Wahnsinn, der nie endet. Systematische Diskriminierung im Musterländle.

„Wann ist dieser Wahnsinn endlich rum?“ fragen alle und keiner hat mehr Geduld für Corona. Nun selbst, wenn die Pandemie mal durchstanden ist, weiß ich eines gewiss: Für uns pflegende Familien gibt es auch dann keine Normalität!

In unserem Landkreis lag bis vor kurzem die Inzidenz bei +- 300. Doch die Kinderarztpraxis will unseren Räubersohn nicht im off-label-use impfen lassen auch die Tübinger Kinderklinik weigert sich. Dabei würden wir selbstverständlich einen Haftungverzicht unterzeichnen. Wir warten und hoffen noch eine Praxis zu finden, die uns hilft! Wir können auch seine Schwester nicht ewig zu Hause lassen. Im Kindergarten sind übrigens noch nicht mal Masken vorgeschrieben bei der „Arbeit am Kind, geimpft sind auch hier nur wenige, ähnlich wie bei unserem Pflegedienst und unseren Therapeutinnen. Immerhin soll Biontec bald für 12-Jährige frei gegeben werden. Eine schwere Erkrankung wie Covid wäre das Letzte was er nun bräuchte, denn leider sind die Blut- bzw Nierenwerte unseres Juniors wieder am schlechter werden. Das heißt wir nähern uns erneut der Dialyse und Listung. Nicht einmal die zweite Hüftoperation wird nun durchgeführt, zu groß die Sorge des Orthopäden, dass es das Zünglein an der Waage zum Kollaps der Nieren wäre.

Zurück zur Normalität, das gibt es bei uns nicht. Nur weniger Isolation, mehr Kontakte zu Freunden und Familie, ein paar kleine Auszeiten – das wäre so wichtig und würde mir helfen wieder mehr Kraft schöpfen zu können. Aktuell schlittere ich durch die Wochen. Reagiere satt agiere. Existiere. Meist müde und entnervt.

Unsere Gerichtsverhandlung wegen der Sondennahrung, die vor Beihilfe BW nur anteilig übernommen wird (wobei wir den Hauptbatzen tragen nämlich Jährlich 1440€ während sie nur ca. 180€ zahlen) hat übrigens tatsächlich stattgefunden inzwischen. Und wir sind kolossal gescheitert – denn das Beihilfegesetz stellt sich einfach über die UN-Behindertenrechtskonvention sowie das Grundgesetz. Warum sollen Minderjährige, Schwerkranke und mehrfach behinderte Menschen Spezialnahrung zuzahlungfrei erhalten? So ein unnötiger Luxus! Aktuell bekommt unser sechsjähriger Sohn, der chronisch verchleimt ist, noch nicht einmal seine Inhaltionslösung erstattet. Luft bekommen ist ja auch so ein Schnickschnack. Ja, man wird zynisch und verbittert. Und gelegentlich angriffslustig..

Letzte Woche habe ich dem LBV ein Foto des Schleimbergs geschickt, den unser Liebling mühsam abhustet jeden Tag. Wenn das wirkungslos bleibt, schicke ich gefüllte Moltontücher per Paket! Die Leiterin der Abteilung versteht uns hat sie uns inzwischen mitgeteilt, allerdings seien auch ihr die Hände gebunden. Es gibt seit diesem Jahr eine Regelung, dass schwerkranke Kinder ab 6 Jahren Inhaltationslösung erstattet bekommen – allerdings nur wenn diese an Mukoviszidose leiden. Kinder und Erwachsene mit COPD, Asthma, mehrfach Behinderung mit geringem Lungenvolumen oder andere Schwersterkrankte bekommen nichts erstattet. Und wir reden von 40€ pro Großpackung und Inhalieren muss man meist mehrmals täglich. Ein Unding und eine behördliche, systematische Diskriminierung ist das. Ableismus pur – nur wen interessiert es?

Wir werden – sobald es meine Kräfte zu lassen -gemeinsam mit anderen Eltern diese Zustände öffentlich machen und eine Landtagspetition starten. Denn weiterer Irrsinn liegt vor bei Hilfsmitteln wie bsw. Therapiestühlen, bei denen ein Eigenanteil anfällt und die nur partiell finanziert werden, andere bekommen keine Haushaltshilfe für die restliche Familie, wenn Mutter und Kind wochenlang in der Klinik oder Reha sind, bei Therapien wie Logopädie werden zu niedrige Stundensätze vorgegeben, so dass die Familien pro Rezept oft zwischen 150€ und 240€ drauf legen müssen und auch die Sätze der ambulanten Kinderpflegende werden vom Amt inzwischen angezweifelt.

Wir haben bereits vor Monaten den Lvkm sowie die Behindertenbeauftrage gebeten uns zu unterstützen, da die Beihilfe uns pflegenden Angehörigen das Leben immer schwerer macht. Doch da bei uns ja ein Verfahren anhängig war, durften sie sich nicht einmischen, vielleicht jetzt wo es verloren ist und es gibt ja wie gesagt noch genügend anderes, das uns Nerven kostet. Seit Neuestem gehen Widersprüche bei der Beihilfe auch nur noch postalisch – während die Ablehnungen wie am Fließband funktionieren, seit dem feste Sachbearbeiter*innen aufgehoben wurden. Auch wenn dicke Akten vorliegen zu all den Krankheiten, wird munter ablehnt ohne diese zur Kenntnis zu nehmen – es ist zu Durchdrehen!!

Willkommen in den 50iger Jahren! Mutti sitzt gerne zu Hause und tippt Briefe als unbezahlte Sekretärin. Danke für Nichts und das Leben schwer machen – mit einem Kind das unheilbar krank und viele auch lebenslimitierend erkrankt sind, haben wir Familien nichts besseres zu tun als Widersprüche zu schreiben und Spenden zu sammeln bei Ablehnung. Den der Gang vor Gericht bringt wie gesagt nichts diese Diskriminierung ist in Baden-Württemberg js legal!

Wenn unsere werte Landesregierung sich endlich mal formiert hat, nach zwei Monaten, haben wir hoffentlich endlich auch wieder Ansprechpartner*innen, der letzte, der Inklusions- und Behindertenbeauftrage von den Grünen, hatte im Wahlkampf leider keine Zeit für unsere Belange. Und sich danach auch nicht mehr gemeldet, nur zwischen durch verlauten lassen, wir sollen nicht weiter nachfragen, es sei in Arbeit. Bisher ohne Ergebnis.

Diese anhaltende Diskriminierung auf allen Ebenen. Ich habe es so satt! Ich bin gespannt was bezüglich des inklusiven Schulplatzes noch auf uns zu kommen wird. Das Elternwahlrecht wird in BW weiter unter den Teppich gekehrt bzw. regelrecht bekämpft. Wer berät bsw. zur Wahl des Schulplatzes? Richtig, die Beratungsstellen der Sonderschule! Denn hier im Landkreis Heilbronn läuft es so, dass es zwar ein Recht auf einen inklusiven Schulplatz gibt ABER nicht vor Ort! Während die Sonderschulen vergleichsweise nah liegen, kann ein Kind mit schwerer Behinderung sonst wohin geschickt werden, statt mit seinen Geschwistern oder Nachbarskinder zusammen in die Grundschule zu gehen!! Das ist keine Inklusion – das ist Fremdbestimmung und Willkür pur!! 12 Jahre nach in Kraft treten der UN-BRK.

11 Kommentare zu „Wahnsinn, der nie endet. Systematische Diskriminierung im Musterländle.

  1. Als hättet ihr es nicht schon schwer genug. Tut mir sehr leid für Euch, dass ihr gegen so viele Windräder ankämpfen müsst. Verliert nicht den Mut, verliert nicht die Kraft!

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  2. Ich muss dir leider in allem recht geben. Es läuft nicht nur im Musterländle so… und alle wissen, dass wir Familien früher oder später aufgeben, weil die Kraft fehlt. Verbittern will ich einfach nicht! Das darf niemand schaffen! Das entscheide ich immer noch selbst. Es ist ein trauriges und zynisches Spiel, das hier gespielt wird. Es wird sich ausweiten auf andere Bereiche, auch die jetzt noch „Gesunden“ werden damit konfrontiert, wenn sie denn krank werden oder einer/eine der Ihren. Dann kommt das große Erwachen. Leider versteht der Mensch offenbar nur das, was er selbst erlebt. Hilfe und Unterstützung erfahren wir im gesamten Umfeld kaum. Das Thema will irgendwann niemand mehr hören, schon gar nicht, während alle damit beschäftigt sind, über den wegfallenden Urlaub im Ausland zu klagen. Traurig. Was soll ich sagen, Verena? Uns geht es genauso. Ich kann dich total verstehen und alles nachempfinden. Vielleicht gibt das ein wenig Aufwind. Wir sind wenige, aber wir sind nicht allein. Liebe Grüße aus dem Saarland!

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      1. Liebe Verena. Ich konnte vorgestern bei deiner Vorstellung bei wir pflegen ev nicht dabei sein, habe aber schon lange das Bedürfnis Kontakt aufzunehmen.
        Könnten wir am Abend mal telefonieren? Und es würde mich freuen wenn du auf http://www.einepause.de und unsere Umfrage schauen könntest und solikarte, denn da gehen wir ganz ähnliche Wege. Die könnte man ja auch gemeinsam gehen…
        Liebe Grüße. Annika Eysel

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