Wenn pflegende Angehörige rebellieren.

Am Samstag 05.10.2019 fand unsere KREATIVE PROTESTAKTION mit Stellvertreter Demo in Heilbronn auf dem Kiliansplatz statt – hier für euch die Rede, die ich als erste Vorsitzende der „Hölder-Initiative für Kultur und Inklusion e. V. “ dort gehalten habe:
>>Unendliche Kämpfe, Fremdbestimmung und Pflege bis zum Umfallen:
Wir lassen es nicht mehr zu!
Willkommen – was Sie sehen all die Schuhe und Hilfsmittel – ist kein Flohmarkt, sondern Teil unserer kreativen Protestaktion pflegender Angehöriger und von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung.
Wir sind pflegende Angehörige aus Heilbronn und Umgebung und bekommen Unterstützung von den Vereinen „Hölder – Initiative für Kultur und Inklusion e.V.“ aus Lauffen am Neckar, „Solidaria e.V.“ und ihrem Projekt „Löwenkids für Geschwisterkinder“, sowie der neuen Selbsthilfegruppe „TEILHABE JETZT!“ Für pflegende Angehörige und Menschen mit chronischer Erkrankung und Behinderung. Angeregt wurde unsere Aktion von der Onlinebewegung „Die Pflegerebellen“ die mehr und mehr auch im realen Leben auf die Missstände in der Angehörigenpflege aufmerksam macht und auf derer Mitglieder zunehmend auf die Straße gehen.
Ich pflege seit 5 Jahren meinen schwerbehinderten und chronisch nierenkranken Sohn. Da auch meine Oma seit einigen Jahren pflegebedürftig ist, weiß ich was es bedeutet kranke Familienmitglieder aufopferungsvoll zu Hause zu versorgen. Diese Carearbeit ist ein Kraft zehrender Fulltimejob – nicht zuletzt wegen der nicht endenden Kämpfe um Rechte wie Teilhabe, Therapien und Selbstbestimmung. Selbst grundlegende Dinge wie Hilfsmittel und sogar Nahrung müssen oft erstritten werfen nicht selten sogar vor Gericht – unserem chronisch kranken Sohn wird bsw. vom Land BW nicht einmal seine Sondennahrung vollständig erstattet, die er über seine Magensonde erhält.
Wir pflegenden Mütter, Väter, Töchter und Söhne, Ehefrauen und -männer, Enkel, Lebensgefährt*innen und andere pflegende Angehörige und hauptberuflich Pflegenden- müssen endlich gehört werden.
Die im Sommer 2019 neu erlassenen Pflegegesetze müssten eigentlich PflegeSCHWÄCHUNGsgesetze heißen: Das RISG – das „Reha- und Intensivpflege-stärkungsgesetz“ -bedeutet eine Entmündigung der schwer kranken, pflegebedürftigen Menschen über 18 Jahren, die Beatmung benötigen und anderem Intensivpflegebedarf haben nun auf die Order des Gesundheitsministers in Heime abgeschoben werden sollen, um Kosten für ambulante Pflegedienste zu sparen. Dabei gibt es bereits jetzt zu wenig Heimplätze, die auf hohe Pflegegrade und ins Besondere junge Menschen ausgelegt sind. Ein absoluter „SPAHNsinn“, der jeglichen Realitätsbezug vermissen lässt und Achtung der Menschenwürde, sowie dem Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe entbehrt. Auch bei dem sogenannten „Angehörigenentslastungsgesetz„, geht um die Pflegebedürftigen, die in Seniorenheimen und anderen betreuten Einrichtungen leben. Es übergeht den größten Pflegedienst Deutschlands – das sind WIR! – Die pflegenden Angehörigen, die sich zu Hause um ihre Lieben kümmern!
Förderung der Berufspflege ist sehr wichtig – aber wir pflegenden Angehörigen tragen sehr viel Last – in den meisten Fällen die Hauptlast und immer viel Verantwortung.
Rund 400.000 Pflegebedürftige gibt es laut der Pflegestatistik 2017 des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg in Baden-Württemberg – rund 300.000 von ihnen werden zu Hause gepflegt! Nur knapp etwas mehr als die Hälfte bekommt dabei noch stundenweise Unterstützung eines Pflegedienstes – für uns passiert zu wenig. Auch im neuen Pflegestärkungsgesetzen ist der einzige Punkt, der sich auf uns pflegende Angehörige bezieht der, dass wir leichter eine Reha bekommen sollen. Die Grundbedingungen werden davon aber nicht berührt. Und das Recht, dass man seinen Pflegenden mit zur Reha nehmen kann, sehe ich als kontraproduktiv an. Das pausenlose Kümmern ist ja unsere „Arbeit“! Wie soll man sich da erholen und neue Kraft tanken, wenn man nebenbei weiter pflegt??
Wir! pflegenden Angehörigen und was wir brauchen bleiben fast immer außen vor. Wir leisten so viel und „Sonntags pflegen wir auch noch“ – deshalb rufen wir: „Wir lassen es nicht mehr zu!“ Wir haben uns online zusammen geschlossen zu „Die Pflegerebellen“ und wir fordern, dass es endlich ein Fürsorgegehalt, gibt ähnlich dem Elterngeld. Und ich verstehe auch nicht, warum unsere Arbeit als pflegende Angehörige so wenig wert ist. Für einen Pflegedienst stehen 1995€ im Monat zur Verfügung, wir erhalten beim höchsten Pflegegrad V gerade 901€!
Finden wir tatsächlich Unterstützung, sind die 125€ Entlastungsleistungen im Schnitt bereits nach 1,5h Stunden im Monat aufgebraucht. Dann wird das Pflegegeld gekürzt und die Rentenpunkte – was soll das für eine Entlastung sein? Selbst, wenn man sich nur stundenweise Hilfe für die Betreuung oder die Grundpflege holt, fällt man sofort in die Kombinationspflege – obwohl wir noch immer den Hauptteil alleine stemmen.
Die neue Pflegezeit ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein- es gut gemeint aber was nützen 10 Tage, zudem unbezahlte, wenn man sich dauerhaft um ein schwer krankes oder behindertes Familienmitglied kümmert? Genauso das Pflegedarlehen – wie soll man das ohne Einkommen abzahlen? In anderen Ländern wie Finnland und Schweden gibt es ein Assistenzgehalt für pflegende Angehörige! Es ist machbar! Die Krankenkassen erwirtschaften Überschüsse im Milliardenbereich! Pflegebedürftige, alte und kranke Menschen sind häufig multimorbid – das heißt sie leiden an vielen schweren ja Erkrankungen – dafür müssen die Krankenkassen aufkommen! Die Anteile von Pflege- und Krankenkassen müssen neu verteilt werden. Nicht nur der Klimawandel sollte uns in Angst und Schrecken versetzten auch der Pflegenotstand und die sich abzeichnende soziale Krise!
Durch den demographischen Wandel steuern wir auf eine noch nie da gewesenen Versorgungsmissstand zu! Bereits heute fehlen je nach Hochrechnung zwischen 30.000 und 50.000 Pflegekräfte in Deutschland – diese Zahlen werden sich in den nächsten 16 Jahren laut Hochrechnungen bis zu verzehnfachen. Für diese Situation es keine ausreichenden Heimplätzte oder Pflegefachkräfte! Es wird von uns PFLEGENDEN ANGEHÖRIGEN gestemmt werden müssen. Die Politik und Krankenkassen müssen JETZT handeln!
Auch bisherige Unterstützungsangebote greifen zu wenig! Die Kurzzeitpflege bei hohen Pfleggraden reicht nur für einen kurzer Urlaub von 10-15 Tagen! Das Jahr hat aber 365 Tage und wir pflegenden Angehörigen verbrennen!
Machen Sie sich selbst ein Bild: Wir haben 36!!! Erfahrungsberichten pflegender Angehöriger und von Menschen mit Behinderung und chronisch Kranken sowie hauptberuflich pflegender Fachkräfte zu gesandt bekommen – die Schuhe und Hilfsmittel sind Stellvertreter für all die, die durch ihre Pflegearbeit heute nicht hier sein können.
Unsere Demonstration in Heilbronn wurde angeregt von der freien Interessengemeinschaft die PFLEGEREBELLEN, die sich in den Social Media dieses Frühjahr gebildet hat. Es gab bereits Proteste in Berlin, Hamburg, Dülmen und Köln. Heute sind wir in Heilbronn!
Die Klopapierrolle ist das Symbol der Bewegung der Pflegerebellen, denn die Situation ist untragbar!!! WIR brauchen mehr unbürokratische Entlastung und Unterstützung für uns pflegende Eltern und andere pflegende Angehörige, ein würdiges Fürsorgegehalt, mehr Selbstbestimmung und bessere Versorgung sowie unbürokratische Unterstützung zur Gewährung von Teilhabe – auf die es die laut UN-BEHINDERTENRECHTSKONVENTION ein Anrecht gibt – für Menschen mit Behinderung und chronisch Kranke !
WIR LASSEN ES NICHT MEHR ZU! BEGEHRT MIT UNS AUF!
Kommt deswegen am Freitag 18. Oktober 2019 nach Lauffen am Neckar zur Lesung von Arnold Schnittger dem Autor und Gründer der Pflegerebellen, der mit seinem schwerbehinderten Sohn Nico durch ganz Deutschland eine Protestwanderung unternommen hat: Er ließt ab 19Uhr im Café Lichtburg (Stuttgarter Straße 4, 74348 Lauffen a.N. ) seinem Buch: „Ich berühr den Himmel. Mit dem Rollstuhl durch Deutschland.“
Außerdem hat die Hölder-Initiative für Kultur und Inklusion eine SHG gegründet 》Teilhabe jetzt! Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige und Menschen mit Behinderung《 (und chronischer Erkrankung) – jeden Alters aus Heilbronn und Umgebung – Kontakt:
Hoelder.Initiative@gmail.com
Danke, allen, die heute gekommen sind: Den Ehrenamtlichen der Hölder-Initiative e.V., Solidaria e.V. – außerdem sind Vertreterinnen von Sirius e.V., der Familienherberge Lebensweg und FOXG1 Deutschland e.V. anwesend. Danke euch allen, euch Helfern und Helferinnen, unseren Familien und Männern, die sich zu Hause um unsere pflegebedürftigen Kinder kümmern, weil es leider zu schlechtes Wetter ist, um sie heute dabei zu haben.
Ich möchte schließen mit den Worten von Turid Müller der Chansoniere und Kabarettistin:

WÜRDE IST KEIN KONJUNKTIV WÜRDE SCHREIBT MAN GROSS!

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Kleine Freiheiten. Ausbrüche, Aufbrüche neue Herausforderungen.

Gestern habe ich meinen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben. Eine Dozentenstelle auf Honorarbasis für einen pädagogischen Job, der meinem Studienabschluss entspricht. Das Projekt ist leider befristet – aber immerhin ein Anfang. Ein Licht im Tunnel.

Endlich.

Endlich wieder unter Menschen kommen.

Meine letzte Arbeitstelle ist ja schon wieder ein gutes Stück her vor der Geburt der kleinen Miss. Sich mit anderen Dingen beschäftigen wie Arztterminen, Hilfsmitteln und Anträgen. Endlich nicht mehr zu Hause umgeben vom Sisyphos Aufgaben in Haushalt, der Schreibkram für Ämter und Krankenkassen und den üblichen Problemen mit Kindern in der „Autonomiephase“. Manchmal komme ich mir wirklich vor wie in einer dieser antiken Sagen. Wie in jener in der Herkules die riesigen Kuhställe des Zeus ausmisten muss und sofort wieder alles im Mist versinkt. Es ist so unbefriedigend dieses Schuften im Verborgenen ohne Honorar und mit wenig Anerkennung. Drinnen ohne Anschluss an die Außenwelt. Abgesehen von den Pflegerinnen, Therapeutinnen und Großeltern und ein paar Freundinnen, die mich in meinem trauten Heimkäfig besuchen. Zusammen eingesperrt mit meiner temperamentvollen Piratentochter, die inzwischen sogar Bücherregale erklimmt und immer eifersüchtiger auf den kleinen kuschelbedürftigen König wird. Denn raus zu kommen mit dem Junior ist weiterhin ein Organisations- und Kraftakt.

Eine wesentliche schöne Begegnung mit Kuhställen und anderen Tieren hatten wir gerade bei unserem gemeinsamen Familienurlaub in der fränkischen Schweiz. Auf dem Gottlhof bei Hollfeld hatte die kleine Miss gehörig Auslauf und viele pelzige und fedrige Gesellen zum Streicheln und etwas Jagen – mehr haben wir natürlich verhindert. Denn für einen Ausritt eignen sich weder Kaninchen noch Hühner. Aber sie durfte Eier suchen und auf dem großen Pferd Charly heim reiten, ganz ohne Sattel und das, mit ihren knapp zweieinhalb Jahren. Überhaupt war die Ferienwohnung von einem grünen Paradies umgeben, eine Insel der Ruhe in wunderschöner Natur. Ein Wasserrad plätschert an der Wiesent, Wildbienen summen um den lila Schmetterlingsflieder. Der kleine Räubersohn lauscht verzückt und genießt die vielfältigen Eindrücke zwischen Heugeruch, den Kontrasten unter den großen Blätterdach der Bäume und Kikerikii-Rufen.

Zum ersten Mal hatten wir von unserem neuen ambulanten Kinderintensivpflegedienst die Möglichkeit im Familienurlaub eine Schicht durch eine Kinderkrankenpflegerin abgedeckt zu bekommen. Unsere gute Seele, die uns vier begleitet hat, liebt den kleinen König und wir hatten bei kleinen Ausflügen Unterstützung dabei, weil sie sich um seine Medikamente und Hilfsmittel etc. gekümmert hat. An heißen Tagen oder wenn unser Liebling viele Anfälle oder Spastiken hatte, ließen wir ihn bei ihr für ein paar Stunden und unternahmen etwas nur mit der kleinen Miss. Denn ein Burg Besuch mit dem Tragling oder eine kühle, dunkle Höhle hätten wenig Verzückung bei unserem Spatz hervorgerufen.

Kaum vom Urlaub heimgekehrt war nicht nur mein Vorstellungsgespräch, sondern wir durften heute gleich nach Köln mit dem Räubersohn. Die kleine wurde nach der Kita vom Opa bespaßt. Gerade sind wir auf dem Rückweg von unserem Erstgespräch mit dem Team vom Queen Raina Center der Uniklinik. Sie haben zugestimmt, dass das Programm zu ihm passt. Das heißt, er darf in über einem Jahr dann am „Auf die Beine“ Intensivprogramm teilnehmen. Wahnsinn – diese Wartezeiten! Angemeldet haben wir ihn im Dezember 2018. Nun geht’s wirklich los im November 2020! Wir sind einmal gespannt. Und hoffen er bleibt stabil und dass weder Infekte noch Nierenprobleme dazwischen krätschen.

Der Herbst dieses Jahr hat auf jeden Fall auch so noch einiges für uns in Petto. Meine Eltern werden beide noch operiert z.T. mit Reha im Anschluss. Gottseidank keine großen riskanten Eingriffe. Hoffentlich geht alles gut. Die Sorge unserer Sandwich-Generation – dass man neben den Kids sich auch um die Eltern zu kümmern hat – wird nicht gerade geringer, dadurch, wenn man bzw. frau schon Pflegeerfahrung durch die Versorgung des chronisch kranken oder schwer behinderten Kindes hat. (Oder wie Außenstehende ohne Ahnung sagen „Sowie so schon daheim /Hausfrau ist“). Auch Einzelkind wie der MaPa und ich zu sein, ist da nicht wirklich beruhigend. Natürlich wollen wir für unsere Eltern da sein, aber defacto brauchen wir mit unserer Familienkonstellation und Pflegesituation eigentlich mehr ihre Unterstützung. Da kann einem schon flau im Magen werden. Immerhin wird unsere Kleine immer selbstständiger. Aber das Päckchen wollen wir ihr auch nicht einfach übergeben. (Darüber schreibe ich auch in meinem neuen BLICKPUNKTE-Beitrag im Momo-Magazin erscheint 09.2019).

Ich versuche zuversichtlich bleiben; noch läuft alles. Und nachdem ich mir endlich wieder therapeutische-medizinische Hilfe geholt habe, bin ich auch wieder mehr bei Kräften.

Das brauche ich auch, bei diesen Aussichten und Plänen. Denn neben Op’s, Job und üblichen Terminen des kleinen Königs steht im Oktober die Lesung mit Arnold Schnittger an, im Lauffener Café Lichtburg am Fr.18.10.2019 ab 19.00Uhr. Davor noch unser kreativer Pflegeprotest mit Stellvertreter-Demo auf dem Heilbronner Kiliansplatz am Sa., 05.10.2019 von 10.30-12.30Uhr (Mehr Infos unter http://www.hoelder-initiative.de oder Email: Hoelder.Initiative@gmail.com).

Weitere Termine zum Vormerken, Teilnehmen und gerne weitersagen:

Das Team U1K aus der Schweiz kommt auf ihrer Europatour am Do. 06.09.2019 mit ihren Vespas nach Kirchheim am Neckar zu den Weinterassen (ab 15.30 bis ca.18Uhr). Ihr Ziel ist es Spenden zu sammeln für die Erforschung des Gendefekts FOXG1, das der kleine Sohn einer der beiden Aktiven, sowie in unserer Region, Zwillinge einer Bekannten und der jährige Sohn einer guten Freundin von uns hat. Sie bewirtet bei dem Besuch in ihrem tollen Bohnita-Apemobil mit feinem Baristakaffee und leckerem Gebäck zu Gunsten des Fundraising von FOXG1 Deutschland e.V.

– Am Sa.,12.10.2019 lädt Solidaria e.V. zum zwei jährigen Jubiläum des gemeinnützigen Vereins und Einjahres-Feier der LebensRäume in der Wilhelmstr. 53 in Heilbronn. Es gibt den ganzen Tag ein tolles Programm für Familien mit Löwenkids (Geschwisterkinder) und Kindern mit Behinderung .

Die Pflegerebellen kommen: Wir lassen es nicht mehr zu!

Es rührt sich was, wenn tausende pflegende Angehörige rebellieren und aufbegehren!
Hört ihr es? Das Raunen und Zischen: Wir! Erst zögerlich und mit gerunzelter Stirn genuschelt. Dann ein lauteres Rufen mit den Armen in die Hüfte gestemmt und schon deutlich zu vernehmen: Wir !! Noch immer wird bewusst weggehört. Aber wir holen uns Megaphone und werden laut! Wir schreien auf und schreiben Plakate – online auf verschiedenen Socialmedia Kanälen starten die erste Aktionen mit eindeutigen Hashtags und Bildern.

Bald seht ihr uns auf der Straße, erste Demos haben bereits gestartet – wie heute am 13.07.2019 in Köln bei der „Pflege am Boden“ auf dem Domplatz bei der sich unter die ausgebildeten Krankenpfleger*innen, die den Pflegenotstand und die schlechte Arbeitsbedingungen anprangern, zunehmend auch pflegende Angehörige mit ihren Bannern mischen – zu Recht!

Denn wer pflegt die Großzahl der alten, schwer kranken und behinderten Menschen?

WIR !!! Die Mütter und Töchter, die Väter und Söhne, Brüder und Schwestern, die Ehefrauen und Ehemänner, die Lebenspartner*innen und andere Angehörige.
Es sind vor allem Frauen aber auch einige Männer, die ihre bezahlte Erwerbstätigkeit stark einschränken oder ganz aufgeben müssen, weil sie sich um ihre pflegebedürftigen Lieben kümmern.

Doch diese Carearbeit wird nicht honoriert. Es gibt nach wie vor keine Fürsorgegehalt – auch nicht für das Versorgen von komplett unselbstständigen Menschen, die rund um die Uhr medizinische Versorgung und Betreuung benötigen – höchstens Aufstockung nach Harz IV, ist der Lohn für diese kräftezehrende Aufgabe. Das Pflegegeld von 901 €/ Monat (bei dem höchsten PflegegradV) entspricht in keiner Weise dem Mindestlohn, wenn die reelle Arbeitszeit berücksichtigt wird. Und professionelle Pflegedienste – oder Heime würden über 1000€ mehr erhalten (1995 €/ Monat), obwohl sie damit niemals den gleichen Stundenumfang wie die pflegenden Angehörigen abdecken können.

Das ist entwürdigend und ungerecht! Wenn Wir! alt sind, droht uns zusätzlich noch Altersarmut, da wir so kaum Rente erhalten und auch nicht privat vorsorgen können. Wer kümmert sich um uns? Viele sind bereits in der Mitte des Lebens auch am Limit – auch existenziell.

Und wir reden hier nicht von einer kleinen Gruppe, sondern unzähligen privat Pflegenden, das belegen die Zahlen des Statistischen Bundesamts in ihrem letzten Pflegebericht (destatis 18.12.2018):

„Gut drei Viertel (76 % oder 2,59 Millionen) aller Pflegebedürftigen wurden zu Hause versorgt. Davon wurden 1,76 Millionen Pflegebedürftige in der Regel allein durch Angehörige gepflegt. Weitere 0,83 Millionen Pflegebedürftige lebten ebenfalls in Privathaushalten, sie wurden jedoch zusammen mit oder vollständig durch ambulante Pflegedienste versorgt. Knapp ein Viertel (24 % oder 0,82 Millionen Pflegebedürftige) wurde in Pflegeheimen vollstationär betreut.“

Wir! Pflegenden Angehörigen sind somit keine Mitglieder einer zu vernachlässigenden Randgruppe – sondern rund 2 Millionen! Trotzdem wird vor allem in den Diskussionen von und mit Fachkräften gesprochen, von Krankenpfleger*innen und Altenpfleger*innen. Wir!, die uns ebenfalls jeden Tag kümmern – unsere uns Anvertrauten waschen, ihnen Essen geben, ihre Sonden und Katheder versorgen, Windeln wechseln und Hilfsmittel anziehen, tagsüber chauffieren und telefonieren, nachts unzählige Male aufstehen – Wir! bleiben fast immer außen vor. Nur selten werden Wir! – geschweige denn die Pflegebedürftigen selbst – nach den Missständen gefragt, die uns alltäglich schwer belasten.

Dabei sind WIR !!! Deutschlands größter Pflegedienst – wie u.a. die Vorsitzende von „Wir! Stiftung pflegender Angehöriger“ Brigitte Bührlen nicht müde wird laut auszusprechen bei Fachtagungen, Konferenzen, gegenüber von Bundestagsabgeordneten und bei TV Talkshows und Tageszeitungen. Sie gibt uns eine Stimme, ihre Stiftung eine Lobby, trotzdem wird weggesehen. Wir! Sind in der politischen Debatte weitgehend unsichtbar!

Ähnlich wie bei Menschen mit Behinderung wird in der Regel ÜBER uns geredet aber fast NICHT MIT uns gesprochen!

Und dabei betrifft es uns auch direkt: Wir! sind in unserem Alltag „Co-behindert“!
Kämpfen immer wieder aufs Neue um die Versorgung unserer „Pfleglinge“ vom Pflegegrad, den Behindertenausweis über Hilfsmittel, Therapien, Medikamente. Fordern Teilhabe, überhaupt gehört und ernst genommen zu werden von den Ämtern und im Sprechzimmer, bitten um Assistenz und fordern Unterstützung im Alltag – kurzum das was Pflegebedürftigen laut Recht zu steht – doch oftmals landen wir damit vor dem Gericht!

Wir haben 24h-Jobs als Carearbeiter*innen über Jahre und die Entlastung, die uns gesetzlich zusteht, ist meist nicht zu realisieren, weil zu viele Hürden bestehen oder keine Angebote, wie Kurzzeitpflege, in ausreichendem Umfang vorhanden sind.

Der Notstand in der professionellen Pflege kommt hinzu. Wir müssen auch in der Klinik mit anpacken, es wird davon ausgegangen, dass wir unsere Lieben – egal, ob Kind, Jugendlicher, Erwachsener oder älterer Mensch – stets mit versorgen bei stationären Aufenthalten, sei es nach Eingriffen oder zu therapeutischen Zwecken.

Gesetzliche Neuerungen wie, dass wir unseren pflegebedürftigen Angehörigen nun zur eigenen Kur mitnehmen dürfen, sind eine Farce. Wie soll man oder frau sich während der Fortsetzung der Pflegetätigkeit denn bitte schön regenerieren? Und es gibt auch quasi keine Einrichtung die Pflegebedürftige – ins Besondere Kinder mit Pflegegrad V – aufnimmt! Das ist auch der einzige Punkt, der neuen Pflegestärkungsgesetze, der sich direkt auf uns bezieht. (Am Rande wird noch über Reduktion des Eigenanteil für die Heimkosten debattiert. Was wieder nur primär die Senioren betrifft.)

Pflegende Eltern behinderter oder chronisch kranker Kinder sowie Young Carerers (junge Menschen, die pflegebedürftige Familienmitglieder versorgen) werden doppelt übergangen, als seien sie nicht existent. Nur bei äußert wenigen Fachforen spricht man mit uns direkt.

Und es ist (über-) lebenswichtig für unsere körperliche und psychische Gesundheit, dass wir uns zwischendurch erholen und eine wirkliche Auszeit haben.
Denn Wir! kommen nie wieder raus aus unserer Verantwortung. Wir! sind auch häufig gezwungen Zuzahlungen leisten zu medizinisch relevanten Dingen wie Arzneimitteln und Therapien, während unsere inzwischen erwachsenen Kinder mit Handicap das Essengeld vom Minilohn in den exklusiven Jobs der Werkstätten abgezogen wird. Wir werden zur Kasse gebeten, wenn wir nicht mehr können und unsere Pflegebedürftigen in Einrichtungen, meist nach langer Wartezeit, einen Platz gefunden haben. Doch nötige Hilfsmittel erkämpfen und bei allen Kontrollen und Operationen in die Klinik begleiten, ist weiterhin unsere Aufgabe. Selbstverständlich sollen Wir! dann wieder um Freistellung von der Arbeit bitten. Wenn Wir! nicht ohnehin zu kaputt sind, nach jahrzehntelanger Pflege, um in den gelernten Job zurück zu kehren.

Die 10-Tage-Pflegezeit sind ebenfalls ein schlechter Witz, das reicht bei chronisch kranken oder mehrfach behinderten Hinten und Vorne nicht ansatzweise aus, um die Versorgung zu begleiten bzw. zu gewährleisten. Zumal dieser „Pflegekurzurlaub“ unbezahlt ist in der Regel.

Wäre kein Problem, wenn für diese Zeit auch die Miete flach fällt, der Wocheneinkauf ist für umme ist und der Tankwart uns gratis voll tanken lässt machen, damit wir zu unseren Arztterminen kommen….Ja, man wird sarkastisch und frustriert, schlimmstenfalls verbittert oder depressiv durch die Hürdenläufe der Dauerpflege. Aber es reicht!

„WIR LASSEN ES NICHT MEHR ZU!“, schreit Arnold Schnittger empört und viele pflegende Angehörige empören sich mit. Wollen nicht mehr stillschweigend als Popo Putzer ohne Stimme gesehen und wie Arbeiter*innen dritter Klasse behandelt werden.

WIR! leisten so viel jeden Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Arnold pflegt seinen schwer behinderten Sohn Nico seit über 17 Jahren. Viele von uns werden nie wieder frei und selbstbestimmt leben können. Wir! verfallen aber nicht mehr kollektiv in Depression, sondern begehren auf! 》Die Pflegerebellen《 haben sich erfolgreich gegründet und außer auf den diversen Onlineplattformen werden wir bald auch in deutschen, vielleicht auch in österreichischen und schweizer Städten zu sehen sein.

Wir haben es satt!

Eine zornige Rolle des Klopapier, als Symbol für das was – neben der unsäglichen bürokratischen Papierstapel für Anträge, Gutachten und Widersprüche – unser Leben dominiert, ist das Logo dieser Bewegung geworden.

Und Wir! werden nicht leise werden, ehe auch die unwürdigen Umstände für pflegende Angehörigen und Menschen mit Behinderung sowie chronischer Erkrankung sich maßgeblich verändert haben!

Die erste große Pflegerebellen Demonstration wird heute in einem Monat am 13. August 2019 in Berlin vor dem Gesundheitsministerium stattfinden sowie in Dülmen in NRW und sich hoffentlich in vielen weiteren Städten fortsetzen.

Natürlich ist es nicht einfach neben der Pflege zu revoltieren, aber es gibt viele Wege friedlich und kreativ sich einzubringen.

Zeigt euren Unmut! Macht mit begehrt auf! Schließt euch an. Hebt eure Hände, denn:

Ohne Angehörigen- keine Pflege!

Mehr Informationen zu den Pflegerebellen und der Demo am 13.08.2019 und weiteren zukünftigen bundesweiten Aktionen in der öffentlichen Facebookgruppe: Die Pflegerebellen

Wendet euch bei Fragen direkt per Nachricht an Arnold Schnittger via Facebook oder an: info@nicosfarm.de

VERANSTALTUNGSHINWEISE:

Kreative DEMO im Südwesten – Stellvertreter-Pflegeprotest in Heilbronn (BW): Am Samstag, 05.10.2019 sind von 10.30- 12.30Uhr alle die Pflege leisten oder selbst Unterstützung im Alltag benötigen eingeladen zum Kiliansplatz zu kommen. Pflegende Angehörige die nicht können aufgrund ihrer Pflegeverpflichtungen – schickt bitte eure Erfahrungsberichte und Forderungen – gerne zusammen mit ausgedienten Hilfsmitteln oder Schuhen (werden danach entsorgt und gespendet) als eure Stellvertretern an die organisierenden Vereine: Hölder – Initiative für Kultur und Inklusion e.V. , Rieslingstr. 35, 74226 Nordheim email : Hoelder.Initiative@gmail.com ODER Solidaria e.V. , Wilhelmstraße 53, 74070 Heilbronn.

• Der Pflegerebellen- Gründer Arnold Schnittger kommt in den Südwesten im Herbst zu zwei Lesungen zu deinem Buch „Ich berühr den Himmel. Im Rollstuhl durch Deutschland“ über seine Protestwanderung zusammen mit seinem schwer behinderten Sohn Nico.

Am Freitag, den 18.10.19 ist er zu Gast im Café Lichtburg in Lauffen a.N. organisiert von der „Hölder – Initiative für Kultur und Inklusion e.V. “ und Solidaria e.V. – mit Unterstützung von Anzetteln e.V. (Mobile Rampe für Eingangsstufen vorhanden)

Am Samstag, den 19.10.2019 ist er anschließend auf Einladung von Rückenwind e.V. unddem Manufakturenmarkt in Kernen-Stetten im Sommersaal der Diakonie (Barrierefrei).

Beginn jeweils: 19.00Uhr

Der Eintritt bei beiden Lesungen ist frei – Spenden erwünscht.

BeitragsBeitragsbild (c) Natacha Vanhoof