Verschwimmende Grenzen. Die kleine Miss wird flügge und ich mit.

Es war so lange hin. Erst zum Ende der Sommerferien haben wir den Termin für  Eingewöhnung in die Kita der kleinen Miss gesetzt. Nur drei halbe Tage, ich möchte sie nicht zu früh und zu viel abgeben. Aber gleichzeitig ist es für uns unerlässlich, dass zumindest sie zuverlässig betreut ist. Auch wenn es wieder Engpässe oder schwierige Zeiten beim Räubersohn gibt, ist das sehr wichtig, dass die kleine Schwester schon daran gewöhnt ist bei anderen als nur Mama zu sein. Zumal wir nachdem die intensive Behandlungspflege weiter genehmigt wurde, leider noch immer ziemlich unterbesetzt vom Pflegeteam sind und so regelmäßig Fehltage alleine und mit Hilfe der Großeltern überbrücken müssen.  

Da die Maus immer mobiler und aktiver wird, sehnte ich mir die Kita-Zeit sogar etwas herbei. Wieder etwas Zeit zu haben für all den Orgakram den man als Mutter so zu handeln hat – als Specialneeds Mum natürlich hoch zehn. Telefonate führen mit einem quirligen Kleinkind, das nicht im Laufgitter bleiben mag und immer voll Begeisterung versucht den Laptop zu entern, wenn ich wieder Rechnungen einreichen oder an einem Antrag oder Widerspruch sitze. Nun denn, ich habe mir eine aufgeweckte Piratenprinzessin gewünscht – nun hab ich den Salat. Und eigentlich liebe ich es. Wie sie umher wuselt, lustiges Kindergebrabbel von sich gibt alles unsicher macht. Sie klettert sogar auf den großen Schaukelstuhl und schuckt sich selbst an. Wir lachen, wir stauen, wir sind vor allem außer Puste. Auch der MaPa der gerade Urlaubsbedingt auch das “Vergnügen” hatte.

Denn sie ist so ein Wirbelwind, schnappt alles und überfällt den Bruder sobald er in Reichweite ist. Worüber er meistens lacht und sogar sich etwas ihr zuwendet soweit er es eben hin bekommt. Aber mit beiden alleine sein, daß ist heftig. Sondieren,  Medikamente richten, Physioübungen absolvieren, Hilfsmittel anlegen, inhalieren – das ist eine riesen Herausforderung. Zumal mit Dauerschlafmangel. Und wieder stößt mir der Begriff “Schattenkind” übel auf. (Bester Beweis für ein lebensfrohes „Sonnenkind“ oder „Löwenkind“ ist übrigens Marian Grau alias #Geomarianblog den ich diesen Sommer persönlich kennen lernen und interviewen durfte!) Wenn jemand zu kurz kommt, dann momentan eher der große Bruder. Seine besonderen Bedürfnisse kann die kleine Miss noch nicht verstehen und Mamaaaa soll gefälligst jetzt sofort springen, wenn der Hunger zwickt, die Windel feucht ist oder sie auch auf den Arm möchte. Sonst gibt’s Gezeter, aber mächtig. Ihre hohen Gilflaute sind nicht ohne und Tinitus verdächtig. Nur der Verbandswechsel an der PEG und die morgendliche Pflegeroutine muss eben sein. Und sie muss sich in Geduld üben zumindest kurz. Aber sonst ist das eher die Aufgabe des kleinen Königs. Nicht selten brauche ich drei Anläufe um nur eine Kleinigkeit, wie ihm etwas zu trinken zu geben, auf die Reihe zu bekommen. Weil Madamchen gerade das Telefon malträtiert oder mit einer Spritze getürmt ist. Puhh…

Und volle Aufmerksamkeit und Zuwendung bekommt sie ohnehin. Ist das nicht alles ein unglaubliches Wunder? Wie so ein Minimensch sich plötzlich hochzieht und wackelige erste Schrittchen hinlegt, dann aus “Mamama” “Daddaa” – Mama und Papa wird. Es ist so eine Freude. Und ich bin froh, dass wir das erleben dürfen mit ihr. Es nimmt irgendwie auch den unausgesprochen Druck vom Räubersohn. Für ihn aber irgendwie auch für uns haben wir uns so viel in diese Richtung gewünscht. So fällt es mir leichter ihn zu nehmen wie er ist und seine kleinen Fortschritte oder guten Tage entsprechend zu würdigen. Auch wenn ich gelegentlich etwas wehmütig bin weil er nicht mit ihr spielen und toben kann wie andere Geschwister. Wir sind heimlich still und leise etwas in der normalen Sphäre der Familien gelandet. Trotzdem kommen wir aus dem Dunstnebel der Anderswelt nicht ganz heraus. Irgendwie sind und bleiben wir immer die noch „anderen“ Eltern (zumindest für die Außenstehenden), wie ein kleiner Geheimbund Eingeweihter. Das merke ich, wenn ich für uns längst normale Alltagsbegriffe in den Raum werfe, wie Blutkontrolle, kleine Anfälle oder ähnliches. Da ist da immer so ein Schweigen oder irritierte Gesichter. Naja, das ist nun mal unser Leben. Darf ich nichts davon erzählen, um nicht gleich wieder außen vor zu sein? Gleich den Termin des Kitastarts hätten wir eigentlich verschieben müssen, da ein wichtiger Klinikaufenthalt ansteht. Doch da war das Spezialzentrum tatsächlich einfacher für eine Umlegung zu gewinnen als die örtliche Behörde. Auch eine interessante Erfahrung. „Normale“ Familien werden also auch fremdbestimmt, überwinden auch ihre Hürden. Wie schwer es vor allem Mütter haben, die gerne weiter bezahlter Arbeit nachgehen möchten ist mir schon mehrfach begegnet im Freundeskreis. Auch engagierte Väter, die noch immer belächelt werden, wenn ihnen Carearbeit zu Hause wichtig ist und, die so behandelt werden von Kollegen als sei Elternzeit Urlaub. Wir sind uns alle ähnlich. Lasst uns doch ein bisschen über unsere Tellerränder schauen!

Ich hoffe die ersten Kinderkrankheiten halten noch etwas Abstand. Bisher bin ich auf jeden Fall glücklich, dass unser Energiebündel gut aufgehoben ist in ihrer Gruppe mit herzlichen Erzieherinnen und freue mich auf ein klein bisschen Mamazeit für mich. Wirklich mich. Ich bin nämlich noch da! Und auch nach zwei Kindern gibt es da Dinge, die nach mir rufen jenseits von Haushalt und Versicherungsirrsinn. Wenn die nächste Pflegedurststrecke diesen Monat überwunden ist, werde ich wieder singen. Wirklich singen, lauthals und mich verrenken aber nur für mich und aus purer Freude. Denn einen neuen Gute-Laune-Chor habe ich bereits für mich entdeckt und die Anmeldung fürs Yoga abgeschickt. Dieser Herbst wird bunt.