Tausendmal gehört…

Hier für euch zum Wochenstart – ein Bullshit Bingo zum Thema: Was sich Eltern mit einem behinderten Kind alles so anhören dürfen.

Einiges davon ist „gut gemeint“ und ich will niemand zu nahe treten. Viele Verwandte, Bekannte und Freunde werden hellhörig und wollen wirklich helfen, sie sammeln Zeitungsartikel, berichten von Dokus und es freut mich, wie sie uns unterstützen wollen. Diese Tipps sind gelegentlich auch wirklich hilfreich.

Aber jemand Außenstehendes, der mit seinen schnell ausgesprochenen Aussagen versucht einem einen positiven Blick auf das Ganze zu geben oder einen aufzumuntern, bewirkt oft das Gegenteil. Vor allem dann, wenn man als Eltern merkt, dass es der Person eigentlich nur darum geht schnell das Gesprächsthema zu wechseln, weil sie sich unwohl fühlt, denn: Surprise, Surprise – es wird nicht immer alles gut! Das verdrängen die meisten nur all zu gerne.

Auch die Bewunderung dafür, dass man sein Kind fürsorglich pflegt und unangemessene Glorifizierung dafür, dass man sein eigen Fleisch und Blut liebt und dementsprechend versorgt, ist einfach fehl am Platz. Schließlich hat man als Mutter oder Vater eigentlich keine andere Wahl. Natürlich, ist das schön, wenn jemand kleine Fortschritte unseres Lieblings wahrnimmt und wertschätzt! Manche Eltern bezeichnen ihre Kinder selbst als kleine Helden, andere trösten sich mit dem Gedanken eine „besondere Aufgabe“ zugetragen bekommen zu haben und zitieren gerne die Holland-Geschichte. (An guten Tagen glaube ich auch, dass ich an unserer Lebenssituation gewachsen bin) Viele finden aber einfach auch die A****-Karte gezogen zu haben zumindest in frustigen Zeiten.

Besonders gut verzichten kann ich auf Leute, die nicht richtig im Bild sind und einem auf Teufel komm raus eine bestimmte Therapie oder ähnliches aufschwatzen wollen. Sehr „nett“ auch die Meckermenschen, die nicht die geringste Ahnung haben (z.B. dass Inklusion nicht nur die Schule betrifft) und meinen uns gegenüber – als Stellvertreter „der Behinderten“ – ihren Senf abgeben zu müssen, das nervt das schlicht und ergreifend!

Am Schlimmsten und Verletzendsten finde ich persönlich, lapidare Kommentare, die von ganz empathielosen Zeitgenossen ausgesprochen werden oder Menschen, die keine Millisekunde nachdenken bevor sie los plappern. Das sind dann beispielsweise Äußerungen darüber, dass doch alles nicht so schlimm sei, ja man sogar dankbar sein soll, dafür dass das babyartige, behinderte Kind so wenig Ärger mache, weil es nicht spricht, läuft etc.. Manche sind tatsächlich neidisch, wir bekommen ja auch 1a Steuervergünstigungen, einen gratis Parkplatz am Eingang und KiGa Platz mit  Pflegerin – ok, wer will tauschen? Behinderung und Krankheit gegen diese „tollen“ Vorzüge (die fast alle hart erkämpft sind und nicht umsonst Nachteilsausgleich heißen)?

Eine Steigerung davon ist nur noch die Frage danach, ob man es nicht früher gewusst habe. Die wurde uns zwar bisher nur selten und in anderen Kontexten gestellt  (z.B. von ängstlichen Paaren mit Kinderwunsch) – kommt aber bei mir meist so an: Ihr hätte ja die Chance gehabt auf ein normales Leben, es nur selbst nicht ergriffen. Auf uns trifft das nun mal nicht zu, und auch bei genetischen Defekten ist das das Letzte. Schließlich spricht es dem behinderten oder kranken Kind sein Recht auf Leben ab. Und das kann man so nicht stehen lassen PUNKT

23 Kommentare zu „Tausendmal gehört…

  1. Vielen Dank für die Zusammenstellung.
    Toll ist auch:
    – Man weiß nie für was es gut ist … (für nix)
    – Was sagen denn die Ärzte ? (Bei uns gibt es keine Prognose)
    – wenn Kinder laufen wird alles leichter ( Kind läuft aber nicht…)
    – warum sprecht ihr so oft über Therapien/ Ärzte? ( weil unser Leben in Wartezimmern stattfindet)

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    1. Liebe Karen,
      ja das ist irre man könnte zu jeder Situation quasi ein neues Bullshit Bingo anlegen! Dabei wäre es so einfach mal zu versuchen sich in die Situation des Gegenübers hineinzuversetzen ( wie lebt es sich wenn man immer mit einem Fuß in der Klinik steht, was bedeutet das für den Alltag in Ungewissheit umgeben von Therapeuten und Pflegepersonal zu leben,…) anstatt Ratschläge zu geben, die weder durchdacht noch angebracht sind. Empathie und Zuhören können das fehlt leider ganzen Bevölkerungsgruppen…nicht nur einzelnen.
      Herzliche Grüße Sophie*

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  2. Genau, dieses ‚das hast Du aber in der Schwangerschaft doch bestimmt schon gewusst ‚ höre ich auch oft, genauso wie „Du organisiert doch so gerne, da macht Dir das drumherum doch bestimmt auch Spaß‘. Das ist auch so selten dämlich. Schön war auch erst letzte Woche, da hörte ich den Satz ‚keine Prognose zu bekommen, daran zerbrechen ja viele Eltern.‘ Wir haben keine Diagnose und damit auch keine Prognose. Solche Sätze bauen echt total auf.

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  3. Liebe Babette, das ist harter Tobak. Ich bin als wirklich fassungslos wie herzlos manche Menschen darauf los reden oder zuvor nicht ihr Hirn einschalten. Gerade in der Schwangerschaft höre ich auch so unfassbar viele Horrorstorys von Bekannten, die man in unserer Situation einfach nicht braucht- ich wünsch mir dann immer einen Ausknopf. Liebe Grüße Sophie*

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  4. Das kommt mir so bekannt vor.
    Was willst du eigentlich.
    Man sieht doch nichts. Er kann doch wieder laufen. Es geht ihm doch gut. Und ihr habt doch jetzt auch das Pflegegeld. Und warum hast du den Einspruch wegen der fehlenden Merkzeichen gemacht. Du hast dich so verändert. Aber du bist ja auch so stark. Das
    schaft ihr schon. Warte mal ab bis er in die Schule kommt. Das wird schon.
    Im Okt. 2015 hatte unser Sohn mit 2 Jahren einen Schlaganfall. Unsere 2 großen Kinder sind 14 und fast 18 Jahre. Wir haben schon jede Menge Baustellen. ADHS Asthma Neurodermitis. Nein verdammt nochmal den Schlaganfall wollten wir nicht.
    Auf Pflegestufe bzw. Pflegegrad, Behindertenausweis, abgelehnte Hilfsmittel.
    Einspruch, Widerspruch, kämpfen für die Recht unserer Kranken Kinder, daß hätten wir nicht gebraucht.
    Aber was man wirklich braucht wenn man Behinderte Kinder hat, sind Freunde und Familie die einen unterstützt und in den Arm nehmen.
    Und was soll.ich sagen, wir haben aussortiert im Freundes und Familienkreis.
    Sind nur noch eine Handvoll übrig geblieben. Aber die unterstützt uns.
    Ich liebe meine Kinde über alles.

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  5. Ja diesen „netten“ Äußerungen kennt wohl jeder mit einem behinderten Kind – bei uns hieß es oft das Kind bräuchte ur strengere Regeln, dann würde es schon klappen (anpassung bei Autismus) und wenn man dann versucht zu erklären wie anstrengend das für ein autistisches Kind ist, kommen Unverständnis oder Äußerungen wie man mache es sich ja damit sehr leicht. Auch „nett“ sind mitleidige Äußerungen wie „da habt ihr aber viel Lauferie mit Behörden und Ärzten oder?“ Wer möchte das hören? Natürlich müssen wir öfter zu Ärzten und haben mehr mit Behörden zu tun, aber darauf möchte man doch nicht reduziert werden… Besonders schade finde ich aber auch, dass sehr viele Familien mit behiderten Kindern wenig UNterstützung – gerade auch innerhalb der Familie- erfahren :(.

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  6. Ok, manche Sachen sind echt krass, aber das ein oder andere könnte tatsächlich von mir kommen. Was darf man denn überhaupt noch sagen? Wenn ich es bewundere wie ein Paar damit umgeht ein behindertes Kind zu haben, dann sage ich das auch. Für mich ist das ganz und gar nicht selbstverständlich und „nur“, weil es das eigene Fleisch und Blut ist, heißt es nicht, dass man automatisch als Eltern supidupi mit der Behinderung des Kindes umgeht, dieses optimal fördert und gelassen reagiert, wenn es mal nicht so dolle läuft. Und da sage ich dann eben „Toll wie ihr das macht, ich wüsste nicht, ob ich soviel Kraft hätte in dieser Situation.“. Das sage ich aber übrigens nicht nur zu Eltern behinterter Kinder 😉

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    1. Ich finde das vollkommen okay wenn man sagt „ihr macht das toll“. Es ist mehr das „wie“ als das „was“ und der Zusatz „ich könnte das nicht“ impliziert halt eher die Abgrenzung. Ich sage mittlerweile zu Leuten dass sie ruhig Bewunderung aussprechen dürfen. Mitleid hingegen möchte ich keins. Das zieht nur runter. Manche Leute sprechen Lob eben so aus, dass es einen runter zieht. Ich vermute das hat Sophie gemeint. Habe ich auch schon erlebt (meine Tochter ist fast 4 Jahre alt, auch ICP-Kind mit spastischer Tetraparese, PS3).

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  7. Hallo Sophie,

    ich kann verstehen, dass dich diese Sprüche sehr bedrücken, vor Allem, weil man sie ja nicht nur einmal sondern wahrscheinlich in schönes Regemäßigkeit hört.

    Ich stehe öfter auf der anderen Seite des Gesprächs und scheitere daran, dass ich ja eben nicht weiß, wie es sich mit einem behinderten Kind anfühlt und somit auch nicht weiß, welcher Trost jetzt unterstützend sein könnte.
    Vielleicht magst du ja auch mal schreiben, welche Reaktionen dich/euch getröstet oder unterstützt haben.

    Oft habe ich den Eindruck dass die Gefühle und Gedanken nach der Geburt eines behinderten Kind so überwältigend und teils sicher auch überfordernd sind, dass jedes noch so empathisch und gut gemeinte Gespräch nur als Blitzableiter für die Wut und Hilflosigkeit des Gegenübers dient. In diesem Moment tröste ich mich dann damit, wenigstens zur Rückgewinnung des emotionalen Geichgewichts meines Gesprächspartners beigetragen zu haben. Es läßt mich dann aber schon etwas ratlos zurück…

    Viele Grüße und viel Kraft,
    Julia

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  8. Hallo Sophie 😉
    Schreib doch mal einen Post was du/ihr euch wünschen würdet zu hören.
    Ich fühl mich grade ganz schlecht weil ich das ein oder andere auch schon zu dir gesagt habe aber gar nicht blöd gemeint habe und jetzt denke ob ich dann in Zukunft lieber gar nichts sage bevor ich vielleicht etwas falsches sage? Sorry, ist nicht böse gemeint, ich quatsche so so so gerne mit dir aber scheinbar ist es nicht einfach und jedes Wort kann so oder so verstanden werden das finde ich eigentlich traurig 😦 das sollte man vielleicht eher von den Personen abhängig machen, meistens weis man ja ungefähr was für ein Gedanke dahinter steckt (hoffe ich)
    Liebe Grüße an dich und deine Family ❤
    Claudia

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    1. Hey Claudi, das ist ja auch gar nicht schlimm 😉 es ist nur wenn man manche Sachen einfach soooo oft hört. Das geht ja z.B. Singles genauso, „Meld dich doch mal bei Tinder an.“ “ Also mein Cousin ist ja noch Solo“.Bla la bla … und dabei ist es ganz lieb gemeint nervt aber trotzdem. Nur manche Sachen sind ja richtig fieß vor allem wenn man drüber nachdenkt. Ein ehrliches „Wie geht’s euch zur Zeit?“ oder Nachfragen wie die Entwicklung bei anderen Kindern mit ähnlichen Erkrankungen/ Behinderungen verlaufen ist zeigen echtes Interesse. Wie gesagt manche Tipps sind ja auch gut. Nur so pauschales „Des wird schon alles“ ist zum k***** und ein paar wenige andere Äußerungen, „da habt ihr aber eine Aufgabe fürs Leben“ und so die einen noch trauriger machen. Einfach in einen reinhören wie es einem selber in der Situation ginge. mehr wünschen wir uns nicht. Alles gut :-* Grüße Sophie

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      1. Hey.
        Ich weis nicht wie ich mich fühlen würde, es fällt mir schwer es mir vorzustellen, ich hoffe nur das du/ihr wisst das ich es herzlich meine und nicht gemein.
        Übrigens lasse ich eine Kleinigkeit für dich bei meiner Schwester oder vielleicht sieht man sich ja bald mal wieder 🙂
        Grüßle

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  9. Oh, da werden Erinnerungen wach 🙈…. Man versucht in all den Jahren abgehärteter zu werden, aber es gibt so Tage 😌.
    Am meisten hat uns nachdem Sternenherz ihre große Reise angetreten hatte die scheinbar aufmunternden Worte ( so waren sie gedacht) : nun könnt ihr mal richtig leben… Ich hab für meine Begriffe glaub ich recht freundlich nachgefragt, was ich denn bitte in den letzten Jahren getan habe.
    Als Miniherz im September einzog kam dann: warum tut ihr euch das freiwillig noch mal an, ihr müsst nicht……
    Auf der anderen Seite stehen einem auch ganz liebe Menschen bei, die man nicht missen möchte.

    Liebe Grüße Daniela

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    1. Liebe Daniela, ich kann nur erahnen wie sehr es schmerzt solche Äußerungen an den Kopf geworfen zu bekommen auch nach all den Jahren. Als wären unsere Lieben ein Ballast… Natürlich ist die Situation mit einem kranken Kind zu leben belastend aber man bleibt auf immer Mutter/Vater und liebt und vermisst seinen Spatz! Ich glaube wir leben manchmal sogar intensiver und bewusster als andere Menschen, die alles als gegeben und selbstverständlich hin nehmen – für mich sind so viele kleinen Momente ein Geschenk! Waren bei euch die nächsten Schwangerschaften insofern ein „Wagnis“, dass sich die Krankheit eures Sternenherz bei Miniherz oder den anderen zwei Schwestern hätte wiederholen können? Da bei uns nichts Genetisches vorliegt (so wie es aussieht) haben wir uns bei dieser Schwangerschaft mit unserer Mini Miss für einen Plankaiserschnitt entschieden, da die Behinderung des Räubersohns wohl durch den Sauerstoffmangel während der Geburt entstand.
      Liebe Grüße von der immer kugliger werdenden Sophie

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      1. Danke für deine Worte 😊. Unser Miniherz ist ein Pflegekind. Aber ich kann gut nachvollziehen wie es Euch geht, unser Großherz kam nach dem Sternenherz, eine Schwangerschaft mit allen Höhen und Tiefen 😌. Plankaiserschnitt und alles was dazu gehört….
        Euch noch eine schöne Kugelzeit 😊!!
        Ganz liebe Grüße

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      2. Ich hatte auch zu erst gedacht, dass Mini vielleicht ein Adoptivkind ist. Aber das dann nicht auf deinem Blog gelesen.
        Ich versuche die Schwangerschaft zu genießen 🙂

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  10. Viele Volltreffer dabei.. Für meine Mutter fehlt noch“ du kennst ja den und den bestimmt, die haben doch auch ein behindertes Kind“..
    Wobei es mir als Schwester auch schwerfällt im Gespräch mit anderen
    “ Betroffenen “ die richtigen Worte zu finden…

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    1. Hallo Heike, *autsch* ja wirklich- wobei ich mich auch schon ertappt habe bei einer ähnlichen Äußerung in einem anderen Kontext. Nämlich bei afrikanisch-deutschen Familien, die kennen sich bestimmt auch alle, ist ja so ein kleiner Kontinent 😉 ja es geht manchmal schnell. Liebe Grüße Sophie*

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  11. Ich will gar nicht noch mehr undurchdachte Kommentare aufzählen, auch wenn es genügend zu berichten gäbe, nur mal schnell Danke sagen dafür, dass ich heute Abend, während der Sohnemann mir dank Beatmung das Ohr vollschnarcht, nochmal richtig laut lachen konnte!
    Herrlich, wie selbstverständlich, ernst und voller Inbrunst diese Sätze immer wieder gesagt werden.
    Danke fürs Aufschreiben und auch etwas ironisch beleuchten – ein wunderbarer Blog – auch ganz allgemein.

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    1. Das freut mich liebe Tanja, Lachen ist das Gesündeste in unserer Situation. Manchmal bleibt zwischen Erschöpfung und Ärger einfach nur der Humor um nicht gänzlich am Rädchen zu drehen , oder 😉

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