Jetzt leben. Mit Herzblut dabei, ohne auszubluten.

Eigentlich mag ich den – leider inzwischen inflationär zitierten – „Pflücke den Tag“ Spruch sehr gern. Es ist auch eine der wichtigsten Regeln im Buddhismus, das im-Hier-und-Jetzt-Leben ohne zu sorgenvoll nach Vorne oder Zurück zu blicken. Nur was, wenn die Gegenwart nur wieder einmal wenig erbaulich ist? Dann braucht man doch Hoffnung darauf, dass es besser wird, oder?

Seit ich mich erinnern kann, habe ich mich immer wieder aufgerichtet in dem ich mir überlegt habe, worauf ich mich freuen kann. Wenn ich etwas zu bewältigen hatte, das mich gestresst hat und wobei ich keine Freude hatte, führte ich mir immer vor Augen, wozu es gut ist oder was danach Schönes auf mich wartet. Das hat gut gekappt, um mich für leidige Prüfungen, Ferienjobs und ähnliches zu motivieren. Sich selbst zu belohnen mit Dingen und Erlebnissen, die uns wirklich gut tun, vergessen wir als Erwachsene und – vor allem wir pflegenden Mütter – oft. Und es ist auch einfach nicht mehr so leicht mit all der Verantwortung, den nie endenden To Do’s.

Während den langen Corona Wochen habe ich kaum Pläne gemacht. Es gab ja nichts zu unternehmen und vieles von unserem normalen Familien- und Therapiealltag war hinfällig. Das hat uns in gewisser Weise entschleunigt und auch den Druck genommen mit dabei zu sein oder Sachen anzugehen, die eigentlich etwas zuviel sind. Das merke ich ganz deutlich, jetzt wenn wieder mehr an uns heran getragen wird und zahlreiche Termine anstehen. Obwohl wir beide zu Hause waren, ist uns in keiner Weise langweilig geworden. Ich habe neue Schreibaufträge bekommen und hatte noch mein übliches Homeoffice zu stemmen, während Kita und Kindergarten geschlossen waren und einiges ausfiel wie Therapien. Vor lauter um die Kids kümmern, vor allem die kleine Miss beschäftigen –  am liebsten neben Toben mit den 3 B’s: Basteln, Backen, Baden – die Kita-Freunde und die Förderung vom Räubersohn zu ersetzen, wurde uns auch nicht fade. Nur fehlte der Ausgleich. Zuerst konnte ich noch etwas Sport machen, dann ging immer mehr die Energie flöten zudem rückten wieder unschöne Termine näher.

Die Intensivpflegegenehmigung der Krankenkasse lief aus und auch die große Hüft-Op des kleinen Königs ist plötzlich zum Greifen nah. Und das alles während ich noch in der Probezeit bin bei meiner neuen Arbeit. Vieles, das wir gerne erledigt hätten dieses Frühjahr, blieb liegen. Aber zwei Dinge haben wir geschafft: Einen neuen Bus anzuschaffen, nach dem uns beide Autos vor dem Lockdown im Stich gelassen hatten, den wir dann auch Rolli tauglich umbauen werden…

Und – ich habe es ja schon angedeutet im letzten Beitrag – wir haben es gewagt und uns um einen Platz für unseren Junior in einem Regelkindergarten bei uns im Wohnort bemüht. Und jetzt kann ich es offiziell sagen, es hat geklappt! Wir haben die Zusage zur Eingewöhnung im gleichen Kindergarten in den auch seine wilde Schwester gehen wird! Das war ein Glücksmoment und sehr unverhofft, weil wir wirklich mit mehr Gegenwind gerechnet haben. Er wird von der Gruppenleitung als Bereicherung gesehen und sie hat wirklich Lust darauf die neue Gruppe inklusiv zu gestalten, genau was wir uns erträumt und erhofft haben!

Wir sind dankbar, weil wir wissen, dass das trotz UN-BRK Inklusion nicht selbstverständlich ist. Gerade in Baden-Württemberg, dem Musterland der Förder- bzw. Sonderschulen, denn während von Inklusion als Ziel benannt wird erhöht sich parallel die Quote der Kinder die in Sonderschule separiert sind.

Für’s Erste darf der kleine König also mit seinen Nachbarskindern zusammen und einer Gruppe sein und kommt um seine ungeliebten Busfahrten herum, nun kann er auch spontan heimgehen an schlechten Tagen. Leider bekommen wir auch von ein paar Seiten Kritik – aber das ist ja nichts Neues. Wie lange unser Junior jetzt einen Fuß breit die Anderswelt verlässt, wird sich zeigen. Denn spätestens zum Schulstart ist in Schwaben meist Ende mit inklusiven Modellen – gerade für mehrfach behinderte Kinder. Wir werden sehen … 

Auch von der Krankenkasse kam dieses Jahr das Ok für die Fortführung der Intensivpflege nur durch Einreichen der angeforderten Unterlagen. Das ist ebenfalls nicht selbstverständlich, denn wir waren vor zwei Jahren deswegen schon Wochen in der Luft gehangen und hatten schon einen Termin beim Anwalt. Eventuell auch ein Corona Nebeneffekt, denn gerade wird viel nach Aktenlage entschieden. 

Aber so richtig aufatmen können wir aus mehreren Gründen nicht (die ich aber nicht alle ausführen kann). Vieles ist einfach noch unsicher und der Pflegenotstand ist weiter spürbar.

Auch das leidige IPReG, das trotz vehementer Proteste und über 200 000 Unterschriften bei der Petition der Gegner*innen erlassen wurde, sorgt nicht gerade für Entspannung unter uns pflegenden Eltern von Kindern, die ein Leben lang auf professionelle Pflege angewiesen sind. Bereits gegen seinen Vorläufer das RISG bin ich im Namen der Pflegerebellen 2019 auf die Straße gegangen, wie viele selbst Betroffene sowie andere pflegende Angehörige. Unfassbar, dass dieser Menschen verachtende IPReG-Entwurf, der die Selbstbestimmung und Versorgung von beamteten und anderen Intensivpflege bedürftigen Menschen gefährdet, gerade während einer Pandemie von der großen Koalition durchgeboxt wurde, bei der auch kerngesunde Menschen plötzlich auf Beatmung angewiesen sein können. Leider kann nicht direkt eine Verfassungsklage gestartet werden – erst, wenn es belegte Verstöße im Bereich der Intensivpflege gibt – die könnt ihr hier melden beim IPReG-Briefkasten von Abilitywatch.

Und auch, wenn viele Menschen so tun, als sei Corona vorüber und als sei der Mundschutz eine Knebel, ist die zweite Welle relativ wahrscheinlich. Und das, wo wir schon bald stationär gehen und den ganzen Sommer in Klinik und Reha verbringen werden.

So bleiben wir trotz dieser beiden positiven Ereignisse weiter angespannt. Unser Sommerurlaub wird mangels nicht-Existenz also nicht durch Corona ruiniert. Wir waren auch schon ein paar Tage draußen. Mal wieder mit dem, von den Schwiegereltern geliehenen, Wohnmobil. Zwar nicht weit weg – aber doch ein kleiner nötiger Atmosphärewechsel wieder in einer unserer Lieblingsecken im Fränkischen. Das haben wir vier trotz anfänglichem Regen sehr genossen, diese kleine Familien-Auszeit zusammen.

Ich bin sehr froh, über diese guten Nachrichten, die kleinen Pausen und dass ich mich während der Ruhephase in der Pandemie, als in unserer Region kaum Neuansteckungen gab, etwas raus getraut habe. Und zwar raus im wirklichen Sinn auf eine schöne Terrasse mit anderen Mamas und mit ein paar Freunden in den Garten zum Verschnaufen und Abschalten. Das hat mir sehr gut getan. Auch die Großeltern haben die Krise bisher gut überstanden und sind wieder für uns da. Für all das Gute bin ich dankbar und rufe mir das auch immer wieder in ruhigen Momenten vor Augen. Diese Jetzt-Zeit genieße ich und versuche in schlechteren Tage davon zu zehren.

Kurz danach ging es schon wieder rund und leider auch bei einigen Bekannten auch ziemlich bergab. Immer wieder erleben ich wie pflegende Familien der vermeintlich sichere Boden unter den Füßen wegbricht. Plötzlich tauchen neue Probleme auf oder bereits lange ruhende Erkrankungen kommen mit voller Wucht zurück. Immer wieder stirbt ein Kind viel zu früh. Das macht mich sehr traurig und verunsichert, ja ängstigt mich. Eigentlich kann ja niemand in der Gewissheit leben, dass alles weiter läuft wie bisher – ein kleiner Unfall oder eine plötzlichen Krankheit kann alles aus den Angeln heben. Nur, dass Menschen, die ohnehin ein großes Päckchen zu tragen haben, dazu noch weitere Brocken aufgeladen bekommen, das erschreckt mich, ich fühle und leide auch mit.

Einige von diesen Eltern sind auch so engagiert und kämpfen wie ich mit Herzblut für die Rechte unserer Lieben aber auch unsere eigenen als pflegende Angehörige. Zu sehen wie sie leiden ist grausam. Und da kann ich mich schwer abschirmen. Empathie macht verletzlich. Ich habe beides entwickelt über die letzten Jahre: Einerseits dringt so manches nicht mehr zu mir durch, gleichzeitig bin ich dünnhäutiger geworden und kann mich oft schwer abgrenzen. Mir ist es bewusst, ohne dass ich es ändern kann. Es ist gefährlich auszubluten. Aber wie soll etwas ins Rollen kommen, wenn es halbherzig betrieben wird? 

So lange ich Kraft hab, setzte ich mich immer wieder ein für Dinge, die mir wichtig sind. Das gibt mir Sinn und Halt und das Gefühl, doch etwas zu bewegen zu können, so kommt manches an Energie auch zurück. Aktuell bin ich dabei Inklusionsaktivisten vorzustellen, z. B. Junge Inkluencer*innen, die in unserer Region engagiert sind (im aktuellen Stimmt! Magazin) oder wie Laura Mench und Sarah Georges gegen IPReG kämpfen (kommende Ausgabe der Beatmet leben).

Auch hier starte ich demnächst eine neue Reihe mit Kurzinterviews mit Inkluencer*innen und Aktivist*innen für Inklusion und Teilhabe!

Was ich sonst noch mache? Ich durfte auch für das MOMO Magazin darüber berichten, warum es mir so wichtig ist – neben meiner unbezahlten Carearbeit als pflegende Mutter – einer anderen Berufstätigkeit nach zugehen und werde im nächsten MOMO-Heft Eltern vorstellen, die das Beste aus ihrem neuen Leben in der Anderswelt gemacht haben und wie ich versuche mich in positive Aufwärtsspiralen zu bewegen und andere damit anzustecken.

Ihr seht, auch wenn es hier nur allen paar Monate etwas von mit zu lesen gibt, findet ihr meine Anderswelt-Berichte auch anderswo. Und so erreiche ich hoffentlich noch mehr.

Nun drückt unserem Räubersohn bitte alle eure Daumen und guten Gedanken für den anstehenden Eingriff – in einer unserer liebsten Kliniken – und die anschließenden Reha, dass unser Liebling im Herbst dann wieder gut „auf die Beine kommt“ und uns allen solange nicht die Puste ausgeht. 

Flashbacks – Leben auf dünnem Eis

Warum war es hier so still?

Es ist inzwischen bereits April und noch immer habe ich noch keinen Blogbeitrag über uns vier geschrieben. Aber viele andere Artikel, denn ich bekam die großartige Möglichkeit neben dem Momo-Magazin für die Fachzeitschrift für Intensivpflege „Beatmet Leben“ zu schreiben. Aus dem einen Beitrag hat sich hat jetzt eine zweite Kolumne entwickelt. Und obwohl ich – wie wohl die Mehrzahl aller freien Redakteur*innen – wohl kaum davon Leben könnte – bin ich stolz darauf. 

Gleichzeitig haben sie viele Erlebnisse überschlagen und es fällt mir doch immer wieder schwer mich abzugrenzen, gegenüber dem Leid anderer und auch meinen eigenen Dämonen.

Mein Blogbeitrag vom Frühjahr, den ich bereits geschrieben und doch nicht veröffentlicht habe, dreht sich um unsere erste Zeit nach den unendlich langen drei Monaten in mehreren Kliniken mit unserem damals noch neu geborenen Räubersohn. Auch darum wird es nun gehen: 

Wie geht es uns vier inzwischen? 

Mich katapultiert es immer wieder zurück in diese bange Zeit. Das kann ganz Verschiedenes sein was diese Flashbacks triggern: Allein die Jahreszeit oder wenn andere Paare von ihren Plänen für die Elternzeit berichten, die der MaPa und ich mit dem Eingewöhnen in die Heimdialyse und Erlernen von sterilen Verbandswechsel und Sonden legen verbracht haben.

Diesen Winter durfte ich auch einen kleinen Beitrag für die überarbeitete Neuauflage von Susanne Bürgers wunderbaren Begleitbuch für Eltern, deren Baby einen schweren Start ins Leben haben schreiben. Es heißt „Wenn das Leben intensiv beginnt„. Genau das haben wir erlebte, nur ist dieses Kapitel bei uns  nicht vorüber. Es bleibt intensiv und wir Leben eigentlich immer auf dünnem Eis. Nur, dass wir weitgehend gelernt haben damit umzugehen, um nicht hinter jedem kleinen Knirschen einen Einbruch zu erwarten. Doch noch vor Silvester kam einiges zusammen.. Erstmals waren die Werte unseres Lieblings wieder deutlich schlechter seit längerer Zeit. Dann die Bronchitis, die Obstruktion wurde und seine Sättigung abfallen ließ, so dass wir zur Sicherheit in die Klinik dem RTW fuhren und nur mit Kortison wieder heim durften. Und dann passierte das, wovor ich all die Jahre, in denen ich „meinmeine Mamas“ habe, große Angst hatte. Ein Kind unserer Gruppe ist plötzlich verstorben. Der Junge ist so alt wie unser Liebling und war schwer krank,  nichts desto trotz wurde und wird er geliebt und es war so plötzlich… Seine Familie leidet unglaublich unter seinem Verlust. Auch wenn Außenstehende gerne von Erlösung sprechen, wenn jemand, der schwer chronisch krank oder behindert ist, verstirbt – für seine Familie ist es ein Alptraum, gerade, wenn einem das Kind genommen wird. Die Liebe und Erinnerungen bleiben – aber der Schmerz auch … Ich habe sehr mit den Eltern mit gefühlt und wieder Angst bekommen davor, dass auch unser kleiner König womöglich nie groß wird, dass alle Sorgen über seine und unsere Zukunft, hinfällig sind.

Was macht die Pandemie mit uns? 

Und nun Corona, die Rede von Risikogruppen, zu denen er definitiv gehört. Wenn die Beatmungsgeräte knapp werden sollen gemäß Triage, vorrangig Menschen ohne schwere Erkrankungen, diese erhalten. Was für eine Horrorvorstellung! 

Und noch immer wollen viele nicht wahrhaben wie gefährlich Corvid-19 ist. Die neuen Lockerungen und Maskenpflicht in Baden-Württemberg suggerieren, dass der Normalzustand in Greifweite sei.

Die Quarantäne, die viele Familien, mit Homeschooling und Homeoffice, verständlicherweise Weise als große Belastung empfinden, führt bei uns auch zu ungewohnten Umständen: Unsere gefühlt dauernd rotierende „Dreheingangstür“ im Flur stand auf einmal still. Wir waren Wochen für uns. Und da wir das große Glück haben, dass ich ohnehin überwiegend im neuen Job im Homeoffice arbeiten kann und der MaPa als Berufsschullehrer nun auch komplett zu Hause ist und online unterrichtet, bekommen wir vier es eigentlich ganz gut gewuppt.

Natürlich fehlen alle unsere Helferlein, aber mir ist auch etwas Druck genommen fast keine Termine, auch die Therapien entfallen fast alle. Inzwischen kommen wieder wenige Pflegerinnen zur Unterstützung aber alle mit Mundschutz. 

Auch wir sind weitgehend sozial isoliert. Doch das sind wir auch sonst im Alltag leider ziemlich. Gehen Kinder mit Behinderungen in Sonderschulen oder Förderkigas fehlt oft der Bezug zu anderen Familien und Kindern, die man sonst im Kindergarten oder bei Vereinen wie dem Kinderturnen trifft – während wir eben zur Therapie gehen und selten von anderen Familien eingeladen werden. 

Nun sind auch sie isoliert, die „normalen“ Familien und Mitmenschen. „Willkommen in unserer Welt!“, möchte ich einigen von ihnen zurufen. Wäre schön, wenn sie durch diese Pandemie etwas Empathie entwickeln könnten, denn das vermissen wir oft noch. Auch bei Pädagogen, dieses eigentlich besser wissen müssten! 

Aber einige nehmen es sehr auf die lockere Schulter. Hoffen wir für sie und ihre Angehörigen, dass sie wirklich keine (evtl. unbekannten) Vorerkrankungen haben! Auch für Lungen- und andere Organschäden,  die Corona verursachen kann sind nicht ohne. Unglaublich, dass das geleugnet wird und krude Verschwörungstheorien statt dessen im Vormarsch sind.

Wir haben unseren Liebling wochenlang intubiert und beatmet auf Intensivstation begleitet. Diese Bilder werden wir nie aus dem Kopf bekommen, das Gepiepse und der Geruch auf der Intensiv. Das wollen wir niemals wieder erleben müssen! Und das wünschen wir wirklich keinem Menschen

Dazu habe ich auch ein Appell veröffentlicht zum 5. Mai dem Welttag der Menschen mit Behinderungen:https://www.facebook.com/ungehindert/videos/2452172581696020/?epa=SEARCH_BOX

Während die Piratenprinzessin ihre Kita-Freundinnen furchtbar vermisst, scheint der kleine König momentan geradezu zu erleichtert zu sein, nicht jeden Tag mit dem Bus weg zu müssen. Das hat uns auf eine kühne Idee gebracht… Lasst euch überraschen! 

Kleine Freiheiten. Ausbrüche, Aufbrüche neue Herausforderungen.

Gestern habe ich meinen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben. Eine Dozentenstelle auf Honorarbasis für einen pädagogischen Job, der meinem Studienabschluss entspricht. Das Projekt ist leider befristet – aber immerhin ein Anfang. Ein Licht im Tunnel.

Endlich.

Endlich wieder unter Menschen kommen.

Meine letzte Arbeitstelle ist ja schon wieder ein gutes Stück her vor der Geburt der kleinen Miss. Sich mit anderen Dingen beschäftigen wie Arztterminen, Hilfsmitteln und Anträgen. Endlich nicht mehr zu Hause umgeben vom Sisyphos Aufgaben in Haushalt, der Schreibkram für Ämter und Krankenkassen und den üblichen Problemen mit Kindern in der „Autonomiephase“. Manchmal komme ich mir wirklich vor wie in einer dieser antiken Sagen. Wie in jener in der Herkules die riesigen Kuhställe des Zeus ausmisten muss und sofort wieder alles im Mist versinkt. Es ist so unbefriedigend dieses Schuften im Verborgenen ohne Honorar und mit wenig Anerkennung. Drinnen ohne Anschluss an die Außenwelt. Abgesehen von den Pflegerinnen, Therapeutinnen und Großeltern und ein paar Freundinnen, die mich in meinem trauten Heimkäfig besuchen. Zusammen eingesperrt mit meiner temperamentvollen Piratentochter, die inzwischen sogar Bücherregale erklimmt und immer eifersüchtiger auf den kleinen kuschelbedürftigen König wird. Denn raus zu kommen mit dem Junior ist weiterhin ein Organisations- und Kraftakt.

Eine wesentliche schöne Begegnung mit Kuhställen und anderen Tieren hatten wir gerade bei unserem gemeinsamen Familienurlaub in der fränkischen Schweiz. Auf dem Gottlhof bei Hollfeld hatte die kleine Miss gehörig Auslauf und viele pelzige und fedrige Gesellen zum Streicheln und etwas Jagen – mehr haben wir natürlich verhindert. Denn für einen Ausritt eignen sich weder Kaninchen noch Hühner. Aber sie durfte Eier suchen und auf dem großen Pferd Charly heim reiten, ganz ohne Sattel und das, mit ihren knapp zweieinhalb Jahren. Überhaupt war die Ferienwohnung von einem grünen Paradies umgeben, eine Insel der Ruhe in wunderschöner Natur. Ein Wasserrad plätschert an der Wiesent, Wildbienen summen um den lila Schmetterlingsflieder. Der kleine Räubersohn lauscht verzückt und genießt die vielfältigen Eindrücke zwischen Heugeruch, den Kontrasten unter den großen Blätterdach der Bäume und Kikerikii-Rufen.

Zum ersten Mal hatten wir von unserem neuen ambulanten Kinderintensivpflegedienst die Möglichkeit im Familienurlaub eine Schicht durch eine Kinderkrankenpflegerin abgedeckt zu bekommen. Unsere gute Seele, die uns vier begleitet hat, liebt den kleinen König und wir hatten bei kleinen Ausflügen Unterstützung dabei, weil sie sich um seine Medikamente und Hilfsmittel etc. gekümmert hat. An heißen Tagen oder wenn unser Liebling viele Anfälle oder Spastiken hatte, ließen wir ihn bei ihr für ein paar Stunden und unternahmen etwas nur mit der kleinen Miss. Denn ein Burg Besuch mit dem Tragling oder eine kühle, dunkle Höhle hätten wenig Verzückung bei unserem Spatz hervorgerufen.

Kaum vom Urlaub heimgekehrt war nicht nur mein Vorstellungsgespräch, sondern wir durften heute gleich nach Köln mit dem Räubersohn. Die kleine wurde nach der Kita vom Opa bespaßt. Gerade sind wir auf dem Rückweg von unserem Erstgespräch mit dem Team vom Queen Raina Center der Uniklinik. Sie haben zugestimmt, dass das Programm zu ihm passt. Das heißt, er darf in über einem Jahr dann am „Auf die Beine“ Intensivprogramm teilnehmen. Wahnsinn – diese Wartezeiten! Angemeldet haben wir ihn im Dezember 2018. Nun geht’s wirklich los im November 2020! Wir sind einmal gespannt. Und hoffen er bleibt stabil und dass weder Infekte noch Nierenprobleme dazwischen krätschen.

Der Herbst dieses Jahr hat auf jeden Fall auch so noch einiges für uns in Petto. Meine Eltern werden beide noch operiert z.T. mit Reha im Anschluss. Gottseidank keine großen riskanten Eingriffe. Hoffentlich geht alles gut. Die Sorge unserer Sandwich-Generation – dass man neben den Kids sich auch um die Eltern zu kümmern hat – wird nicht gerade geringer, dadurch, wenn man bzw. frau schon Pflegeerfahrung durch die Versorgung des chronisch kranken oder schwer behinderten Kindes hat. (Oder wie Außenstehende ohne Ahnung sagen „Sowie so schon daheim /Hausfrau ist“). Auch Einzelkind wie der MaPa und ich zu sein, ist da nicht wirklich beruhigend. Natürlich wollen wir für unsere Eltern da sein, aber defacto brauchen wir mit unserer Familienkonstellation und Pflegesituation eigentlich mehr ihre Unterstützung. Da kann einem schon flau im Magen werden. Immerhin wird unsere Kleine immer selbstständiger. Aber das Päckchen wollen wir ihr auch nicht einfach übergeben. (Darüber schreibe ich auch in meinem neuen BLICKPUNKTE-Beitrag im Momo-Magazin erscheint 09.2019).

Ich versuche zuversichtlich bleiben; noch läuft alles. Und nachdem ich mir endlich wieder therapeutische-medizinische Hilfe geholt habe, bin ich auch wieder mehr bei Kräften.

Das brauche ich auch, bei diesen Aussichten und Plänen. Denn neben Op’s, Job und üblichen Terminen des kleinen Königs steht im Oktober die Lesung mit Arnold Schnittger an, im Lauffener Café Lichtburg am Fr.18.10.2019 ab 19.00Uhr. Davor noch unser kreativer Pflegeprotest mit Stellvertreter-Demo auf dem Heilbronner Kiliansplatz am Sa., 05.10.2019 von 10.30-12.30Uhr (Mehr Infos unter http://www.hoelder-initiative.de oder Email: Hoelder.Initiative@gmail.com).

Weitere Termine zum Vormerken, Teilnehmen und gerne weitersagen:

Das Team U1K aus der Schweiz kommt auf ihrer Europatour am Do. 06.09.2019 mit ihren Vespas nach Kirchheim am Neckar zu den Weinterassen (ab 15.30 bis ca.18Uhr). Ihr Ziel ist es Spenden zu sammeln für die Erforschung des Gendefekts FOXG1, das der kleine Sohn einer der beiden Aktiven, sowie in unserer Region, Zwillinge einer Bekannten und der jährige Sohn einer guten Freundin von uns hat. Sie bewirtet bei dem Besuch in ihrem tollen Bohnita-Apemobil mit feinem Baristakaffee und leckerem Gebäck zu Gunsten des Fundraising von FOXG1 Deutschland e.V.

– Am Sa.,12.10.2019 lädt Solidaria e.V. zum zwei jährigen Jubiläum des gemeinnützigen Vereins und Einjahres-Feier der LebensRäume in der Wilhelmstr. 53 in Heilbronn. Es gibt den ganzen Tag ein tolles Programm für Familien mit Löwenkids (Geschwisterkinder) und Kindern mit Behinderung .

Wir wollten Normalität. Und bekamen Grippe.

Mit unserer kleinen Miss hat sich unglaublich viel geändert in den letzten beiden Jahren. Unglaublich ist auch, dass sie schon so lange da ist. Es kommt es uns vor, als wäre sie schon immer Teil von unserer Räuberbande.

Wir haben schon oft dieses Familiengefühl vermisst. Irgendwie waren wir oft mehr Case-of-Emergency-Manager und Pflegeteam als Eltern gewesen. Obwohl unserer Erstgeborener natürlich unser geliebtes “Goldstück” und  “kleiner König” ist, wie wir ihn auch heute noch nennen. Doch der Alltag mit dem Räubersohn ist leider so verschieden zu dem von anderen Kleinfamilien. Während andere Eltern über Kindergartenwahl und Streitereien erzählen, vom Kindertanzen oder Musikkursen – wir waren da raus. Wir können nur von Physio-, Logo– und Ergootherapie berichten. Nach dem PeKiP und Babyfitkurs (den ich mit ihm auch noch besuchte, als er schon fast zwei war) ist bei uns hier in der süddeutschen Provinz irgendwie Sense gewesen mit inklusiven Angeboten oder Möglichkeiten an typischen Familienaktivitäten teilzunehmen. Echt schade. So bekamen wir nur wenig Kontakte zu anderen Eltern an unsrem Wohnort.

Immerhin habe ich ja ein paar liebe Mamas aus meinem “besondere Mütter”  Netzwerk und wir beide noch treue Freunde, mit und ohne Kids, von früher. Aber unsere Lebenswirklichkeiten sind einfach so verdammt unterschiedlich. Gespräche über Kindergeburtstagsplanung, das beste Laufrad Modell oder Ideen für super Ausflüge oder Urlaube – wir konnten eigentlich nie richtig mitreden.

Mit unserer wilden Piratenprinzessin sind wir nun in rasantem Tempo in all das hinein katapultiert worden, was wir vorher vermissten. Von Kita-Eingewöhnung über Ernährung, Spielzeugauswahl und Erziehungsmethoden – alles plötzlich aktuell. Obwohl wir in manchen Dingen schon routiniert sind (z.B. Wickeln, Brei füttern, in Schlaf schaukeln) sind wir gleichzeitig auch blutige Anfänger in viele. Trotz drei Jahren Vorlauf im Elternsein. Sei es bei Smalltalk beim Abholen oder Durchhalten beim Eltern-Kind-Turnen.  Auch so manche Erkenntnis, wie anstrengend auch putzmuntere, kerngesund Kids sein können, haben wir gewonnen. Und, dass so manche Geschichte, die wir früher von befreundeten Müttern und Vätern hörten (u.a. von wegen nicht mal auf dem Klo alleine sein) nun mal pure Wahrheit und nicht übertrieben sind!

Und dann erst einmal diese unsäglichen Krankheitsphasen…Da unser Räubersohn kaum interagiert oder spielt, kommt er natürlich wenig in Kontakt mit anderen Kindern. Er kann auch nicht gezielt greifen oder sich etwas in den Mund stecken. Was einerseits traurig ist, hielt uns andererseits zumindest die meisten “Kindergarten-Seuchen” vom Hals.

Nicht so bei der kleinen Miss, die alles abschleckt, was nicht vor ihr sicher ist. Sie hat gleich im ersten Kita-Winter uns Magendarm als vorweihnachtliches Geschenk mitgebracht und solidarisch geteilt. Ob ihr Bruder es hatte, kann ich nicht einmal sagen, denn er kann sich ja aufgrund der Fundublikatio (Magenklappe) nicht mehr erbrechen und seine Verdauung spinnt sowieso fast immer. Mich hat es auf jeden Fall auch voll erwischt und die anfängliche Hoffnung, dass sie nur zuviel durcheinander beim Weihnachtsmarkt gefuttert hat, war dahin als ich drei Tage darauf nächtens vor der Toilette kniete. Und das, nachdem mir meine stressbedingte, wiederkehrende Innenaugenentzündung bereits ordentlich ein Bein gestellt hatte im Herbst, da mir das Kortison nicht nur auf den Magen, sondern auch auf die Psyche gegangen ist.

– Mit ein Grund warum das unperfekte  “Weniger ist mehr”-Prinzip bei mir nicht nur freie Wahl war.) Ich bin insgesamt auch einfach zu ausgebrannt gewesen, ob bei all dem drumherum im Advent auch noch Vollgas zu geben. Meine Energiespeicher sind noch immer ziemlich erschöpft – was sich wohl auch nicht so schnell ändern wird, deshalb auch der Brandbrief. (Zumal wir jetzt tatsächlich gegen den Arbeitgeber des MaPa vor Gericht ziehen müssen, da das Land Baden-Württemberg in seiner Beihilfeverordnung nicht vorsieht die verordnete, spezielle vollbilanzierte Sondenkost unseres ohnehin zu leichten und zu kleinen chronisch kranken Lieblings vollständig zu erstatten. Mit ihr wird er wegen seiner Schluckstörung mit Asphyxiegefahr über die PEG-Magensonde ernährt. Sondenkost ist übrigens selbstverständliche Kassenleistung und wird auch vom Sozialamt erstattet, wenn entsprechende Bedürftigkeit vorliegt. Wirklich blamabel für so ein reiches Bundesland! Für uns ein Ärgernis mehr, neben den seit Monaten ausstehenden Arztberichten zur Verlängerung der Intensivpflegeverordnung und die nächsten anstehenden Kliniktermine auswärts.

Doch zurück zu der Viren-Welle:

Im neuen Jahr war nur kurz Ruhe und jetzt haben wir vier gerade fünf Wochen abwechselnde Krankheiten – hoffentlich – hinter uns. Begonnen hat unser kleiner König mit einer Bronchitis, die über Nacht obstruktiv wurde, und uns beinahe eine “Suite” in der Klinik beschert hätte. Nur da wir zur Zeit viele Pflegestunden von unserem Kinderintensivpflegedienst abgedeckt bekommen, und auch mit Stethoskop, einem Pulsoximeter und Absauggerät zu Hause ausgestattet sind, konnten wir mit ihm hier bleiben. Nachdem der Killercocktail aus Kortison, Antibiotika und Lungen erweiternden Medis gut gewirkt hat. Ich war zum ersten Mal seit langem froh,  soviel Medizintechnik daheim zu haben. Auch neben seinem Bett zu sitzen während er schläft, das gab es schon länger nicht mehr (stundenlanges abends auf dem Arm halten und wiederholtes Umlagen nachts haben wir ohnehin genug). Dann bekamen der MaPa und ich Grippe und zum krönenden Abschluss unsere kleine Maus noch Scharlach. Wenig Essen am Tag, nur Fläschchen zum Trinken gingen zwischendurch und ein furchtbar anhängliches Mama-Baby war sie wieder. Nachts viele Tränen, großer Durst und unglaublich hohes Fieber, trotz Wadenwickel und Zäpfchen. Ich dachte ich werde verrückt, die Sorge um sie ließen mich neben ihr auf der Gästematratze umherwälzen.

Bei ihrem Bruder war ich, wenn ich mich richtig erinnere, entspannter. Denn im Vergleich zur Intensivstation kam mir das bei ihm ziemlich pillepalle vor. Voll Überzeugung das Richtige zu tun, ließen wir ihn erst etwas fiebern und gaben dann abwechselnd Paracetamol und Ibuprofen Zäpfchen oder Saft. So wie wir es im Baby Erste Hilfe Kurs gelernt hatten. Beides war falsch, bei nierenkranken Kindern (Temperatur nicht über 39° kommen lassen und nie Ibo geben, weil es über die Niere abgebaut wird).  Nur da es uns keiner der Nierenärzte mitgeteilt hatte, wussten wir das als Neulinge in diesem Gebiet natürlich nicht! In der Klinik, als er das erste mal einen grippalen Infekt hatte, während den Dauer-stationären drei ersten Neugeborenen Monaten, musste ich sogar darum betteln das Zubehör zum Inhalieren zu bekommen. Er war später zu Hause – nicht zuletzt wegen des Pflegepersonalmangels – wirklich besser umsorgt.

Nur bei der kleinen Miss kommen mir nun all die Horrorstorys wieder hoch, die ich kennenlernen durfte im Ronald Mc Donald Elternhaus, den Kliniken und bei der Reha. Windpocken, die das Gehirn schädigen, Entzündungen der Blase oder Atemwege, die lebensbedrohlich wurden und vieles Grausliches mehr. Die Sorge, sie könnte auch chronisch krank werden. Ich habe echt meine Lässigkeit ziemlich eingebüßt bei so etwas normalen entspannt zu bleiben. Dementsprechend bin ich zusätzlich erledigt.

Aber auch ohne diese, von unserer Vorgeschichte getriggerten Ängste, ist die Verantwortung für diese kleinen Würmchen doch ganz schön groß. Auch das ist Familiennormalität. Danach hatten wir ja gerufen und prompt kassiert. So sind wir nun bedient wie die anderen Familien, die Infekt-Pingpong spielen. Nur, dass bei uns dann plötzlich noch Krankenpflegerinnen mit Mundschutz herum springen und wir sogar Kinderurinbeutel im Haushalt vorrätig haben.

Nun freuen wir uns auf den Frühling. Das erste aufgeschürfte Knie hat sich das wilde Monstermädchen, just nach seiner Genesung, gestern bereits beim Spaziergang zu den Nachbarpferden geholt.  Das kann ja noch heiter werden.

Reihe 》Wir brennen aus!《 Pflegende Eltern berichten I. Andrea, alleinerziehend

Es bleibt politisch in der Anderswelt! Ich bin froh darüber, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, einen Appell für das Magazin des Bundesverband Kinderhospiz zu verfassen in dem ich die Situation von uns pflegenden Eltern von schwer kranken und behinderten Kindern aus unserer Perspektive darstellen darf. Im Vordergrund stehen unsere unnötigen Kämpfe, die uns neben dem Pflegealltag und den mit der Behinderung oder Erkrankungen verbundenen Ängste, wohl am stärksten belasten.

Außerdem folge ich dem Aufruf der Carearbeit-Aktivistin Claire Funke. Ihr habe ich ebenfalls einen „Brandbrief pflegender Eltern“ geschickt, den sie demnächst zusammen mit ihrer erfolgreichen Petition für ein Fürsorgegehalt der Familienministerin Giffey übereichreichen wird. Da es mir wichtig ist möglichst viele Beispiele aufzuzeigen und will ich über mehr als unsere eigenen Erfahrungen berichten.

Deshalb rief ich via Facebook und weitere Kanäle auf mir von euren alltäglichen Schwierigkeiten als pflegende Mütter und Väter zu berichten, um öffentlich zu machen was uns die meiste Kraft kostet. Es ist mir ein großes Anliegen, dass wir endlich sichtbar zu werden als eine große Untergruppe pflegender Angehöriger,  die medial, gesellschaftlich und politisch meist unberücksichtigt bleibt. Viele haben sich gemeldet und einige werde ich hier als Gastbeiträge veröffentlichten.

Hier der erste Gastbeitrag:

Von Andrea* (41) aus Berlin und dem Pflegealltag als Alleinerziehende mit ihrem 8jähriger Sohn mit ICP.

(Ihre Nachricht hat mich sehr aufgewühlt, da es noch einmal ein ganz anderes Kaliber an Verantwortung und Belastung darstellt , wenn man als Mutter allein in ist und auch finanziell in ein „enges Korsett“ gezwängt wird.)

Lest selbst was sie zu sagen hat:

Ich versuche mal in einem kurzen Abriss zu beschreiben, was mich in meinem Leben als Alleinerziehende mit einem körperlich stark beeinträchtigten Kind so bewegt:


Mein Sohn ist 8 Jahre alt, hat eine Infantile Zerebralparese (ICP), aufgrund eines Sauerstoffmangels unter der Geburt. Er kann wenig, für ihn, in seinem Alter sinnvolles, alleine bewältigen. Er kann sehr langsam krabbeln, kann gestützt laufen und stehen. Alle seine Gliedmaßen sind betroffen, so dass er große Koordinationsschwierigkeiten mit den Armen und Händen hat, er muss gefüttert, auf Toilette gesetzt werden, braucht Hilfe beim Spielen etc. Also bei allen Verrichtungen. Da er kognitiv altersentsprechend entwickelt ist, möchte er wie Gleichaltrige am Leben teilhaben. Aufgrund seiner sehr undeutlichen und verlangsamten Sprache benötigt er immer einen ihm bekannten „Übersetzer“ um mit Aussenstehenden zu kommunizieren. Er nutzt einen Talker, das ist aber im Alltag noch langsamer (durch die verringerte Hand-Koordination) als das Sprechen.

Es gibt mehrere Bereiche die mich immer wieder auszehren:
1. Vereinbarkeit mit dem Beruf und die damit zusammenhängende  finanzielle Not
2.    Alles rum um Hilfsmittel und             Therapien
3.    Fehlende Hilfe im Alltag
4.    Allgemeine Einschränkungen          und Teilhabe („Inklusion“)

Zu 1.: Beruf/ Armut**
Ich habe in den letzten Jahren ein maximales Pensum von 16Std./Woche für mich herausgefunden.  Ich arbeite also weniger als Halbtags und bin daher noch auf Hartz IV Leistungen angewiesen. Dementsprechend sind die Finanzen immer knapp. Ich muss ein Zimmer in meiner Wohnung untervermieten, da die Miete sonst zu teuer ist. Eigentlich bräuchte ich den Platz aber, da mein Sohn viele große Hilfsmittel im Alltag benötigt. Wenn im Alltag alles gut läuft, es nur die regulären Termine gibt und mein Sohn gesund ist, schaffe ich mit den 16Std. Arbeit mein Leben ganz gut, Freizeit habe ich dann aber auch nicht. Wenn es nicht so gut läuft, wir mehrere wichtige Arzt-Termine haben oder mein Sohn krank ist, dann befinde ich mich in einem Dauer-Stress-Zustand. Ich renne dann nur noch den wichtigen Dingen hinterher.
Unnötige Dinge die ich hier machen muss: alle halbe Jahre die Weiterbewilligung von Hartz IV beantragen, zwischen drin immer wieder nachweise liefern, insbesondere, wenn ich durch Kind krank Tage weniger Gehalt und Krankenkassen-Zahlungen erhalten habe.
Ich wünsche mir hier wenigstens einen finanziellen Rahmen, der mir auch mal ermöglicht z.B. Erholungs-Urlaub zu machen, Betreuung zu zahlen oder mir ab und zu im Alltag eine Erholungs-Pause zu gönnen.


Zu 2.: Hilfsmittel /Therapien **
Häufig dauert es Monatelang bis wir z.B. den dringend benötigten Rollstuhl bekommen, da erst eine Verordnung beim SPZ angefordert werden muss, diese dann zum Hilfsmittelversorger geht, dieser das bei der Krankenkasse beantragen muss, diese hat mehrere Wochen Zeit zur Bewilligung und dann muss das Hilfsmittel bestellt und mehrfach angepasst werden. Die vielen Telefonate und Termine die damit verbunden sind, kann man sich vielleicht vorstellen. Zudem muss ich mich regelmäßig mit Therapeuten abstimmen um eine ganzheitliche Förderung zu gewährleisten.
Unnötige Dinge, die hiermit zusammenhängen: Ich muss jedes Quartal, also 4 mal im Jahr, persönlich (mit KK-Karte) zum Kinderarzt meines Sohnes um die Überweisung zum SPZ ab zu holen. Diese geht dann ans SPZ, damit ich von dort wiederum die Rezepte und Verordnungen für die Therapien und Hilfsmittel bekomme. Alle 10 Wochen müssen neue Verordnungen für die Therapien ausgestellt werden. Mein Sohn wird sein Leben lang behindert sein, auch so stark, dass eine Versorgung mit Therapien und Hilfsmitteln immer notwendig sein wird. Ich verstehe nicht, warum in diesen Fällen, nicht eine Regelung eingeführt werden kann, die ALLEN Beteiligten die Bürokratie vereinfacht. Z.B. SPZ-Überweisungen nur alle 2 Jahre ein zu holen, die Therapie-Verordnungen auf 1-2 Jahre aus zu stellen etc. Mein Sohn bekommt seit seiner Geburt Therapien, also seit 8 Jahren! Daher sind diese Zwischenschritte für mich so sinnlos und kosten Zeit, die ich lieber für meinen Sohn und meine Arbeit hätte (oder auch mal für Freizeit!)


Zu 3.: Fehlende Unterstützung**
Ich nutze Verhinderungspflege und auch die zusätzlichen Betreuungsleistungen, doch häufig reicht das nicht aus. Dadurch, dass mein Sohn regelmäßig mehr als die 20 Tage im Jahr krank ist, muss ich den Rest der Krank-Tage mit meinem Job irgendwie anders vereinbaren, dann meist über die Verhinderungspflege.
Hier würde ich mir wünschen, dass es bei chronisch kranken oder behinderten Kindern eine Anpassung der gesetzlichen Kranktage auf z.B. 30 Tage gibt. Zudem wünsche ich mir viel mehr Hilfe im Alltag. Mit den Zusätzlichen Betreuungsleistungen kann ich mir einmal im Monat für 3-4 Stunden eine Putzkraft leisten. Jedoch fällt, durch das vermehrte Speicheln und da meinem Sohn beim Essen viel aus dem Mund fällt, viel Wäsche pro Tag an. Auch der Haushalt muss gemacht werden. Mein Kind kann und wird mir nie helfen können.


Ich würde mir viel mehr Hilfe im Alltag wünschen um auch mal mehr Qualitätszeit mit meinem Sohn verbringen zu können. Nicht nur einen Babysitter oder eine Haushaltshilfe würde unseren Alltag erleichtern, auch jemand der mir ab und zu das körperlich schwere Handling meines Sohnes abnimmt, während ich aber für und mit meinem Sohn bin. Er ist mit 17 Kg, für sein Alter noch sehr leicht, jedoch muss ich ihn den ganzen Tag über heben, hin setzen, aufsetzen, mit ihm laufen, seine Hände führen, ihn füttern, ihn anziehen, ihn in den Rollstuhl setzen, die Orthesen anziehen etc.

Zudem hieve ich seinen Rollstuhl 2-6mal am Tag aus bzw. ins Auto. Wenn ich mit ihm rausgehe, muss ich immer viele Lätzchen und kleinere Hilfsmittel mitführen.
Konkret wäre eine große Erleichterung, wenn ich 1-2mal/Woche eine Haushaltshilfe hätte und das Budget der Verhinderungspflege aufgestockt werden würde (und das mehr als mit der Hälfte der Kurzzeitpflege).


Zu 4.: Teilhabe /Inklusion /Schule**
Da ich mit meinem Sohn für alles mindestens doppelt so viel Zeit benötige, da ich alles für zwei Personen mache und auch noch Hilfsmittel, Termine etc. dazu kommen, ist unsere Teilhabe am „normalen“ gesellschaftlichen Leben sowieso schon eingeschränkt. Zudem ist auch die immer noch sehr häufig fehlende Barrierefreiheit eine große Hürde im Alltag. Noch kann ich meinen Sohn im Rollstuhl mal 1-2 Stufen hochfahren, irgendwann geht das nicht mehr. Schon gar nicht mehr wenn er mal einen elektrischen Rollstuhl nutzen wird. In viele Veranstaltungen für Kinder (oder Familien) kommen wir nicht rein. Es wird immer schwerer, meinem Sohn zu erklären, warum er irgendwo nicht hin kann, wo andere Kinder hin gehen. Irgendwie versuche ich es immer noch möglich zu machen, mit starker körperlicher Anstrengung, doch irgendwann wird auch das nicht mehr gehen. Nicht seine Behinderung ist dann für mich schwierig, sondern zu sehen, dass er in seiner Teilhabe eingeschränkt wird, aufgrund fehlender Barrierefreiheit, das bricht mir das Herz!
Hier wünsche ich mir noch viel viel härtere Gesetze um Unternehmen, Betriebe etc. zur Barrierefreiheit zu verpflichten!


Und: Es gibt im Freizeitbereich kaum Angebote die mein Sohn nutzen kann. Hier wünsche ich mir Unterstützung anhand von finanziellen Zuschüssen für Träger oder soziale Unternehmen, denn ich glaube da gibt es viele die hier gerne Angebote machen würden. Jedoch müssen hier sowohl die Infrastrukturellen, als auch inhaltlichen und pädagogischen, fachlichen Strukturen unterstützt werden, denn häufig sind die Bedarfe der Kinder mit Beeinträchtigung höher, als die nicht beeinträchtigter Kinder.


In Bezug auf Schule könnte ich jetzt ein Buch schreiben! Aber ich schreibe nur so viel dazu: Ich habe in den letzten 3 Jahren ca. 40 (Regel)Schulen entweder persönlich angeschaut oder angerufen. Ca. 30 dieser Schulen haben auf ihrer Internetseite ganz groß Inklusion stehen, doch nur 2 davon sind für Rollstuhlfahrer zugänglich! Hier muss zum einen eine klare Transparenz bestehen, welche Kinder aufgenommen werden können und welche nicht, und wenn es hier Einschränkungen gibt, darf der Begriff Inklusion, meines Erachtens nach, von der jeweiligen Schule nicht verwendet werde.

 

Zudem, weiß ich, dass sich viele Schulen seit Jahren vergeblich bemühen Aufzüge für ihre Schulen genehmigt zu bekommen und die zuständigen Ämter hier nicht handeln oder sich hinter baurechtlichen Gesetzen verkriechen.
Ich möchte sehr gerne wissen ob die Gerüchte stimmen, dass in Berlin tatsächlich 65 neue Schulen gebaut werden, die NICHT alle barrierefrei gebaut werden. Ich werde dem nachgehen….

 

Meines Erachtens nach sind wir 9 Jahre nach Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention noch viel schlechter dran als vorher. Durch die schlechte Umsetzung der Inklusion an Schulen und die weitere Ausgrenzung aufgrund von feghlender Barrierfreiheit, werden weiterhin Kinder sehr distanziert mit meinem Sohn umgehen, da sie einfach keine behinderten Menschen in ihrer Umgebung kennen.


(…)Ich habe jetzt nur schnell was runter geschrieben, da fehlt natürlich noch eine riesige Menge, aber dafür fehlt mir die Zeit. Und ich hoffe es schreiben noch einige, so dass „unsere“ Themen alle auf den Tisch kommen.
Herzlichen Dank dafür!

Liebe Grüße von Andrea*

aus Berlin

 

P.S. noch eine Sache die ich extrem wichtig finde: Wartezeiten bei Ärzten! Da wir in unserem Alltag sowieso viel mehr Zeit benötigen, als die „Regel“-Familie, fänd ich es extrem sinnvoll und eine große Entlastung, wenn Wartezeiten bei Ärzten für mich und meinen Sohn verkürzt werden könnten.

Wir haben zum Glück eine Kinderärztin die sie bereits berücksichtigt, bei allen anderen Ärzten müssen wir aber genau so lange warten wie alle anderen auch. Ich gehe praktisch nie zum Arzt, auch nicht wenn ich krank bin, da ich dafür einfach keine Zeit habe. Würde es z.B. einen bestimmten Chip geben oder auf der Krankenkasse vermerkt werden, dass wir eine erhöht belastete Familie sind, dann könnte man ein System einführen, dass wir kürzer warten müssen.

Klar kommen dann wieder alle mit Gleichberechtigung. Aber Gleichberechtigung ist eben nicht immer auch Gerechtigkeit!!

 

*Name anonymisiert

** Schlagwörter ergänzt

Kreisel, Kreisel dreh dich. Es geht immer weiter.

Die kleine Piratenprinzessin tanzt herum und singt in ihrer Da-da-Sprache. Ich summe das Kinderlied „Dreh dich kleiner Kreisel.“

Der Kreisel dreht sich weiter. Ich sehe verschwommen was um mich herum ist vorbei ziehen. Höre die klingende Melodie und taumele. Nur nicht umkippen. Weitermachen.  Im Lot bleiben.  Doch das Schlingern ist Teil des Kreiselstanz.

Dieses Bild sehe ich vor mir, so fühle ich mich seit einer Weile immer wieder. Mir ist schwummrig. Viel ist passiert im letzten Monat: Wir waren zum vierten Mal dieses Jahr stationär, was ziemlich anders ablief und uns, auch wenn der Aufenthalt nur 8 Tage dauerte, echt einiges an Nerven abverlangt hat.

Der kleine König ist vier geworden und wir haben ihm einen goldenen Festtag bereitet, so gut das einen Tag nach Entlassung geht. Wir waren beim ersten Kindergeburtstag in der Nachbarschaft eingeladen. Elternabende, Sitzungen, Termine bei Ämtern. Schöne Momente und geballter Alltag der Elternpflichten, denen wir nicht alleine hinterher hetzen. Nur verteilt sich als pflegende Eltern die Konzentration auf so Vieles. Und was man selbst als wichtig ansieht, kommt zu oft zu kurz, da die anderen am längeren Hebel sitzen.

Es hat sich einiges geändert und ist trotzdem irgendwie fast beim Alten geblieben. Das ist alles so verwirrend, irritierend. Es geht immer weiter – oder drehen wir uns im Kreis? Ist das etwas Positives? Das Leben geht immer weiter. Oder: Show must go on. Wir funktionieren. Ich möchte mich nicht nur fügen, abhaken was andere mir vorsetzen. Ich möchte mich gerne und aufmerksam um mein zwei Schätze kümmern. Aber es ist so oft ein Erledigen von To Do’s.  Die verdammte Liste wird nicht kürzer. Egal wieviel ich hinter mich gebracht habe, sie wächst weiter, rollt sich am Boden noch auf.

Und das alles zum Jahresende. Dabei hatten wir schon seit Frühjahr massiven Ärger mit der Versicherung und den Ärzten,  der die Energiereserven kontinuierlich leer gesaugt hat.

Die Kraft ist lange schon aufgebraucht. Doch der Kreisel dreht sich. Hilfsmittelanträge wollen bewilligt, Rechnungen bezahlt, Verordnungen besorgt, Arzttermine koordiniert werden. Dazwischen Laterne laufen und andere nette Familienaktionen im Kindergarten? Ich schlafe schon beim Abendessen fast ein. Selbst meine wenigen Hobbys, die doch auch Freude und Entspannung bringen sollen, stressen mich. Blöde Krankheiten kommen im unpassendsten Moment zurück.

Und das Komische – eigentlich haben wir gute Nachrichten bekommen. Doch fühlt es sich (noch) nicht so richtig danach an:

Wir haben tatsächlich noch in diesem Jahr einen Kinderintensivpflegedienst gefunden, der mehr Kapazität als unser bisheriger hat. Nur wollen sie nicht kooperieren – das bedeutet Ex oder Hopp. Wir können mehr Stunden bekommen,  auch weniger Lücken in der Versorgung, wenn wir unser altbewährtes Team opfern. Liebevolle Kinderkrankenpflegerinnen, die den kleinen Räubersohn teilweise schon über Jahre kennen und mir zur Seite gestanden sind. Da gibt es keinen guten Mittelweg. Das war eine so eine schwere Entscheidung und doch hatten wir keine Wahl. Wir haben gewechselt und sind jetzt noch lange von Normalität entfernt, weil das mehr ist als einfach ein Unternehmen gegen ein anderes zu ersetzen. Die Frauen fehlen auch als Menschen. Einziger Trost: Ich bin mir sicher das neue Team ist auch sehr gut und wird sich ebenso reinhängen. Und was mich auch betrübt: So schnell und plötzlich bekommt man bei einem Pflegedienst nur einen Platz, wenn ein anderes Kind verstirbt. Natürlich ist im Prinzip nichts anderes wie, wenn ein Angehöriger  durch die Organspende eines anderen weiterleben kann. Dankbarkeit mit traurigem Beigeschmack. Zumal wir mehrere Familien mit Lebenszeit limitierend erkankten Lieblingen kennen. – Das kann ich nicht täglich ausblenden.

Alles ist neu und wirkt befremdlich.  Alles muss sich einspielen. Nebenher soll der Alltag laufen und ich stehe oft neben mir,  fühle mich erdrückt, manchmal versteinert von all dem was noch zu tun ist. Es geht weiter…tröstlich? Oft beunruhigend. Ich verfalle zeitweise in Schockstarre.

Auch mein Herzensprojekt, das ich zu Jahresbeginn mit aus den Angeln hob, es hat sich sehr gewandelt.  Und doch finde ich Vieles daran richtig gut. Wir haben nun kein Buchcafé eröffnen können, dafür aber einen tollen kleinen Verein gegründet. Eine Initiative, die sich für Inklusion und Kultur einsetzt in Hölderlins Geburtsstadt. Und unsere erste Lesung gestern mit Marian Grau („Bruderherz. Ich hätte dir so gern die ganze Welt gezeigt“) war unglaublich. Dieser junge Kerl gibt mir soviel Mut, Vieles an ihm erinnert mich an mich selbst nur früher. Beim Moderieren des Gesprächs hatte ich das Gefühl seit langem einmal etwas zu tun, das richtig „meins“ ist. Mich für etwas einzusetzen das von Bedeutung ist und das auch gut zu machen. Ein Zuhause Gefühl.

Und heute bin ich wieder etwas wehmütig, hier daheim zwischen Wäschebergen, mit fieberndem König und hustender kleiner Miss, die trotzdem herum springt. Ich bin irgendwie wieder im Standby-Modus auf Sparflamme, weil die Energie einfach weg ist. Drehe mich weiter nur, weil es eben weiter gehen muss.