Help I need somebody – Notstand in der ambulanten Kinderpflege und die Krux von der Entlastung.

Einen Angehörigen zu pflegen auf seine Bedürfnisse einzugehen, möglichst ohne ihn zu bevormunden, ist ein schwieriges Unterfangen. „Ich könnte das ja nicht!“, lautet eine der häufigsten Reaktionen von Außenstehenden. Natürlich wünscht sich wohl niemand die Situation über Jahre für das Wohlergehen eines Familienmitglieds verantwortlich zu sein. Nur mal ‚Butter bei die Fische‘  – es besteht schließlich nicht immer Wahlfreiheit! Zum einen ist es schwer einen geliebten Menschen in die Obhut von anderen zu geben. Oft kommt so eine Pflegesituation schließlich sehr abrupt und ohne Vorwarnung. Der Vater hat einen Schlaganfall, die Ehefrau eine Komplikation bei einer Op, das Kind einen Unfall oder schwere Krankheit. Und nichts ist wie zuvor.

Auch die betroffene Person hat bestimmt nicht davon geträumt pflegebedürftig zu werden und von jemand anderem gewaschen zu werden, nicht selbstständig essen zu können, Medikamente und Getränke eingeflößt oder Windeln angelegt zu bekommen. Aber wenn es die Krankheit oder Behinderung es nun mal erforderlich macht?

Zu andren besteht zwar die Möglichkeit professionelle Pflegekräfte in Anspruch zu nehmen- nur reicht das bei weitem nicht – gesetzten Fall man findet überhaupt einen Pflegedienst der Kapazitäten hat. Der aktuelle Pflegenotstand betrifft eben nicht nur die stationäre Situation in Krankenhäusern oder Seniorenheimen, sondern auch ambulante Pflegedienste. Was gesellschaftlich einen blinden Fleck darstellt ist, dass neben älteren Menschen auch jüngere Schwerkranke sowie Kinder mit chronischen Krankheiten und Behinderung auf Pflege angewiesen sind. Sie werden in großer Mehrheit daheim pflegt – über 80. 000 Kinder – und Jugendliche unter 18Jahren sind das in der BRD – meist von Müttern! Auch hier fehlt es an Fachkräften, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und Krankenpfleger, die sich um die kleinen Klienten zu Hause kümmern. Wie oft können Kinder nicht das Krankenhaus verlassen, da kein ambulanter Kinderintensivpflegedienst einen Platz für sie hat. So werden Eltern aus dem Beruf gedrängt, wenn sie die Pflege ihres Zöglings sicherstellen wollen.

Manche Pflegedienst sagen auch zu,  obwohl sie bereits über ihrem Belegungsmaximum sind, das heißt andere Familien bekommen noch mehr Lücken im Pflegeplan zu den sowie so schon bestehenden Ausfällen.

Auch uns betrifft das, wenn wir auch kein worst case Szenario haben, ist es sehr anstrengend und auslaugend. Wir sind oft auf uns allein gestellt. Ins Besondere nachts, wenn der Junior Schreiattacken hat oder in der Ferienzeit und das geht nicht spurlos an uns vorüber (wie ich schon im November 2017 berichtet habe). Natürlich benötigen alle Kleinkinder oder Babys etwa Pflege – wie auch der MDK nicht müde wird zu betonen – nur das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit und die sich nicht verändernde Situation ist ein gewaltiger Unterschied. Unser Sohn ist nun 3,5 Jahre er kann sich in keinster Weise selbst versorgen, aufgrund der Spastik ist es ihm nicht möglich die Hände zum Mund führen und somit auch nicht allein etwas zu sich zu nehmen. Weder sitzen, vorwärts bewegen  noch greifen gelingt ihm als ICP-Kind. Er wird von uns komplett versorgt wie ein Säugling in einem Alter in dem andere schon zum Kinder turnen gehen, es klafft immer weiter auseinander aber ohne Aussicht auf Verbesserung . Wir haben das ‚Glück‘, dass wir für ihn Behandlungs- und Intensivpflege auf Rezept bekommen haben. Ausgebildete Kinderkrankenschwester überwachen und versorgen unseren Räubersohn mehrere Stunden täglich (wenn keine von ihnen krank ist oder eines ihrer Kinder, ann springen meist die Großeltern ein). Unser Erstgeborener hat Epilepsie mit vielen kleinen Anfällen, seine Arme und Beine zittern und versteifen sich aufgrund der Myklonien und Spastiken. Außerdem übergibt er sich immer wieder wegen seiner Dysphagie und spricht nicht. Die Krankenpflegerinnen protokollieren seine Anfälle, messen Blutdruck, legen Hilfsmittel an, geben ihm Medikamente, auch für den Notfall. Sie gehen nach circa 4-6 Stunden, dann hat der Tag noch viele Stunden. Keine einzige vergeht, in der unser Sohn keine pflegerische Unterstützung benötigt. Das bisschen Pflegegeld ist hart verdient. Eine Bekannte von mir hat sich den ‚Spaß‘ gemacht und umgerechnet was sie als pflegende Mutter eines schwer Epilepsie kranken und global entwicklungsverzögerten Kindes auf die Stunde ‚verdient‘ es sind circa 1,40€ – nicht gerade Mindestlohn oder? Und so erfüllen sie auch nicht die Voraussetzungen für den vom Land geförderten Kredit für Barriere freies (Um)Bauen. Deshalb setze ich mich auf für ein faires Fürsorgegehalt ein!

Um so unglaublicher, dass viele Familien, mit mehrfach behinderten Kindern oder sogar Lebenszeit verkürzenden Krankheiten ihres Lieblings, keine Intensivpflege oder Behandlungspflege verordnet bekommen. Die Mehrzahl der Kids mit schweren Beeinträchtigungen haben auch massive Schlafstörungen. Über Jahre. Die Eltern gehen am Stock. Wenn sie überhaupt einen Pflegedienst finden, dann können sie ihr Pflegegeld teilweise oder ganz „eintauschen“ gegen Pflegesachleistungen. Nur ist die Situation in pflegenden Familien meist sowieso sehr belastet – psychisch und finanziell. (Was noch hinzukommt – leider ist bei jahrzehntelanger Angehörigenpflege die Altersarmut oft für vorprogrammiert – in großer Überzahl Frauen). Vieles muss erkämpft werden – wie Hilfsmittel, Therapien, die oft auch anteilig oder ganz selbst zu bezahlen sind.

Dass es eine Zuzahlungsbefreiung gibt (max. 1% bei chronisch Kranken vom Bruttofamiliengehalt abzüglich der Freibeträge), habe auch ich erst nach Jahren herausgefunden. Als pflegender Angehöriger muss man sich tief einarbeiten in die Materie – am besten Jura oder Soziale Arbeit studiert haben – und nur, weil es ein Recht gibt, heißt es noch lange nicht, dass man es gewährt bekommt oder anwenden kann. So beispielsweise die Betreuungs- und Entlastungsleistungen. Sie könnten, wie der Name schon sagt, theoretisch dafür genutzt werden die pflegenden Angehörigen zu entlasten im Haushalt oder durch Betreuung der Pflegebedürftigen. Die monatlich 125€ standen früher nur den höheren Pflegestufen zu – nun seit Anfang 2017 bei jedem Pflegegrad von 1-5.  Dadurch ist die Nachfrage sehr angewachsen, oft haben die Anbieter wieder keine Kapazitäten mehr oder sie sind auf Senioren ausgerichtet. Das heißt jemand zum Blumen gießen oder mit Oma Tee trinken wird leicht gefunden – jemand, der auf ein schwer behindertes Kind aufpasst oder bereit wäre einmal die ganze Wohnung zu durchzuwischen schwer vor allem in ländlichen Gebieten. Aber für große Sprünge reicht das Geld auch nicht. Bekannte auch kirchliche Träger lassen sich eine Stunde über 40-50€ bezahlen. Und was hilft es, wenn EINMAL im Monat jemand für 2-3h kommt bitteschön? Was soll das für eine Entlastung sein? (Immerhin kann man die Sumne ansparen aber es verfällt auch in der Regel nach einem Jahr, gerade ist es möglich das Geld der letzen zwei Jahre, wegen der Pflegereform bis Ende 2018, einzulösen.) In Baden-Württemberg müssen die Betreungs- und Entlastungsleistungen über professionelle Pflegeanbieter laufen, eine gelernte Hauswirtschaftlerin darf diesen Service nicht anbieten. Aber immerhin können sich unter Erfüllung bestimmter Bedingungen auch allgemeinnützige Vereine registrieren lassen (uns hilft z.B. Solidaria e.V.). Ich bin sehr froh, dass wir so zumindest einmal die Woche etwas Hilfe im Haushalt haben, der mit einem Krabbel- und einem Spuckkind allein vom Boden reinigen und Wäsche mäßig nicht gerade wenig Arbeit macht. Nur – und jetzt kommt die nächste Krux, wenn es um „Babysitterdienste“ geht: Diese Unterstützungspersonen, die nun, wenn in den Ferien mal wieder keine Pflege bei uns ist, dürfen keine Grundpflege (Essen,Trinken) oder Behandlungspflege (Medikamente geben) übernehmen. Das heißt, wenn wir einmal einen freien Abend wünschen, darf die noch so gut geschulte Betreuungsperson unseren Sohn zwar betreuen aber eigentlich nicht wickeln, Brei geben oder gar eines seinen Blutdruck- oder Epimedikamente verabreichen. Also muss also wieder einer von uns Eltern zu Hause belieben. So pflegt man die Partnerschaft als pflegends Elternpaar?  Trotz unzähliger Rechte und Möglichkeiten zur Unterstützung, ist man als Familie weitgehend auf sich gestellt. (dabei haben wir die ‚dicken Fische‘ wie persönliches Budget, inklusive Beschulung und co- noch gar nicht angegangen…)

Das Erstreiten ist so kräfte zehrend und entwürdigend, dass viele Eltern alles auf eigene Faust machen. So lange sie eben dazu in der Lage sind. Ohne Großeltern (sowie Paten, die regelmäßig Verhinderungspflege übernehmen) ginge bei den meisten Familien, auch uns, fast gar nichts. Wir sind ihnen dankbar, und wäre doch viel lieber unabhängig und würden ihnen den Ruhestand gönnen. So werden unsere Eltern und engen Freunde in dieses Spinnennetz aus Verpflichtung mit eingeflochten, die Anstrengung verteilt sich auf viele Schultern ja – aber auch die Gebundenheit. Man muss nicht systemischer Berater sein, um zu erkennen, das diese Konstellation auch Spannungen und Konflikte erzeugt.  Dass Ehen pflegender Eltern häufig zerbrechen, wundert in diesem Kontext nicht. Unseren 16 Jahrestag haben wir gestern mit jeweils einem Kind auf dem Arm verbracht. Natürlich ist das mal schön zusammen baden, spazieren gehen – aber so ein bisschen Zweisamkeit wäre auch mal was und täte uns gut.

ÜBRIGENS: Im ‚Ländle‘ soll es nach der Änderung des Landespflegegesetz vor wenigen Tagen nun künftig Pflegekonferenzen geben, auf denen Zielvereinbarungen getroffen werden, zur Stärkung und unter Einbeziehung pflegender Angehöriger. Ich bin mal gespannt, habe vor mitzumischen und euch auf dem Laufenden zu halten!

PROGRAMM TIPP: Um über diese Missstände – den Pflegenotstand und die alltägliche Belastung als pflegende Eltern – zu berichten, wurden wir bei „Zur Sache Baden-Württemberg“ eingeladen Einblick in unseren Pflegealltag zu geben. Der kurze Beitrag wird am kommenden Donnerstag 15.02.2018 im SWR um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Danach wird er auch in der Mediathek verfügbar sein.

20 Kommentare zu „Help I need somebody – Notstand in der ambulanten Kinderpflege und die Krux von der Entlastung.

  1. Liebe Sophie,
    erst einmal ganz herzlichen Dank, dass Du die Petition mit verlinkt hast. Das hat mich unheimlich gefreut. Es ist wichtig, dass Du solche Artikel immer wieder schreibst. Ich bin ja auf Dich aufmerksam geworden über Deinen Artikel im November und war atemlos vom Lesen. Ich habe sehr großen Respekt vor Eurer Leistung. Für mich ist es alleinerziehend mit 2 Kindern auch wirklich oft atemlos. Jedoch haben wir eben auch unbeschwerte Zeiten, dass muss ich schon sagen und dennoch bin ich oft (wie heute) mit meinen Nerven am Ende. Es sind die viele Jahre (das wird bei Euch auch so sein), die einem in den Knochen stecken. Es ist so wichtig, dass wir alle gemeinsam laut sind und dafür sorgen, dass Fürsorgearbeit nicht mehr als Nächstenliebe abgetan wird. Natürlich lieben wir unsere Kinder, jedoch darf Kinder haben nicht in die Armut führen. Erst recht nicht, wenn auch noch so schwere Erkrankungen vorliegen und jeder will ja immer noch irgendwo Geld. Fürsorge geht uns alle an (allerspätestens im Alter) und das muss in die Mitte der Gesellschaft. Ich werde Deinen Artikel auch gleich noch teilen.

    Ich drück Dich wieder mal ganz herzlich, wenn auch nur virtuell und wünsche Euch sehr, dass Ihr trotz aller Schwierigkeiten immer Hilfe bekommen werdet und die Kraft nie ausgehen soll.
    Ganz herzlich, Claire

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    1. Vielen herzlichen Dank liebe Claire! Nicht zu vergessen, dass viele pflegenden Elternteile – meist, bis auf wenige Ausnahmen, die Mamas – allein erziehend sind mit ihrem Kind mit besonderen Bedürfnissen.
      Ja , wir müssen unseren Musketiersinn ausbauen : Einer für alle, alle für einen!

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      1. Ich habe gestern tatsächlich eine Zuschrift dazu bekommen, die mich sehr berührt hat. Eine alleinerziehende Mama, mit 2 Kindern, eines davon psychisch beeinträchtigt. Die Zuschrift bewegt mich immer noch. Ja, wir müssen unseren Musketiersinn ausbauen, dass ist ein tolles Bild. Guten Wochenstart Euch. Kleiner hat Husten und erhöhte Temperatur, OP fällt aus. 🙂

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  2. Hallo,
    ab und zu schau ich rein und lese wie es „gleichgesinnten“ so geht. Wir haben vier Kinder, unser ältester Sohn wird bald 15. Er ist hat ebenfalls icp und Epilepsie, kann nicht sprechen oder uns verstehen, nicht laufen…… wir bekommen keine Hilfe, bzw Händeln alles alleine. Ich muss vielleicht dazu sagen, das ich seit der Geburt unseren jüngsten Sohnes (4) auch nicht mehr arbeiten gehe. Klar ist es manchmal anstrengend, vor allem aber ist es wunderschön die Zeit zu genießen. Natürlich können wir viele Dinge nicht machen, weil es mit einem Schwerbehinderten Kind halt nicht so einfach mal geht…. das anstrengendste sind die „Verhandlungen“ mit der Krankenkasse, was warum unser Sohn jetzt unbedingt braucht, ist es wirklich nötig… ein Kampf jedes Mal. Zur Zeit kann ich mir absolut nicht vorstellen, die Pflege abzugeben. Die Liebe von meinen Jungs gibt mir da wohl die nötige Kraft ❤️. Viel Glück für euch 🍀😊. Grüßle Katja

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    1. Liebe Katja, schön, dass du eurer familiären Pflegesituation Positives abgewinnen kannst. Ich binnen manchen Tagen auch erleichtert nicht im üblichen Hamsterrad mit laufen zu müssen. Aber es ist einfach auch Typsache ich fühle mich immer wieder wie im „goldenen Käfig „. Herzlichst Sophie

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