Mittendrin – daneben. Sechs Jahre in der Anderswelt.

Wir gehören dazu. Doch zu wem? Es ist kaum begreifbar für uns, dass wir tatsächlich seit nun mehr sechs Jahren unseren bisherigen Orbit verlassen haben. Unglaublich, dass unser Liebling schon so alt ist. Und noch immer habe ich so viele widersprüchliche Gedanken und Gefühle zu ihm, zu mir und uns.

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Verschwimmende Grenzen. Die kleine Miss wird flügge und ich mit.

Es war so lange hin. Erst zum Ende der Sommerferien haben wir den Termin für  Eingewöhnung in die Kita der kleinen Miss gesetzt. Nur drei halbe Tage, ich möchte sie nicht zu früh und zu viel abgeben. Aber gleichzeitig ist es für uns unerlässlich, dass zumindest sie zuverlässig betreut ist. Auch wenn es wieder Engpässe oder schwierige Zeiten beim Räubersohn gibt, ist das sehr wichtig, dass die kleine Schwester schon daran gewöhnt ist bei anderen als nur Mama zu sein. Zumal wir nachdem die intensive Behandlungspflege weiter genehmigt wurde, leider noch immer ziemlich unterbesetzt vom Pflegeteam sind und so regelmäßig Fehltage alleine und mit Hilfe der Großeltern überbrücken müssen.  

Da die Maus immer mobiler und aktiver wird, sehnte ich mir die Kita-Zeit sogar etwas herbei. Wieder etwas Zeit zu haben für all den Orgakram den man als Mutter so zu handeln hat – als Specialneeds Mum natürlich hoch zehn. Telefonate führen mit einem quirligen Kleinkind, das nicht im Laufgitter bleiben mag und immer voll Begeisterung versucht den Laptop zu entern, wenn ich wieder Rechnungen einreichen oder an einem Antrag oder Widerspruch sitze. Nun denn, ich habe mir eine aufgeweckte Piratenprinzessin gewünscht – nun hab ich den Salat. Und eigentlich liebe ich es. Wie sie umher wuselt, lustiges Kindergebrabbel von sich gibt alles unsicher macht. Sie klettert sogar auf den großen Schaukelstuhl und schuckt sich selbst an. Wir lachen, wir stauen, wir sind vor allem außer Puste. Auch der MaPa der gerade Urlaubsbedingt auch das “Vergnügen” hatte.

Denn sie ist so ein Wirbelwind, schnappt alles und überfällt den Bruder sobald er in Reichweite ist. Worüber er meistens lacht und sogar sich etwas ihr zuwendet soweit er es eben hin bekommt. Aber mit beiden alleine sein, daß ist heftig. Sondieren,  Medikamente richten, Physioübungen absolvieren, Hilfsmittel anlegen, inhalieren – das ist eine riesen Herausforderung. Zumal mit Dauerschlafmangel. Und wieder stößt mir der Begriff “Schattenkind” übel auf. (Bester Beweis für ein lebensfrohes „Sonnenkind“ oder „Löwenkind“ ist übrigens Marian Grau alias #Geomarianblog den ich diesen Sommer persönlich kennen lernen und interviewen durfte!) Wenn jemand zu kurz kommt, dann momentan eher der große Bruder. Seine besonderen Bedürfnisse kann die kleine Miss noch nicht verstehen und Mamaaaa soll gefälligst jetzt sofort springen, wenn der Hunger zwickt, die Windel feucht ist oder sie auch auf den Arm möchte. Sonst gibt’s Gezeter, aber mächtig. Ihre hohen Gilflaute sind nicht ohne und Tinitus verdächtig. Nur der Verbandswechsel an der PEG und die morgendliche Pflegeroutine muss eben sein. Und sie muss sich in Geduld üben zumindest kurz. Aber sonst ist das eher die Aufgabe des kleinen Königs. Nicht selten brauche ich drei Anläufe um nur eine Kleinigkeit, wie ihm etwas zu trinken zu geben, auf die Reihe zu bekommen. Weil Madamchen gerade das Telefon malträtiert oder mit einer Spritze getürmt ist. Puhh…

Und volle Aufmerksamkeit und Zuwendung bekommt sie ohnehin. Ist das nicht alles ein unglaubliches Wunder? Wie so ein Minimensch sich plötzlich hochzieht und wackelige erste Schrittchen hinlegt, dann aus “Mamama” “Daddaa” – Mama und Papa wird. Es ist so eine Freude. Und ich bin froh, dass wir das erleben dürfen mit ihr. Es nimmt irgendwie auch den unausgesprochen Druck vom Räubersohn. Für ihn aber irgendwie auch für uns haben wir uns so viel in diese Richtung gewünscht. So fällt es mir leichter ihn zu nehmen wie er ist und seine kleinen Fortschritte oder guten Tage entsprechend zu würdigen. Auch wenn ich gelegentlich etwas wehmütig bin weil er nicht mit ihr spielen und toben kann wie andere Geschwister. Wir sind heimlich still und leise etwas in der normalen Sphäre der Familien gelandet. Trotzdem kommen wir aus dem Dunstnebel der Anderswelt nicht ganz heraus. Irgendwie sind und bleiben wir immer die noch „anderen“ Eltern (zumindest für die Außenstehenden), wie ein kleiner Geheimbund Eingeweihter. Das merke ich, wenn ich für uns längst normale Alltagsbegriffe in den Raum werfe, wie Blutkontrolle, kleine Anfälle oder ähnliches. Da ist da immer so ein Schweigen oder irritierte Gesichter. Naja, das ist nun mal unser Leben. Darf ich nichts davon erzählen, um nicht gleich wieder außen vor zu sein? Gleich den Termin des Kitastarts hätten wir eigentlich verschieben müssen, da ein wichtiger Klinikaufenthalt ansteht. Doch da war das Spezialzentrum tatsächlich einfacher für eine Umlegung zu gewinnen als die örtliche Behörde. Auch eine interessante Erfahrung. „Normale“ Familien werden also auch fremdbestimmt, überwinden auch ihre Hürden. Wie schwer es vor allem Mütter haben, die gerne weiter bezahlter Arbeit nachgehen möchten ist mir schon mehrfach begegnet im Freundeskreis. Auch engagierte Väter, die noch immer belächelt werden, wenn ihnen Carearbeit zu Hause wichtig ist und, die so behandelt werden von Kollegen als sei Elternzeit Urlaub. Wir sind uns alle ähnlich. Lasst uns doch ein bisschen über unsere Tellerränder schauen!

Ich hoffe die ersten Kinderkrankheiten halten noch etwas Abstand. Bisher bin ich auf jeden Fall glücklich, dass unser Energiebündel gut aufgehoben ist in ihrer Gruppe mit herzlichen Erzieherinnen und freue mich auf ein klein bisschen Mamazeit für mich. Wirklich mich. Ich bin nämlich noch da! Und auch nach zwei Kindern gibt es da Dinge, die nach mir rufen jenseits von Haushalt und Versicherungsirrsinn. Wenn die nächste Pflegedurststrecke diesen Monat überwunden ist, werde ich wieder singen. Wirklich singen, lauthals und mich verrenken aber nur für mich und aus purer Freude. Denn einen neuen Gute-Laune-Chor habe ich bereits für mich entdeckt und die Anmeldung fürs Yoga abgeschickt. Dieser Herbst wird bunt.

Schwarze Löcher im Paralleluniversum

„Ich kann nicht mehr.“ Dieser Satz, ich versuche ihn zu vermeiden,  trotzdem brüllt er immer lauter in meinem Kopf, hämmert auf mich ein.  „DU BIST KAPUTT! “ Ich bin zurzeit immer wieder kräftemäßig mehr als am Limit. Wache auf weil meine To-Do-Liste vom Schreibtisch nach mir ruft oder ein Kind röchelnd hustet (der Große) oder Hunger hat (die Kleine).

Nicht, dass ich in meinem Pflegealltag keine Unterstützung zulasse. Nein – im Gegenteil: Ich versuche Hilfe zu bekommen und das kostet mich gerade die letzte Energie. Unser Pflegedienst ist unterbesetzt,  nie bekommen wir die Stunden,  die uns zustehen. (Einen anderen, bei dem es besser aussieht, gibt es in der Region nicht). In den Ferien oder Wochenende sind wir fast immer komplett auf uns gestellt, hinzu kommen regelmäßig unbesetzte Tage unter der Woche.  Dann müssen die Großeltern mit anpacken, die aber auch nicht immer parat stehen – was als Rentner auch absolut legitim ist! (Und ich würde auch mal einfach meine Ruhe habe, die Füße hochlegen ohne, dass Helfer hier sind. Einfach ein bisschen für mich sein.) Noch viel verrückter ist, dass ohne Pflegebegleitung auch der Kindergarten ausfällt,  weil sich das Personal des sonderschulischen Kiga bisher weigert den Räubersohn ohne Krankenschwester zu nehmen auch nicht in Ausnahmefällen. Obwohl die FSJler haben und fast so viele Erwachsene wie Kinder an manchen Tagen dort herum laufen.  Als wäre es nicht kräftezehrend genug, dass er die kompletten Schulferien geschlossen hat.  Keine Kernzeitbetreuung – NICHTS!  So werden Eltern und insbesondere Mütter aus der Arbeit getrieben, wenn nicht sogar ins Burnout.

Gerade unsere Kids brauchen doch so viel Hilfestellung im Alltag. Unser Junior kann nichts ohne Unterstützung weder essen oder trinken, anziehen oder fortbewegen. Er kann nicht sagen was ihn stört oder wehtut, nur lachen, wenn etwas schön ist oder schreien, wenn etwas nicht passt. …und es gibt keine Aussicht,  das sich das ändert. (Ich habe viele Hoffnungen begraben was er noch lernen könnte, hoffe nur dass er irgendwie, irgendwann sich etwas mehr mit UK mitteilen kann.) Ich versuche zu verhandeln und argumentiere schon seit dem Sommer auch mit Schul- und Landratsamt –  noch vergebens. Hinzu kommen die anhaltenden Kämpfe um eine dringend nötige Reha, Hilfsmittel, Erstattungen ewig ausgelegter Rechnungen … soviele Emails, Warteschleifen. Dann noch das Haus, bei dem immer noch was zu tun ist und Handwerker, die Bestellungen vergessen, falsch liefern oder Geräte im Neubau nicht richtig anschließen. Wer braucht schon Heizung oder Warmwasser im Herbst ?

Überall schwarze Löcher unterschiedlicher Relevanz, die mir Energie aussaugen, mich auslaugen und müde machen. Ich habe keinen Nerv für wiederkehrende Probleme anderer, die sich im Kreis drehen, bin Diskussionen leid, ob in Familie oder Vereinen und schnell gereizt. Wer mich angreift, der erlebt etwas oder ich ziehe mich zurück. Ich brauche meine verbleibende Restenergie für meine Kleinfamilie. Habe Angst wie lange das gut geht.

Ich sorge mich, weil ich widersprüchliche Aussagen bekomme zur gesundheitlichen Verfassung des kleinen Königs.  Er hat heftige Myklonien und mehr Versivanfälle seit wir das Antispastikum einsetzen. Gleichzeitig hat er gute Phasen und mit dem Dronabiol, das wir seit kurzem eindosieren, wird er etwas weicher und die Spastiken gehen wohl zurück. Momentan haben wir auch wieder eine Kontrollphase mir vielen Arztterminen. Doch das medizinische Personal von der Klinik bis zum SPZ übt sich Paragraphengereite und einige haben Angst Neues auszuprobieren. Obwohl Schema F nicht wirkt, wollen sie dabei bleiben. Einige lassen uns nicht ausreden, verweisen auf Studien statt uns zuhören, verkomplizieren sowieso schon komplexe Abläufe und treiben mich damit in den Wahnsinn. Belehrungen, fehlende Ergebnisse und ausstehende Erläuterungen zu den Untersuchungen,  die bereits im September vorgenommen wurden, zwingen mich den Herrschaften hinterher zu laufen.

Derweil hustet der Räubersohn seit drei Wochen, wodurch er noch anhänglicher ist. Die kleine Miss wird mobiler und will sie sich aber seltener ablegen lassen. Mein Nacken schmerzt. Eigentlich haben der Mapa und ich immer abwechselnd ein Kind auf dem Arm. Er kommt zügig von der Arbeit heim, um mich zu unterstützen. Die meisten Kollegen verstehen, was er da für einen Spagat hinlegt, während ein paar seiner Kollegen es nicht schaffen sich in unsere Situation hinein zu versetzen. Wegschauen fällt leicht, wenn man das Paralleluniversum ignoriert. Inklusion wird auch ablehnt, weil man sich dann eingestehen müsste, dass es einem selbst ganz gut geht. Und das, wo man doch so geübt darin ist, im Jammern über selbst gemachten Termindruck und Perfektionierungswahn.  Schneller,  weiter, höher – wer nicht mit kommt, ist unsichtbar und soll es doch bitte auch bleiben. Das ist dieser kollektive Egotripp, der alles ablehnt was Empathie und Rücksicht statt Ellenbogen und Optimierung fordert.

Was ich nun mache? Ich versuche schöne Momente zu genießen, einen Ausflug mit Freunden, Spaziergänge im Sonnenschein und, wenn die beiden Zwerge mich fröhlich anlachen. Solche Augenblicke geben mir wieder etwas Kraft. Ich sauge sie auf, wie Frédéric, die kleine Maus, die Farben sammelt im Sommer für den Winter.  So gerne würde ich mal wieder einen fröhlichen positiven Beitrag schreiben. Aber unser Sommer war kurz und jetzt ist schon Winter.

Nachtrag: Wie gut, dass wir schon angemeldet sind für eine Auszeit in der Familienherberge Lebensweg, die nächstes Jahr eröffnet. Ein kleiner Lichtblick.

Auf dem Heimatplaneten. Ein Tag zusammen auf der Rehab-Messe.

Heute hat es wirklich geklappt und wir drei – fast vier – sind zusammen auf die Rehab-Messe (11.-13.05.2017 Messe Karlsruhe) gefahren. Der Mampa hatte glücklicherweise frei und der Räubersohn war vom KiGa beurlaubt. Deshalb durfte er etwas länger schlafen und hatte gute Stimmung. Auch die Autofahrt war nicht so wild, denn seit er seinen neuen Reha-Autositz hat, mit dem er aus dem Busfenster schauen kann und der lustig vibriert beim Fahren findet es der kleine König  meistens gar nicht mehr so schlimm on Tour zu sein. Und bei jedem Rehab-Hinweisschild hörte ich Amy Winehouse „no no no“ singen. Von unseren Pflegerinnen haben netter Weise Freikarten für die Messe in Karlsruhe bekommen. Dort an gekommen saß unser Junior heraus geputzt mit Bulli-Schlupfhose und fröhlichem Grinsen in seinem Rehabuggy. Mit meinem Kugel-Vorbau war ich schon nach dem Weg vom Parkplatz zum Messeeingang etwas ko.

Mit den ersten Schritten​ auf dem Messegelände betraten wir eine andere Welt: Überall waren Busse und Caddys schon auf dem Parkplatz und auf dem Fußweg dorthin und drinnen erst recht – überall behinderte Menschen, die in Rollis saßen, lagen auf E-Fahrzeugen umher cruisten, sich grüßten. Kleine Kinder, kleinwüchsige Menschen, Senioren, junge Gepircte, Sportler mit Prothesen. Wow wie bunt, was für eine Vielfalt. Cyborgmäßig anmutende Laufhilfen, Hightech Geräte, die man über die Augen steuern kann, Offroad Segways – irre! Alles verteilt auf zwei Hallen und Gänge. Bei allem Neuen und Ungewöhnlichem, das auf uns einströmte, merkte ich es gleich: Ich bin zu Hause gelandet – auf dem Heimatplaneten. Hier waren wir normal, eine Familie unter anderen. Andere junge Eltern grüßten uns, wir sahen ein paar bekannte Gesichter. Wie die nette Chefin und Crew der Familienherberge Lebensweg – eine fabelhafte Initiative​, die Familien mit schwer kranken und behinderten Kindern ab 2018 eine Auszeit in einen wunderschönen Haus auf dem Land ermöglichen wird.

Irgendwie war ich auch gerührt. Es ist soviel möglich heut hier in Deutschland. Für fast jede Behinderung gibt es Hilfsmittel, die einem das Leben oder den Angehörigen die Pflege erleichtern können. Klar, man muss sie oft sehr hart erkämpfen (bei uns gerade Geräte  zur UK) und manches kann man sich als Otto-Normal-BürgerIn leider nicht leisten. Aber wie wäre es, wenn wir irgendwo in einem Entwicklungsland leben würden, einer Krisenregion oder einem Staat ohne Gesundheitssystem wie bei uns. (Unvorstellbar wie sich Eltern eines chronisch kranken, behinderten Kindes in den USA zur Zeit fühlen müssen…) Auch zur Zeit als meine Eltern noch klein waren, hätte es kaum Hilfen für ein schwer behindertes Kind wie unser Goldstück gegeben. Wenn ich an die Blechtrommel denke oder Forrest Gump sehe, kommen mir fast die Tränen. Natürlich dort auf der Messe sind wir die Hauptzielgruppe uns der Kunde ist selbstverständlich König. Es gibt gratis Geschenke, verlockende Angebote und spannende Vorträge. Sogar ein extra Zelt mit barrierefreien, behindertengerechten Toiletten, links und rechts von der Eintrittsrampe stehen hübsche Buchsbaumkugeln.

Schade, dass das eine Parallelwelt ist, die „Eingeweihte“, d.h. Betroffene und beruflich Interessierte nur einmal im Jahr betreten. Wie gerne würde ich mit den Schülern hier her kommen, die sich gegenseitig immer als „behindert“ und „Spasti“ beschimpfen. Sie denken nicht nach und kennen meist keine behinderten Erwachsene oder Jugendliche. Daher wissen die Großmäuler nicht wie kompliziert und beschwerlich so ein Alltag mit Schwerbehinderung sich gestaltet.  Hier wären sie als Gesunde einmal in der Minderheit und würden merken, wie komisch es sich anfühlt immer der oder die „Andere“ zu sein. Ein paar mehr Menschen ohne Handicap auf der Messe wären wirklich noch gut als Ergänzung. Dann hätten wir eine inklusive Gesellschaft im Kleinformat. Niemand, der in Heimen, extra Schulen, Werkstätten sperapiert untergebracht und in ABM-Maßnahmen aufgefangen werden würde. Menschen mit Behinderung sind keine Randgruppe. Sie bilden einen so großen Teil der Bevölkerung, nur nimmt man sie nach wie vor im Alltag kaum wahr. („Dank“ Pränataldiagnostik werden ja auch die Mehrheit potentiell behinderter Kinder inzwischen abgetrieben). Wie wenig das allgemeine Bewusstsein dafür sensibel ist, merkt man daran, dass Inklusion von vielen noch als schulpolitisches Thema angesehen wird. Als würde mit dem Schulabschluss oder der Volljährigkeit sich die Behinderung in Luft auflösen – und als gäbe es nicht auch andere Bevölkerungsgruppen, die ex- statt inkludiert leben, alte Menschen, psychisch Kranke, MigrantInnen…

Es gibt noch so viel zu tun. Für heute ist genug, ich streichle meine Mini Miss inside und freu mich, dass wir einige gute neue Anregungen für unseren Sohnemann mit nach Hause nehmen konnten.

Die Anderswelt – mein inklusiver Familienblog

>> Willkommen in der Anderswelt! <<

Dieses Schild hat uns für uns niemand hochgehalten, als wir zusammen mit unserem Sohn vor fast drei Jahren diese uns fremde Sphäre betreten haben. Natürlich merkten wir, dass nichts mehr wie früher war. Aber, dass es nicht ein vorübergehender Zustand ist, sondern tatsächlich so bleiben sollte, das zu realisieren dauerte – ja dauert noch immer an.

FAKT ist: Wir sind Eltern eines chronisch kranken UND behinderten Kindes. Unser Sohn hat vermutlich durch den Sauerstoffmangel bei der Geburt viele Diagnosen, die sich aber auch immer etwas verändern. Am meisten hält uns die chronische Niereninsuffizienz und die Cerebralparese (ICP) auf Trapp. Beide bringen noch weitere Folgeerkrankungen u. a. Bluthochdruck, Gedeihstörungen  sowie Epilepsie, Hüftprobleme, globale Entwicklungsverzögerung, Schlafschwierigkeiten, Schluckstörung (Dysphagie), Schreiattacken etc. mit sich.

Alle die Fragen und Probleme, mit denen wir seit den ersten Stunden nach seiner Geburt konfrontiert sind, die wünsche ich ich keiner Mutter und keinem Vater. Es fällt mir immer wieder schwer diese anhaltende Ausnahmesituation zu akzeptieren. Aber ich denke, inzwischen haben wir als Familie unseren Weg gefunden und wir erleben auch wieder glückliche Momente zusammen.

Update Juli 2018: Unser Räubersohn ist seit Sommer 2017 nicht mehr alleine! Denn er hat eine putzmuntere kleine Schwester bekommen. Und so wie es aussieht ist er mächtig stolz großer Bruder zu sein! Außerdem sind wir kurz nach der Geburt der kleinen Miss in unser barrierefreies „Reich“ umgezogen. Dort hoffen wir, wird der kleine König sich irgendwann einmal, mit entsprechenden Hilfsmitteln, frei bewegen können oder uns wird der Pflegealltag zu mindest etwas erleichtert.

Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“ 

Aristoteles

Zum Blog Namen:

Die Anderswelt stammt ursprünglich aus der keltischen Mythologie, es ist der Ort an den die Verstorbenen gehen, doch er ist nicht von den Lebenden getrennt, da die Kelten eine monistische Auffassung vertraten, in der Welt nur als Ganzes existiert. So sind auch wir einerseits ganz normale Eltern und doch leben wir in einer Art Parallelwelt, die wir mit anderen Familien teilen, deren Alltag durch die Behinderung eines Angehörigen geprägt ist.

Als Jugendliche las ich wie viele meiner Freunde das philosophische Jugendbuch Sofies Welt von Jostein Gaarder und freute mich , dass die neugierige, wissbegierige Protagonistin und ich uns den gleichen Vornamen teilen.

Philosophie war eines meiner liebsten Studienfächer, daneben setze ich mich mit ethischen, genderspezifischen bzw. feministischen, historischen, kulturellen und politischen Fragestellungen auseinander. Ich möchte euch an meinen Gedanken teilhaben lassen, was mich bewegt und umtreibt – nicht nur aber immer wieder – im Zusammenhang mit Teilhabe von Menschen mit Behinderung, gesellschaftliche Inklusion und Elternschaft im Allgemeinen.

Die Idee einen Blog zu schreiben kam mir vor allem durch das Kaiserinnenreich, dem Buch Lotta Wundertüte und der a tempo Kolumne Willis Welt und weiteren autobiographischen Büchern. Danke Mareice Kaiser,  Sandra Roth Birte Müller und Gabriele Noak, dass ihr eure inklusiven Familiengeschichten mit uns teilt!