst weggehört. Aber wir holen uns Megaphone und werden laut! Wir schreien auf und schreiben Plakate – online auf verschiedenen Socialmedia Kanälen starten die erste Aktionen mit eindeutigen Hashtags und Bildern.

Bald seht ihr uns auf der Straße, erste Demos haben bereits gestartet – wie heute am 13.07.2019 in Köln bei der „Pflege am Boden“ auf dem Domplatz bei der sich unter die ausgebildeten Krankenpfleger*innen, die den Pflegenotstand und die schlechte Arbeitsbedingungen anprangern, zunehmend auch pflegende Angehörige mit ihren Bannern mischen – zu Recht!

Denn wer pflegt die Großzahl der alten, schwer kranken und behinderten Menschen?

WIR !!! Die Mütter und Töchter, die Väter und Söhne, Brüder und Schwestern, die Ehefrauen und Ehemänner, die Lebenspartner*innen und andere Angehörige.
Es sind vor allem Frauen aber auch einige Männer, die ihre bezahlte Erwerbstätigkeit stark einschränken oder ganz aufgeben müssen, weil sie sich um ihre pflegebedürftigen Lieben kümmern.

Doch diese Carearbeit wird nicht honoriert. Es gibt nach wie vor keine Fürsorgegehalt – auch nicht für das Versorgen von komplett unselbstständigen Menschen, die rund um die Uhr medizinische Versorgung und Betreuung benötigen – höchstens Aufstockung nach Harz IV, ist der Lohn für diese kräftezehrende Aufgabe. Das Pflegegeld von 901 €/ Monat (bei dem höchsten PflegegradV) entspricht in keiner Weise dem Mindestlohn, wenn die reelle Arbeitszeit berücksichtigt wird. Und professionelle Pflegedienste – oder Heime würden über 1000€ mehr erhalten (1995 €/ Monat), obwohl sie damit niemals den gleichen Stundenumfang wie die pflegenden Angehörigen abdecken können.

Das ist entwürdigend und ungerecht! Wenn Wir! alt sind, droht uns zusätzlich noch Altersarmut, da wir so kaum Rente erhalten und auch nicht privat vorsorgen können. Wer kümmert sich um uns? Viele sind bereits in der Mitte des Lebens auch am Limit – auch existenziell.

Und wir reden hier nicht von einer kleinen Gruppe, sondern unzähligen privat Pflegenden, das belegen die Zahlen des Statistischen Bundesamts in ihrem letzten Pflegebericht (destatis 18.12.2018):

„Gut drei Viertel (76 % oder 2,59 Millionen) aller Pflegebedürftigen wurden zu Hause versorgt. Davon wurden 1,76 Millionen Pflegebedürftige in der Regel allein durch Angehörige gepflegt. Weitere 0,83 Millionen Pflegebedürftige lebten ebenfalls in Privathaushalten, sie wurden jedoch zusammen mit oder vollständig durch ambulante Pflegedienste versorgt. Knapp ein Viertel (24 % oder 0,82 Millionen Pflegebedürftige) wurde in Pflegeheimen vollstationär betreut.“

Wir! Pflegenden Angehörigen sind somit keine Mitglieder einer zu vernachlässigenden Randgruppe – sondern rund 2 Millionen! Trotzdem wird vor allem in den Diskussionen von und mit Fachkräften gesprochen, von Krankenpfleger*innen und Altenpfleger*innen. Wir!, die uns ebenfalls jeden Tag kümmern – unsere uns Anvertrauten waschen, ihnen Essen geben, ihre Sonden und Katheder versorgen, Windeln wechseln und Hilfsmittel anziehen, tagsüber chauffieren und telefonieren, nachts unzählige Male aufstehen – Wir! bleiben fast immer außen vor. Nur selten werden Wir! – geschweige denn die Pflegebedürftigen selbst – nach den Missständen gefragt, die uns alltäglich schwer belasten.

Dabei sind WIR !!! Deutschlands größter Pflegedienst – wie u.a. die Vorsitzende von „Wir! Stiftung pflegender Angehöriger“ Brigitte Bührlen nicht müde wird laut auszusprechen bei Fachtagungen, Konferenzen, gegenüber von Bundestagsabgeordneten und bei TV Talkshows und Tageszeitungen. Sie gibt uns eine Stimme, ihre Stiftung eine Lobby, trotzdem wird weggesehen. Wir! Sind in der politischen Debatte weitgehend unsichtbar!

Ähnlich wie bei Menschen mit Behinderung wird in der Regel ÜBER uns geredet aber fast NICHT MIT uns gesprochen!

Und dabei betrifft es uns auch direkt: Wir! sind in unserem Alltag „Co-behindert“!
Kämpfen immer wieder aufs Neue um die Versorgung unserer „Pfleglinge“ vom Pflegegrad, den Behindertenausweis über Hilfsmittel, Therapien, Medikamente. Fordern Teilhabe, überhaupt gehört und ernst genommen zu werden von den Ämtern und im Sprechzimmer, bitten um Assistenz und fordern Unterstützung im Alltag – kurzum das was Pflegebedürftigen laut Recht zu steht – doch oftmals landen wir damit vor dem Gericht!

Wir haben 24h-Jobs als Carearbeiter*innen über Jahre und die Entlastung, die uns gesetzlich zusteht, ist meist nicht zu realisieren, weil zu viele Hürden bestehen oder keine Angebote, wie Kurzzeitpflege, in ausreichendem Umfang vorhanden sind.

Der Notstand in der professionellen Pflege kommt hinzu. Wir müssen auch in der Klinik mit anpacken, es wird davon ausgegangen, dass wir unsere Lieben – egal, ob Kind, Jugendlicher, Erwachsener oder älterer Mensch – stets mit versorgen bei stationären Aufenthalten, sei es nach Eingriffen oder zu therapeutischen Zwecken.

Gesetzliche Neuerungen wie, dass wir unseren pflegebedürftigen Angehörigen nun zur eigenen Kur mitnehmen dürfen, sind eine Farce. Wie soll man oder frau sich während der Fortsetzung der Pflegetätigkeit denn bitte schön regenerieren? Und es gibt auch quasi keine Einrichtung die Pflegebedürftige – ins Besondere Kinder mit Pflegegrad V – aufnimmt! Das ist auch der einzige Punkt, der neuen Pflegestärkungsgesetze, der sich direkt auf uns bezieht. (Am Rande wird noch über Reduktion des Eigenanteil für die Heimkosten debattiert. Was wieder nur primär die Senioren betrifft.)

Pflegende Eltern behinderter oder chronisch kranker Kinder sowie Young Carerers (junge Menschen, die pflegebedürftige Familienmitglieder versorgen) werden doppelt übergangen, als seien sie nicht existent. Nur bei äußert wenigen Fachforen spricht man mit uns direkt.

Und es ist (über-) lebenswichtig für unsere körperliche und psychische Gesundheit, dass wir uns zwischendurch erholen und eine wirkliche Auszeit haben.
Denn Wir! kommen nie wieder raus aus unserer Verantwortung. Wir! sind auch häufig gezwungen Zuzahlungen leisten zu medizinisch relevanten Dingen wie Arzneimitteln und Therapien, während unsere inzwischen erwachsenen Kinder mit Handicap das Essengeld vom Minilohn in den exklusiven Jobs der Werkstätten abgezogen wird. Wir werden zur Kasse gebeten, wenn wir nicht mehr können und unsere Pflegebedürftigen in Einrichtungen, meist nach langer Wartezeit, einen Platz gefunden haben. Doch nötige Hilfsmittel erkämpfen und bei allen Kontrollen und Operationen in die Klinik begleiten, ist weiterhin unsere Aufgabe. Selbstverständlich sollen Wir! dann wieder um Freistellung von der Arbeit bitten. Wenn Wir! nicht ohnehin zu kaputt sind, nach jahrzehntelanger Pflege, um in den gelernten Job zurück zu kehren.

Die 10-Tage-Pflegezeit sind ebenfalls ein schlechter Witz, das reicht bei chronisch kranken oder mehrfach behinderten Hinten und Vorne nicht ansatzweise aus, um die Versorgung zu begleiten bzw. zu gewährleisten. Zumal dieser „Pflegekurzurlaub“ unbezahlt ist in der Regel.

Wäre kein Problem, wenn für diese Zeit auch die Miete flach fällt, der Wocheneinkauf ist für umme ist und der Tankwart uns gratis voll tanken lässt machen, damit wir zu unseren Arztterminen kommen….Ja, man wird sarkastisch und frustriert, schlimmstenfalls verbittert oder depressiv durch die Hürdenläufe der Dauerpflege. Aber es reicht!

„WIR LASSEN ES NICHT MEHR ZU!“, schreit Arnold Schnittger empört und viele pflegende Angehörige empören sich mit. Wollen nicht mehr stillschweigend als Popo Putzer ohne Stimme gesehen und wie Arbeiter*innen dritter Klasse behandelt werden.

WIR! leisten so viel jeden Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Arnold pflegt seinen schwer behinderten Sohn Nico seit über 17 Jahren. Viele von uns werden nie wieder frei und selbstbestimmt leben können. Wir! verfallen aber nicht mehr kollektiv in Depression, sondern begehren auf! 》Die Pflegerebellen《 haben sich erfolgreich gegründet und außer auf den diversen Onlineplattformen werden wir bald auch in deutschen, vielleicht auch in österreichischen und schweizer Städten zu sehen sein.

Wir haben es satt!

Eine zornige Rolle des Klopapier, als Symbol für das was – neben der unsäglichen bürokratischen Papierstapel für Anträge, Gutachten und Widersprüche – unser Leben dominiert, ist das Logo dieser Bewegung geworden.

Und Wir! werden nicht leise werden, ehe auch die unwürdigen Umstände für pflegende Angehörigen und Menschen mit Behinderung sowie chronischer Erkrankung sich maßgeblich verändert haben!

Die erste große Pflegerebellen Demonstration wird heute in einem Monat am 13. August 2019 in Berlin vor dem Gesundheitsministerium stattfinden sowie in Dülmen in NRW und sich hoffentlich in vielen weiteren Städten fortsetzen.

Natürlich ist es nicht einfach neben der Pflege zu revoltieren, aber es gibt viele Wege friedlich und kreativ sich einzubringen.

Zeigt euren Unmut! Macht mit begehrt auf! Schließt euch an. Hebt eure Hände, denn:

Ohne Angehörigen- keine Pflege!

Mehr Informationen zu den Pflegerebellen und der Demo am 13.08.2019 und weiteren zukünftigen bundesweiten Aktionen in der öffentlichen Facebookgruppe: Die Pflegerebellen

Wendet euch bei Fragen direkt per Nachricht an Arnold Schnittger via Facebook oder an: info@nicosfarm.de

VERANSTALTUNGSHINWEISE:

Kreative DEMO im Südwesten – Stellvertreter-Pflegeprotest in Heilbronn (BW): Am Samstag, 05.10.2019 sind von 10.30- 12.30Uhr alle die Pflege leisten oder selbst Unterstützung im Alltag benötigen eingeladen zum Kiliansplatz zu kommen. Pflegende Angehörige die nicht können aufgrund ihrer Pflegeverpflichtungen – schickt bitte eure Erfahrungsberichte und Forderungen – gerne zusammen mit ausgedienten Hilfsmitteln oder Schuhen (werden danach entsorgt und gespendet) als eure Stellvertretern an die organisierenden Vereine: Hölder – Initiative für Kultur und Inklusion e.V. , Rieslingstr. 35, 74226 Nordheim email : Hoelder.Initiative@gmail.com ODER Solidaria e.V. , Wilhelmstraße 53, 74070 Heilbronn.

• Der Pflegerebellen- Gründer Arnold Schnittger kommt in den Südwesten im Herbst zu zwei Lesungen zu deinem Buch „Ich berühr den Himmel. Im Rollstuhl durch Deutschland“ über seine Protestwanderung zusammen mit seinem schwer behinderten Sohn Nico.

Am Freitag, den 18.10.19 ist er zu Gast im Café Lichtburg in Lauffen a.N. organisiert von der „Hölder – Initiative für Kultur und Inklusion e.V. “ und Solidaria e.V. – mit Unterstützung von Anzetteln e.V. (Mobile Rampe für Eingangsstufen vorhanden)

Am Samstag, den 19.10.2019 ist er anschließend auf Einladung von Rückenwind e.V. unddem Manufakturenmarkt in Kernen-Stetten im Sommersaal der Diakonie (Barrierefrei).

Beginn jeweils: 19.00Uhr

Der Eintritt bei beiden Lesungen ist frei – Spenden erwünscht.

BeitragsBeitragsbild (c) Natacha Vanhoof

Kreisel, Kreisel dreh dich. Es geht immer weiter.

Die kleine Piratenprinzessin tanzt herum und singt in ihrer Da-da-Sprache. Ich summe das Kinderlied „Dreh dich kleiner Kreisel.“

Der Kreisel dreht sich weiter. Ich sehe verschwommen was um mich herum ist vorbei ziehen. Höre die klingende Melodie und taumele. Nur nicht umkippen. Weitermachen.  Im Lot bleiben.  Doch das Schlingern ist Teil des Kreiselstanz.

Dieses Bild sehe ich vor mir, so fühle ich mich seit einer Weile immer wieder. Mir ist schwummrig. Viel ist passiert im letzten Monat: Wir waren zum vierten Mal dieses Jahr stationär, was ziemlich anders ablief und uns, auch wenn der Aufenthalt nur 8 Tage dauerte, echt einiges an Nerven abverlangt hat.

Der kleine König ist vier geworden und wir haben ihm einen goldenen Festtag bereitet, so gut das einen Tag nach Entlassung geht. Wir waren beim ersten Kindergeburtstag in der Nachbarschaft eingeladen. Elternabende, Sitzungen, Termine bei Ämtern. Schöne Momente und geballter Alltag der Elternpflichten, denen wir nicht alleine hinterher hetzen. Nur verteilt sich als pflegende Eltern die Konzentration auf so Vieles. Und was man selbst als wichtig ansieht, kommt zu oft zu kurz, da die anderen am längeren Hebel sitzen.

Es hat sich einiges geändert und ist trotzdem irgendwie fast beim Alten geblieben. Das ist alles so verwirrend, irritierend. Es geht immer weiter – oder drehen wir uns im Kreis? Ist das etwas Positives? Das Leben geht immer weiter. Oder: Show must go on. Wir funktionieren. Ich möchte mich nicht nur fügen, abhaken was andere mir vorsetzen. Ich möchte mich gerne und aufmerksam um mein zwei Schätze kümmern. Aber es ist so oft ein Erledigen von To Do’s.  Die verdammte Liste wird nicht kürzer. Egal wieviel ich hinter mich gebracht habe, sie wächst weiter, rollt sich am Boden noch auf.

Und das alles zum Jahresende. Dabei hatten wir schon seit Frühjahr massiven Ärger mit der Versicherung und den Ärzten,  der die Energiereserven kontinuierlich leer gesaugt hat.

Die Kraft ist lange schon aufgebraucht. Doch der Kreisel dreht sich. Hilfsmittelanträge wollen bewilligt, Rechnungen bezahlt, Verordnungen besorgt, Arzttermine koordiniert werden. Dazwischen Laterne laufen und andere nette Familienaktionen im Kindergarten? Ich schlafe schon beim Abendessen fast ein. Selbst meine wenigen Hobbys, die doch auch Freude und Entspannung bringen sollen, stressen mich. Blöde Krankheiten kommen im unpassendsten Moment zurück.

Und das Komische – eigentlich haben wir gute Nachrichten bekommen. Doch fühlt es sich (noch) nicht so richtig danach an:

Wir haben tatsächlich noch in diesem Jahr einen Kinderintensivpflegedienst gefunden, der mehr Kapazität als unser bisheriger hat. Nur wollen sie nicht kooperieren – das bedeutet Ex oder Hopp. Wir können mehr Stunden bekommen,  auch weniger Lücken in der Versorgung, wenn wir unser altbewährtes Team opfern. Liebevolle Kinderkrankenpflegerinnen, die den kleinen Räubersohn teilweise schon über Jahre kennen und mir zur Seite gestanden sind. Da gibt es keinen guten Mittelweg. Das war eine so eine schwere Entscheidung und doch hatten wir keine Wahl. Wir haben gewechselt und sind jetzt noch lange von Normalität entfernt, weil das mehr ist als einfach ein Unternehmen gegen ein anderes zu ersetzen. Die Frauen fehlen auch als Menschen. Einziger Trost: Ich bin mir sicher das neue Team ist auch sehr gut und wird sich ebenso reinhängen. Und was mich auch betrübt: So schnell und plötzlich bekommt man bei einem Pflegedienst nur einen Platz, wenn ein anderes Kind verstirbt. Natürlich ist im Prinzip nichts anderes wie, wenn ein Angehöriger  durch die Organspende eines anderen weiterleben kann. Dankbarkeit mit traurigem Beigeschmack. Zumal wir mehrere Familien mit Lebenszeit limitierend erkankten Lieblingen kennen. – Das kann ich nicht täglich ausblenden.

Alles ist neu und wirkt befremdlich.  Alles muss sich einspielen. Nebenher soll der Alltag laufen und ich stehe oft neben mir,  fühle mich erdrückt, manchmal versteinert von all dem was noch zu tun ist. Es geht weiter…tröstlich? Oft beunruhigend. Ich verfalle zeitweise in Schockstarre.

Auch mein Herzensprojekt, das ich zu Jahresbeginn mit aus den Angeln hob, es hat sich sehr gewandelt.  Und doch finde ich Vieles daran richtig gut. Wir haben nun kein Buchcafé eröffnen können, dafür aber einen tollen kleinen Verein gegründet. Eine Initiative, die sich für Inklusion und Kultur einsetzt in Hölderlins Geburtsstadt. Und unsere erste Lesung gestern mit Marian Grau („Bruderherz. Ich hätte dir so gern die ganze Welt gezeigt“) war unglaublich. Dieser junge Kerl gibt mir soviel Mut, Vieles an ihm erinnert mich an mich selbst nur früher. Beim Moderieren des Gesprächs hatte ich das Gefühl seit langem einmal etwas zu tun, das richtig „meins“ ist. Mich für etwas einzusetzen das von Bedeutung ist und das auch gut zu machen. Ein Zuhause Gefühl.

Und heute bin ich wieder etwas wehmütig, hier daheim zwischen Wäschebergen, mit fieberndem König und hustender kleiner Miss, die trotzdem herum springt. Ich bin irgendwie wieder im Standby-Modus auf Sparflamme, weil die Energie einfach weg ist. Drehe mich weiter nur, weil es eben weiter gehen muss.

 

Erholsame Klinikauszeit und böses Erwachen.

Wir waren nach Pfingsten zu Gast in der „GNTK“ – Germanys Next Top Kinderklinik“ Dritterorden in München. Das war fast wie ein erholsamer Kurzurlaub. Leider folgte darauf eine unschöne Überraschung zu Hause.

Gleich vorweg – nein, das ist nicht ironisch gemeint! Wir hatten wirklich eine gute Woche zusammen in der Bayrischen Landeshauptstadt in der Kinderklinik, die wirklich drei Orden verdient.

Ich muss euch ein bisschen davon erzählen, weil ich denke, da könnten sich einige Krankenhäuser und Mediziner  etwas von abschauen. Dass jemand andere Erfahrungen gemacht ist natürlicher möglich, unser Bericht ist subjektiv. Ich kann eben nur von unseren Erlebnissen, unseren 6 Tagen auf der orthopädischen Station dort berichten. Die waren nicht 100% positiv, aber doch überraschend gut.

Zugegeben wir hatten in mehrererlei Hinsicht Glück: Da der MaPa technischer Lehrer ist und Pfingstferien waren,hatte er die ganze Woche frei und wir konnten zu viert los. Außerdem stellten uns seine Eltern, wie schon öfter, ihr Wohnmobil zur Verfügung! Wir haben uns im Vorfeld schon Gedanken gemacht wo wir wohl in Kliniknähe das große Gefährt platzieren können:  Bei den Kleingärtnern, dem Freizeitsportgelände oder notfalls sogar am Friedhofparkplatz laut googlemaps. Auf gut Glück sind wir dann zu der Parallelstraße zum Hauptgebäude gefahren nahe der Notaufnahme und dort war ein langer Parkstreifen ohne Verbote, maximal Parkdauer oder Gebühren. Jackpot! Die Lage der Dritterorden Kinderklinik ist auch wirklich genial. Nebenan ein kleiner Wald mit einem Zelthostel (The Tent), ums Eck der Botanische Garten und nicht weit entfernt der Schlosspark Nyphenburg.

Das Essen war etwas Klinikmäßig aber schon ganz okay mit einem Hauch von Vitaminen. Dafür war die Cafeteria top mit leckeren kalten und warmen kleinen Gerichten und sage und schreibe sechs Sorten Bier zur Auswahl – das gibt’s auch nur in Bayern. (Und in meiner blau-weißen Zweitheimat fühlen wir uns schon immer wohl.) 

Was uns sehr freute: Wir hatten viel Privatsphäre, alle Kids sind in Einzelzimmern untergebracht und das Bett der Begleitperson durfte stehen bleiben. Die Duschen waren zwar auf dem Gang aber es wurde alles oft geputzt, so dass das typische Krankenhaus-Ekelgefühl überhaupt nicht aufkam.  Auch das Gebäude ist selbst schön hell mit Grünpflanzen und einem gratis Karussell im Innenhof sowie einigen Automaten für Snacks und Tischkickerbällen. Draußen gibt es noch einen Spielplatz und Brunnen sowie Rasenfläche, sehr zur Begeisterung der kleinen Miss, die inzwischen nicht mehr zu halten ist. Auch von medizinischer Seite und Ausstattung waren wir sehr zufrieden.  Sehr nettes Pflegepersonal, das uns unterstützen aber auch nicht Dauer präsent war sowie nahbare Ärzte, die sich persönlich entschuldigen als – einer der wenigen Wehmutstropfen – sich der Op Termin zuerst nach hinten und dann um einen Tag verschob. Der Eingriff selbst verlief gut und wir sind eigentlich ganz froh, hier gelandet zu sein nachdem die Anästhesisten, der für Ulzibat/Myofasziotomie bekannten Schönklinik sich nicht an unseren Nieren kranken kleinen Sohnemann ran getraut haben.

Wir hatten es auch von Petrus Seite recht gut verwischt und waren insgesamt viel draußen unterwegs mit den Kids in ihren Buggys. Bis auf den Op Tag natürlich, aber schon am Tag darauf bekamen wir wieder Ausgang was beim schwülen Wetter sehr gut tat. Denn unter den großen Bäumen des Schlossparks ließ es sich deutlich besser aushalten als auf Station.  Auch im nahen Biergarten und beim Griechen, der ebenfalls in derselben Straße seine Terrasse hat, und im Villenviertel waren wir spazieren. Gern wären wir einen Tick früher wieder abgereist, aber unterm Strich sind wir wirklich sehr zufrieden gewesen und können die Einrichtung getrost weiter empfehlen. Die Woche fühlte sich mit den vielen kleinen Unternehmungen fast wie Urlaub an.

Epilog :

Gott sei dank hatten wir keine Ahnung, dass wir kaum dass wir daheim waren ein Himmelfahrtskommando erwarten sollte. Während wir nur alle Vorbereitungen für die Auslandsreisen trafen, zu der wir nur knapp zwei Wochen später aufbrechen wollten.  Kam der Unglück verheißende Brief der privaten Krankenversicherung mit dem großen D – angeblich bestehe kein Intensivpflegebedarf. Und wir fielen aus allen Wolken. Unglaublich wir hatten ja wegen der furchtbaren Nächten mit schlimmsten Schreiattacken und Atemaussetzern,die vor rund 14 Monaten begannen, seit langem vehement um MEHR Unterstützung gebeten. Jetzt konnten nur, nach mehreren schlaflosen Nächten eine mehr schlechte als rechte Übergangslösung treffen. Denn inzwischen sind wir schon unterwegs Richtung Osten. Nach der Faszien-Op ist nämlich genau der richtige Zeitpunkt, um die (zumindest zeitweise) wieder gewonnene Bewegungsfreiheit zu nutzen und zu trainieren, dass die Spastik nicht die Oberhand behält .

Das Gutachten, das wohl wieder direkt von Grimm’s Erben verfasst wurde (wäre ja nicht das erste mal), habe ich noch nicht erhalten. Sobald ich es in Händen habe, werde ich es nach allen Regeln der Kunst zusammen mit unseren Ärzten zerlegen und notfalls mit Hilfe des Sozialgericht anfechten. Auch Wut kann einem neue Kraft geben, fragt sich nur für wie lange. Jetzt sind wir ab nächsten Montag erst  einmal bei der Adeli Therapie in der Slowakei. Dann geht die unendliche Geschichte des Kämpfens weiter. Und ich dachte, danach wäre erst einmal Ruhe angesagt und Zeit für mein Buchcafé Projekt. Zu früh gefreut. Aber irgendwie geht es weiter. Step by Step. Aufgeben ist keine Option.

Und wir haben auch Positives in Aussicht: Auf dem Weg sind wir noch auf einer Hochzeit von lieben Freunden und unsere Piratenprinzessin wird tatsächlich schon ein Jahr alt.